Eigentlich ist es eine dramatische Krisensitzung inmitten eines noch donnernden Erdbebens. Anders ist kaum zu beschreiben, was die katholische Kirche in Deutschland seit gut zwei Wochen prägt, seit der Veröffentlichung des Gutachtens zu Missbrauch und Vertuschung im Erzbistum München-Freising. Mitten in diesem Drama tagt der Synodale Weg, jener 2019 gestartete Reformdialog der katholischen Kirche in Deutschland.
Und mitten in der Krise beschließt das Gremium die ersten deutlichen Forderungen: die Abschaffung des Pflichtzölibats, mehr Transparenz und die Teilung von Macht in der Kirche, die Beteiligung von Laien bei Bischofsernennungen. Es votiert für eine grundlegende Neubewertung der Homosexualität, eine Weiterentwicklung der kirchlichen Sexualmoral. Endlich, aber auch: mal wieder.
All diese Punkte verabschiedeten die 215 Synodalen bereits in Zweiter Lesung mit Zweidrittelmehrheit. Und auch bei den knapp 60 beteiligten Bischöfen gab es diese Zweidrittelmehrheit. Das ist wichtig, denn wenn die Bischöfe nicht mit im Boot wären, würde ein Text nicht als beschlossen gelten. Auch weitere Anträge wurden nach Erster Lesung mit deutlicher Mehrheit auf den Weg gebracht: für grundlegende Geschlechtergerechtigkeit, für das Diakonat der Frau, für einen anderen Umgang der Kirche mit Homosexuellen und anderen queeren Identitäten, für ein Nachdenken über den Zugang zu allen Weiheämtern.
Konzepte - seit Jahrzehnten in der Schublade
Ist das Verzweiflung? Das mehr oder weniger fromme Pfeifen im schwarzen Wald? Die Männer und Frauen in der Frankfurter Messehalle nehmen die Lage ernst. Etliche berichteten von Kirchenaustritten bislang engagierter Gläubiger oder von Freunden, Freundinnen. Eine Spitzenkraft des größten katholischen Frauenverbandes sagte, täglich riefen Mitglieder an und wollten sich abmelden. Eine leitende Ordensobere erläuterte, dass sich Ordensfrauen meldeten, die aus der Kirche austreten und deshalb den Orden verlassen wollten. Wohl alle hier ahnen, dass die Zahl der Kirchenaustritte in diesen Wochen nicht ansteigen, sondern schier explodieren wird.
Und doch: Dieser Synodale Weg fußt nicht auf der Panik dieser Wochen, dass Kirche implodieren könnte. Und er baut nicht nur auf zweijährigen, durch die Corona-Pandemie erschwerten Beratungen auf. Mancher der jetzt verabschiedeten Beschlüsse beruht im Grunde schon auf Konzepten der Würzburger Synode (1971-1975). Vor 50 Jahren sollte sie den Aufbruch der katholischen Kirche in die Moderne ebnen. Aber dann wurde sie von Rom ausgebremst, und in irgendeiner der vielen vatikanischen Schubladen liegen wohl noch Eingaben der Würzburger Synode. Unbeantwortet. Rom ist in der Pflicht. Damals wie heute.
Irgendwie rächt sich das mit den Schubladen jetzt und verschärft die Notwendigkeit von Reformen. 2018, als der Synodale Weg in Deutschland beschlossen wurde, oder 2019, als er startete, konnten Kritiker noch so tun, als wäre dies ein deutscher Sonderweg. Nun befassen sich solche Foren in immer mehr Ländern mit systemischen Zusammenhängen von sexualisierter Gewalt und dem Missbrauch von Macht. Und der Papst drängt zu synodalen Beratungen aller Diözesen weltweit, denn er will im Herbst 2023 Beratungen auf Weltebene im Vatikan beginnen.
Die Autorität des Amtes - ausgehöhlt
Jetzt in Frankfurt und gewiss auch 2023 in Rom wird es um wachsende Distanz zu dem gehen, was in katholischer Sprache Lehramt heißt und die besondere Autorität des Amtes meint. Die vergangenen Päpste und viele Bischöfe berufen sich gern darauf und verbinden damit die Bitte, die Debatte zu beenden.
Aber das ist vorbei, und das ist wohl die spannendste Entwicklung des Synodalen Weges. Als in Frankfurt einer der konservativeren Bischöfe einen stärkeren Bezug auf "das Lehramt" verankern wollte, scheiterte er. Auf der anderen Seite: auch die ausdrückliche Würdigung eines Lehramts der Betroffenen von Machtmissbrauch in der Kirche fand keine Berücksichtigung. Der Begriff Lehramt wirkt toxisch. Das, was dahinter steht, wirkt hohl. Es war zu oft in den vergangenen Jahrzehnten so etwas wie die Keule der Macht.
Und doch: Wie die Laien insgesamt, wie die Frauen als eigene Gruppe ihre Forderungen und Anliegen in bester theologischer Qualität vortrugen, wie viele Geistliche, auch Bischöfe, da mitzogen, das steht für Aufbruch. Trotz der Wunden, des Drucks, des Machtmissbrauchs, die Delegierte immer wieder schilderten. In Frankfurt stand niemand auf, knallte die Tür und ging. Man hörte einander zu und hielt einander aus. Das ist schon viel. Es ist die letzte Chance für eine verletzende und verletzte, um Glaubwürdigkeit kämpfende Kirche.