Michaels-Beerbaum: "Vorbilder müssen ihre Meinung sagen"
18. Juli 2019DW: Meredith Michaels-Beerbaum, wenn man in Ihre Biographie schaut, liest man sehr oft: "Sie war die Erste". Sie waren 2004 die erste Frau, die Nummer eins der Weltrangliste war. Sie waren 1999 die erste Frau, die für Deutschland in einem Championat geritten ist - bei der EM in Hickstead. Später waren Sie auch die erste Frau, die bei Weltreiterspielen in der deutschen Equipe geritten ist. Sehen sie sich selbst als eine Vorkämpferin für Frauen in einem Sport, der von Männern dominiert wurde?
Zunächst muss ich darauf hinweisen, dass ich mir nie hätte vorstellen können, jemals so weit zu kommen. Ich hatte zwar Träume wie jedes andere junge Mädchen in diesem Sport. Aber ich hätte nie gewagt davon zu träumen, in diese in Deutschland damals von Männern dominierte Sportart einzubrechen und die erste Frau zu werden, die im deutschen Team bei einem Championat antritt. Damit ist damals wirklich ein Traum wahr geworden.
Nachdem ich dann einmal im Sport drin war und erkannt hatte, wie wichtig meine Präsenz im deutschen Team für die Zukunft der Frauen in diesem Sport ist, wurde mir klar, dass ich die Flagge hochhalten und die Türen für andere Frauen öffnen musste. Ich war sehr stolz und glücklich, dass ich das tun konnte. In den darauffolgenden Jahren sind andere Frauen in Deutschland im Springreiten aufgetaucht und in die Nationalmannschaft gekommen. Es war also eine sehr lohnende Erfahrung.
Was waren die größten Hürden und Hindernisse auf dem Weg in die Weltspitze?
Als ich nach Deutschland kam und später, als ich deutsche Staatsbürgerin wurde, war sehr deutlich, dass Frauen in meinem Sport zweitrangig sind. Die Deutschen hatten noch nie eine Frau im Team gehabt und waren es nicht gewohnt - und sie hielten es auch gar nicht für notwendig. Aber nachdem ich ein gutes Ergebnis nach dem anderen erzielt und damit bewiesen hatte, dass ich tatsächlich nützlich für das Team sein könnte, hat sich diese Einstellung geändert.
Wie hat sich das geäußert?
Man wurde offener und hat mich aufgenommen. Sobald ich es in diese Gruppe geschafft und bewiesen hatte, dass ich würdig bin, Teil des Teams zu sein, fühlte ich mich behütet und beschützt von meinen männlichen Kollegen. Herbert Meyer, der damalige Bundestrainer, hatte die Nerven und den Mut, mich zu nominieren. Er hat damit mein Leben verändert und den Sport in Deutschland - definitiv zum Besseren.
Sie sind gebürtige US-Amerikanerin und damit in einem Land aufgewachsen, in dem im Springreiten der Frauenanteil in der Nationalmannschaft schon viel früher viel höher war als in anderen Ländern. Dennoch sind Sie im Jahr 1991 nach Deutschland gekommen, um hier im Stall von Paul Schockemöhle zu trainieren.
In Amerika war Reiten schon immer ein weiblich dominierter Sport. Es gab und gibt mehr Frauen als Männer im Spitzen-Reitsport. Im Laufe der Jahre hatten die USA auch großartige männliche Reiter, aber definitiv mehr Frauen. Und als ich nach Deutschland kam, war ich überrascht, als ich herausfand, dass es sich hier um eine männlich dominierte Sportart handelt - in Europa insgesamt. Ich bin nach Deutschland gekommen, weil mein Leben mich dort hinführte - und am Ende auch meine Liebe.
In Deutschland haben Sie auch ihren Ehemann Markus Beerbaum kennengelernt, der einige Jahre nach ihrer Hochzeit seine eigenen Ambitionen als Springreiter zurückgestellt hat, um ihre Karriere zu fördern und in den Fokus zu stellen. Die "Norm" in der Gesellschaft ist eher immer noch, dass der Mann Karriere macht und die Frau verzichtet. Wie kam es bei Ihnen zu dieser Entscheidung?
Mein Mann ist ein sehr großzügiger Mensch. Zu der Zeit, als ich mit Shutterfly und Checkmate zwei der besten Springpferde überhaupt hatte, hat er erkannt, dass ich, um die Nummer eins der Welt zu werden, ein weiteres Pferd brauchte, als Back up für die beiden anderen Pferde. Er hat mir dann sein Pferd Le Mans gegeben. Mit Le Mans war er vorher Siebter beim Großen Preis von Aachen geworden. Es war eine sehr selbstlose Entscheidung von ihm, und sie hat die Geschichte des Sports verändert, denn ich wurde tatsächlich die Nummer eins der Welt und bin bis heute die einzige Frau, die jemals Nummer eins war. Aber ohne Markus' unermüdliche Unterstützung hätte ich das nie geschafft.
Wenn man heute auf die Teilnehmerlisten beim Springreiten hier in Aachen oder auch bei anderen großen Reitsport-Events schaut, dann sind immer mehr Frauen dabei - obwohl sie immer noch in der Minderheit sind. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Ich finde das sehr positiv, und ich bin stolz darauf, ein Teil dieser Entwicklung gewesen zu sein. Als ich anfing, war es undenkbar, dass mehr als eine Frau unter den Top Ten der Welt sein könnte. Irgendwann in meinen erfolgreichsten Jahren waren dann tatsächlich sogar fünf Frauen in den Top Ten - ein absoluter Höhepunkt.
Ich denke, wir haben in Deutschland und in anderen Ländern bewiesen, dass der Sport für Männer und Frauen im Grunde genommen gleich ist. Es ist eine der wenigen Sportarten auf der Welt, in der das überhaupt so ist. Das macht den Reitsport einzigartig und unterscheidet ihn von anderen Sportarten.
Sie waren, auch bevor Sie nach Deutschland gekommen sind, eine erfolgreiche Sportlerin, haben aber auch an der Universität in Princeton Politikwissenschaft studiert. Was wäre aus Ihnen geworden, wenn es mit der Reitkarriere nichts geworden wäre?
Das ist eine gute Frage (lacht). Ich denke, wenn ich meine Liebe zum Sport hier in Europa und meine Liebe zu meinem Mann nicht gefunden hätte, wäre ich zurück in die Vereinigten Staaten gegangen. Und wer weiß, vielleicht wäre ich heute die demokratische Kandidatin, die 2020 gegen Donald Trump antritt.
Bleiben wir bei der Politik: Immer mehr Sportler engagieren und äußern sich politisch. Gerade in den USA - sei es Colin Kaepernick, LeBron James oder auch Megan Rapinoe. Was halten Sie davon, dass Sportler ihre Prominenz nutzen, um auf Missstände und politische Themen aufmerksam zu machen?
Ich finde es positiv, wenn Menschen die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu äußern. Wenn man eine gesellschaftliche Rolle spielt, sei es als Sportler oder als anderes Vorbild, an dem sich andere Menschen orientieren, dann halte ich es für wichtig, Werte zu haben und keine Angst zu haben, auch über sie zu sprechen. Ich finde, es ist in jeder Hinsicht wichtig, dass Vorbilder präsent sind und ihre Meinung sagen.
Bei der jüngsten Fußball-WM der Frauen wurde sehr viel über das Gender Pay Gap gesprochen, also die unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern. Wie stehen Sie dazu?
Die Rechte der Frauen müssen respektiert werden. Im Laufe der Jahre sind sie fast überall auf der Welt immer mehr respektiert worden - allerdings gibt es immer noch Länder, in denen das nicht der Fall ist. Wir müssen ständig für die Gleichstellung kämpfen: ob wir Frauen sind, ob wir Afroamerikaner sind, ob wir eine andere Nationalität haben. Ich denke, es ist sehr wichtig zu erkennen, dass wir alle gleich sind. Um es mit den berühmten Worten der Unabhängigkeitserklärung zu sagen: Alle Männer und Frauen sind gleich geschaffen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, der immer wieder wiederholt und betont werden muss.
Sie nehmen in diesem Jahr beim CHIO in Aachen nicht an den Wettkämpfen teil, sind aber unter anderem wegen einer Wohltätigkeitsveranstaltung der Laureus Stiftung vor Ort. Worum geht es bei der Aktion, und für wen engagieren Sie sich?
Laureus ist eine wunderbare Stiftung, die benachteiligte Kinder unterstützt und dabei den Sport nutzt. "Sport for Good" lautet der Slogan. Ich wurde vor einigen Jahren gebeten, Teil von Laureus zu werden. Hier in Aachen wird Geld gesammelt, um etwas für unterprivilegierte Kinder zu tun. Ich bin wirklich glücklich, ein Teil davon zu sein, und ich hoffe, dass ich in Zukunft noch viel mehr für Menschen tun kann, denen es nicht so gut geht wie mir. Ich möchte gerne etwas zurückgeben.
Meredith Michaels-Beerbaum, geboren 1969 in Los Angeles, ist eine der erfolgreichsten Springreiterinnen der Welt. Nach ihrer Hochzeit mit dem deutschen Springreiter Markus Beerbaum im Jahr 1998, nahm sie die deutsche Staatsbürgerschaft an. Mit der deutschen Equipe gewann sie unter anderem Team-Gold bei der WM 2010, zweimal EM-Gold (1999, 2005) und Olympia-Bronze (2016). Michaels-Beerbaum war 2004 die erste und ist bislang die einzige Frau an der Spitze der Weltrangliste im Springreiten. 2007 wurde sie Europameisterin im Einzel. Sie ist Mutter einer Tochter.
Das Interview führte Andreas Sten-Ziemons