Merkel erwägt EM-Boykott
29. April 2012Sollte die inhaftierte ukrainische Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko bis zum Beginn der in der Ukraine und in Polen stattfindenden Europameisterschaft (EM) in sechs Wochen nicht freigelassen werden, wolle Merkel ihren Ministern empfehlen, den Spielen fernzubleiben, berichtet das Magazin "Spiegel" vorab aus seiner neuen Ausgabe. Lediglich für Innenminister Hans-Peter Friedrich in seiner Funktion als Sportminister könnte demnach eine Ausnahme gelten.
Friedrich hatte in der vergangenen Woche erklärt, dass er eine Reise zum EM-Spiel Deutschland gegen die Niederlande an einen Besuch Timoschenkos knüpfen wolle. Merkel hatte es am Freitag offengelassen, ob sie in die Ukraine reisen wird. In die Entscheidung werde aber die Entwicklung in der Ukraine und der Fall Timoschenko einfließen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Mehrere Staatschefs sagen Treffen in Jalta ab
Wie das Magazin unter Berufung auf nicht näher genannte Regierungskreise weiter berichtete, hat nicht nur der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck ein Treffen zentraleuropäischer Staatschefs Mitte Mai im ukrainischen Jalta abgesagt. Auch die Präsidenten Österreichs und Sloweniens, Heinz Fischer und Danilo Türk, hätten ihrem ukrainischen Kollegen Viktor Janukowitsch eine Absage erteilt. Keine Entscheidung trafen demnach bislang die Staatschefs Estlands und Lettlands, Toomas Hendrik Ilves und Andris Berzins.
Über einen möglichen Boykott der EM wird seit Tagen diskutiert. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte bereits alle Politiker zum Boykott der Fußball-EM-Spiele im Land aufgefordert, erntete dafür aber nicht nur Zustimmung. So schloss sich der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach den Boykott-Appellen nicht an.
"Wenn sie stirbt, stirbt die Demokratie"
In einem dramatischen Appell hatte zuvor Timoschenkos Tochter, Jewgenija, die Bundesregierung aufgefordert, das Leben ihrer Mutter zu retten. "Das Schicksal meiner Mutter und meines Landes sind jetzt eins. Wenn sie stirbt, stirbt auch die Demokratie", sagte die 32-Jährige der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zeigte sich im selben Blatt schockiert über Berichte von Misshandlung: Timoschenko werde "entgegen aller rechtlichen und moralischen Pflichten in der Ukraine eine angemessene medizinische Behandlung verweigert", sagte er.
Aus Sicht der Europäischen Union ist das Verhalten der Ukraine eine Hürde auf dem Weg des Landes in die Gemeinschaft. Der Umgang mit Timoschenko sei "ein schmerzhafter Schandfleck für Kiew", sagte der für eine Aufnahme weiterer Länder zuständige Kommissar Stefan Füle der "Welt am Sonntag".
51-Jährige verbüßt eine siebenjährige Haftstrafe
Jüngste Fotos zeigen die ukrainische Oppositionspolitikerin mit Prellungen, die ihr Wachbeamte zugefügt haben sollen, ihre Familie spricht von Folter. Seit dem 20. April befindet sich Timoschenko im Hungerstreik. Deutsche Mediziner bescheinigen ihr ein schweres Rückenleiden, doch die ukrainische Staatsmacht verunglimpft sie als Simulantin.
Die 51-Jährige, die an Bandscheibenproblemen leidet, verbüßt eine siebenjährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs. Aus Protest gegen ihre Haftbedingungen trat Timoschenko vor mehr als einer Woche in einen Hungerstreik.
GD/det (dpa, rtr, dapd, afp)