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Meinung: WM 2023: Debakel, Katastrophe - Versagerinnen?

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Tobias Oelmaier
3. August 2023

Nach dem frühen Aus der DFB-Frauen bei der Fußball-WM in Australien ist schonungslose Aufarbeitung nötig, kommentiert Tobias Oelmaier. Sonst findet der deutsche Fußball - wie bei den Männern - den Anschluss nicht mehr.

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Abwehrspielerin Chantal Hagel kniet enttäuscht auf dem Rasen im Stadion von Brisbane
Abwehrspielerin Chantal Hagel kniet enttäuscht auf dem Rasen im Stadion von BrisbaneBild: DAN PELED/REUTERS

"Debakel", "Katastrophe", "Versager" - die deutschen Fußball-Männer mussten sich heftige Kritik gefallen lassen nach ihrem WM-Aus im vergangenen Dezember in Katar. Zum zweiten Mal in Folge waren sie in der Vorrunde gescheitert, von der einstigen Weltklasse keine Spur mehr.

Auch die deutschen Frauen haben den internationalen Fußball über Jahrzehnte dominiert, waren achtmal Europa-, zweimal Weltmeister. Der letzte große Titel, der Olympiasieg 2016, liegt allerdings schon sieben Jahre zurück. 

Und jetzt das WM-Aus in der Vorrunde und damit eine ungewisse Zukunft. In einer Gruppe mit Fußball-Zwergen aus Marokko, Kolumbien und Südkorea. Nach starkem Auftakt folgte das starke Nachlassen: 6:0 gegen die Nordafrikanerinnen bei deren erstem WM-Auftritt, 1:2 gegen Kolumbien, 1:1 im alles entscheidenden letzten Gruppenspiel gegen Südkorea. Zu wenig, weil gleichzeitig Marokko ein kleines 1:0-Wunder gegen die Kolumbianerinnen schaffte.

Harmlos, ideenlos, falscher Matchplan

DW-Autor Tobias Oelmaier
DW-Autor Tobias Oelmaier

Das deutsche Team wirkte bei dieser WM in Australien und Neuseeland harmlos, als es auf Widerstände stieß. Gegen top-motivierte und einsatzstarke Kolumbianerinnen schaffte die Spielerinnen es kaum, Chancen herauszuspielen. Ebenso wenig gegen taktisch hervorragend eingestellte Südkoreanerinnen. "Wir haben das, was wir können, nicht auf den Platz bekommen", sagte Offensivspielerin Jule Brand nach dem Abpfiff in Brisbane, fast wortgleich analysierte Lena Oberdorf das Unentschieden.

Aber wie weit ist es her mit dem Können? Alexandra Popp ist im Herbst ihrer Karriere weiter top, Lena Oberdorf sicher auch, dazu noch Marina Hegering, die allerdings verletzungsbedingt die ersten beiden Partien in Australien verpasste und ohnehin ihr letztes Turnier im Nationaltrikot gespielt hat. Und sonst? Viel Vorschusslorbeer, wenig Leistung.

Das hatte sich schon in der Vorbereitung angedeutet. Gegen Vietnam hatte sich das Team von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg noch zu einem knappen Sieg gewürgt, wenig später, im letzten Test, musste man sich sogar Sambia geschlagen geben. Dazu kamen jetzt noch einige Verletzungsausfälle, vor allem in der Abwehr.

Keine Probleme für Südkorea

Es fehlte offenbar ein klarer Matchplan. Nur auf die Kopfballstärke von Alexandra Popp zu setzen, ist zu wenig, wenn man Titel gewinnen will. Auch die kurz vor Schluss vorgenommene Taktik-Umstellung kam zu spät. Bis auf die eingewechselte Sydney Lohmann habe Deutschland keine Probleme bereitet, sagte Südkoreas Trainer Colin Bell im Interview nach der Partie. Und er klang dabei voller Mitleid mit der ehemaligen Fußball-Großmacht. 

 "Wir haben Herz gezeigt, aber die Leistung in den drei Spielen hat nicht gereicht", sagte Voss-Tecklenburg, sichtlich geschockt. Dem müsse man sich jetzt stellen, "in erster Linie in meiner Person". 

Personelles oder Systemversagen?

Die Bundestrainerin stellt sich also selbst in Frage. Und das ist gut so. Ergebnisoffen. Eine akribische, schonungslose Aufarbeitung ist vonnöten. Und die muss noch viel tiefer gehen, nicht nur die letzten Monate einschließen und die Taktik oder Aufstellung in diesem Turnier, sondern die grundsätzliche Ausbildung des Nachwuchses. Korrekturen werden sich möglicherweise erst in mehreren Jahren auf dem Spielfeld auszahlen.

Einen Kuschelkurs, ein mit Samthandschuhen anfassen, hat der Frauenfußball in Deutschland nicht verdient, würde ihn auch nicht weiterbringen. Jetzt, wo er medial und in der Gesellschaft angekommen ist, müssen sich die Protagonistinnen dieselben Fragen gefallen lassen wie die Männer nach ihrer Enttäuschung von Katar. Trotzdem: Sie als "Versagerinnen" zu bezeichnen, würde ihnen - wie auch der Mannschaft von Hansi Flick - nicht gerecht. Versagt hat das System, das sich zu lange auf den alten Erfolgen ausgeruht hat.