Es grenzt an ein Wunder. Nach einem über weite Strecken extrem unfairen Prozess hat Richterin Vanessa Baraitser in London die Auslieferung von WikiLeaks-Gründer Julian Assange an die USA abgelehnt. Nachdem die britische Justiz den gefeierten Enthüllungsjournalisten an jeder Stelle in seiner Verteidigung behindert hatte, waren die meisten Beobachter davon ausgegangen, dass die britische Justiz nicht nur ihre Unabhängigkeit, sondern auch die Rechte von Julian Assange und die Pressefreiheit auf dem Altar der "besonderen Beziehungen" zu den USA opfern würde. Es ist ein Grund zur Freude, dass dies nicht geschehen ist. Ein Grund zur Erleichterung ist es nicht.
Pressefreiheit weiter bedroht
Eine Lanze für den Investigativjournalismus wurde in London nämlich nicht gebrochen. Richterin Baraitser hob in ihrer Entscheidung ausschließlich auf die unmenschlichen Haftbedingungen ab, die Assange in den USA zu erwarten hätte und auf die drohende Selbstmordgefahr.
Sie widersprach ausdrücklich den Argumenten der Verteidigung, dass der Australier wegen seiner journalistischen Tätigkeiten verfolgt werde, dass seine Enthüllungen von Kriegs- und anderen Verbrechen der USA im öffentlichen Interesse gewesen seien, dass die Verfolgung von Assange politisch motiviert und mitnichten ein normales Strafverfahren sei. Kurz: Sie folgte in fast allen Punkten den Ausführungen der US-amerikanischen Regierung. Damit sind erstens Julian Assange und zweitens die Pressefreiheit weiter bedroht.
Intervention von Team Joe Biden?
Über die Hintergründe der Entscheidung in London kann man nur spekulieren. Noch im Dezember hatte US-Präsident Donald Trump vier verurteilte Kriegsverbrecher begnadigt, die in Bagdad ein Massaker an 14 Zivilisten angerichtet hatten. Aufrufe, sich zu viel beschworenen amerikanischen Werten zu bekennen und mit Assange einen Aufdecker von Kriegsverbrechen zu begnadigen, verhallten ungehört. Möglicherweise hat das Team um den gewählten US-Präsidenten Joe Biden seine Fühler nach London ausgestreckt und die Briten wissen lassen, dass man an einem vermutlich international rufschädigenden Prozess gegen den WikiLeaks-Gründer nicht interessiert sei.
Wie sehr die Verfolgung von Assange die Position des Westens als Hüter humanitärer Werte erschüttert, war spätestens im November klargeworden. Da hatte eine BBC-Korrespondentin den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev mit kritischen Fragen zur Pressefreiheit in seinem Land konfrontiert. Der schoss zurück, angesichts der Behandlung von Assange habe Großbritannien kein Recht, anderen Staaten Vorhaltungen in Sachen Menschenrechte und Pressefreiheit zu machen.
Entlassung in den Hausarrest
Wie geht es jetzt weiter? Die US-Regierung hat bereits Berufung gegen die Entscheidung angekündigt. Bis der Weg durch die Instanzen zu Ende beschritten ist, können Jahre vergehen. Diese Zeit sollte Assange nicht weiter im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh absitzen müssen. Seine Haftbedingungen in diesem "britischen Guantanamo" hat Nils Melzer, der UN-Sonderberichterstatter für Folter, als ebensolche angeprangert: als Folter. Schon seit eineinhalb Jahren sitzt Assange dort in Isolationshaft - ohne rechtmäßig wegen irgendeines Verbrechens verurteilt zu sein.
In einem ersten Schritt sollte Assange endlich in den Hausarrest entlassen werden, um dort den Ausgang des Verfahrens abzuwarten. Es erschließt sich nicht, warum ein Enthüllungsjournalist in Haft schlechter behandelt wird als ein Massenmörder: Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet etwa durfte sein Auslieferungsverfahren komfortabel im Hausarrest in einer Luxusvilla nahe London abwarten.
Und: Es ist wichtig, dass die spät erwachte Öffentlichkeit auch nach der jüngsten Entscheidung im Fall Assange den Druck aufrechterhält. Julian Assange und die Pressefreiheit sind es wert.