Bis zu den Sitzplätzen im Olympia-Stadion in Tokio sind die Protestrufe der Demonstrierenden vor dem Stadion zu vernehmen. "Wir wollen keine Olympischen Spiele", rufen sie durch Megaphone. Selbst als die Lichter in der Arena aus- und die Musik und die Scheinwerfer für die Eröffnungsfeier angehen, sind sie innerhalb der Arena weiterhin gut hörbar.
Beim Einmarsch winken die Athleten tapfer in das leere Rund, auf dem nur vereinzelt Journalisten und einige wenige Offizielle sitzen, die verhalten klatschen. Kein Jubel, keine Fahnen, keine Gesänge: Es herrscht eine surreale Atmosphäre.
Steril, distanziert, emotionslos
Die neu gebaute Arena fasst rund 68.000 Zuschauer, die eigentlich den Sportlerinnen aus aller Welt zujubeln und ihnen einen unvergesslichen Abend bescheren sollten. Stattdessen haben sich gerade mal etwas mehr als ein Dutzend Regierungschefs eingefunden. In Rio waren es noch rund 40. Wir Journalisten machen mit Abstand den größten Tross aus - wie absurd.
Die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele ist in den letzten Jahrzehnten zu einem aufgeblasenen, künstlichen Spektakel verkommen, das hauptsächlich für Fernsehkonsumenten orchestriert wird. Ohne Fans im Stadion und mit nur einem Bruchteil der eigentlich geplanten Sportlerinnen und Sportler in der Arena wirkt die künstlerisch sehr anmutende Show noch steriler, noch distanzierter, noch emotionsloser. Einziger Lichtblick: Die für eine knappe Minute auf der Leinwand eingeblendete Bildcollage von Freunden, Familien und Sportfans, die das Ganze virtuell verfolgen.
Wo die Gefühle sind? In der Tiefgarage
Dabei lautete doch das Motto der Eröffnungs- und Schlussfeier "United by Emotions", vereint durch Emotionen. Mehr als die perfekt inszenierten Fernsehbilder berühren die aufgeregt kichernden jungen Menschen, in liebevoll aufgemachter Kleidung, die kurz vor der Show in der Tiefgarage auf ihren Auftritt warten: Sie sind ehrlich und authentisch. Diese Momente bekommen die Zuschauer jedoch nicht zu sehen.
Für die pandemiebedingte Situation insgesamt und speziell während der Eröffnungsfeier können die Organisatoren der Spiele in Tokio nichts. Allerdings lieferten sie insgesamt kein gutes Bild ab: Zwei Kreativdirektoren und der für das Event engagierte Komponist wurden aufgrund von Fehlverhalten entlassen. Dass während der Feier dazu noch Teile der Musikeinlagen aus der Konserve kamen, spricht für sich.
Winkekatzen einer streng protokollierten Show
Die Sportler haben sich nach Jahren des harten Trainings die drei Stunden Auftritt im Rampenlicht mehr als verdient - auch wenn sie bei der Feier eher wie die in Japan so beliebten Winkekatzen einer streng protokollierten Show wirkten denn als Hauptprotagonisten eines friedlichen Zusammentreffens von hauptsächlich jungen Menschen aus aller Welt.
Dabei begleitet viele die Sorge, sich kurz vor dem Wettkampfstart noch mit COVID-19 anzustecken. Auch die Tatsache, dass dies weder faire Spiele noch aufgrund der vielen Absagen tatsächlich ein Aufeinandertreffen der weltweit besten Sportler sein werden, lässt kaum eine fröhliche oder gar ausgelassene Stimmung aufkommen.
Wer schreibt am Ende die Geschichte(n)?
Mit der Eröffnungsfeier wollten das IOC und das Organisationsteam aus Tokio einen Mutmacher im Kampf gegen das Coronavirus um die Welt senden. Angekommen ist jedoch eine andere Botschaft: Die Show muss weitergehen, so wie immer, dasselbe Prozedere wie alle vier Jahre.
Angesichts der weltweiten Pandemie wäre eine ganz andere, eine minimalistische, auf die Athleten und Athletinnen und den Sport ausgerichtete Feier ein sinnvolleres Zeichen gewesen.
Das können jetzt die Olympia-Startenden setzen: Sie können mit ihrem Siegeswillen und Kampfgeist den olympischen Geist entfachen und mit ihren Leistungen dafür sorgen, dass sie die Geschichten dieser Spiele schreiben - und nicht das IOC, hoffentlich nicht das Coronavirus und nicht nur die Protestierenden.