Merkel rechnet mit Putin ab
17. November 2014Bundeskanzlerin Angela Merkel hat überraschend deutlich vor einem großen Flächenbrand durch die Ukraine-Krise gewarnt. Die Kanzlerin nutzte während ihres Besuchs im australischen Sydney eine außenpolitische Rede für schärfste Kritik an Kremlchef Wladimir Putin, den sie am Rande des G20-Gipfels in Brisbane unter vier Augen getroffen hatte. Mit Blick auf den Abschuss des malaysischen Flugzeugs MH17 über der Ukraine sagte sie: "Die Ukraine-Krise ist wahrlich keineswegs allein eine regionale Angelegenheit. Nein, an diesem Beispiel sehen wir: sie betrifft uns alle."
Moldawien, Georgien, Serbien etc.
Für Georgien, Moldawien und Serbien sehe sie besondere Risiken. In altem Denken betrachte Russland die Ukraine als seine Einflusssphäre und trete das internationale Recht mit Füßen, sagte sie vor mehreren hundert Zuhörern beim Lowy-Institut für internationale Politik, einem der renommiertesten sogenannten Think Tanks in Australien. "Das stellt nach den Schrecken zweier Weltkriege und dem Ende des Kalten Krieges die europäische Friedensordnung insgesamt infrage. Und es findet seine Fortsetzung in der russischen Einflussnahme zur Destabilisierung der Ostukraine."
Sie wolle keine Wiederbelebung der DDR-Zeiten, als ohne Moskaus Zustimmung keinerlei Bewegung möglich gewesen sei, sagte Merkel. Das sei mit den westlichen Werten nicht zu vereinen. "Es geht ja nicht nur um die Ukraine. Es geht um Moldawien, es geht um Georgien." Und wenn dies so weiter gehe, müsse man auch Serbien und die Westbalkanstaaten in den Blick nehmen. Putin verweigere eine Konfliktlösung im gegenseitigen Respekt und mit demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln. Er setze auf das angebliche Recht des Stärkeren und missachte die Stärke des Rechts. Dennoch werde die Europäische Union nichts unversucht lassen, mit Russland zu einer diplomatischen Lösung zu kommen.
Merkel mahnte dabei den Westen zur Einheit. Die größte Gefahr in Europa und der gesamten Welt sei, "dass wir uns auseinander dividieren lassen", sagte Merkel. Es sei deshalb wichtig, dass Europa und die USA den gleichen Weg gingen. Eine Beilegung der Ukraine-Krise mit militärischen Mitteln schloss Merkel hingegen kategorisch aus.
Putin: Krim-Eingliederung kein Bruch des Völkerrechts
Putin verteidigte seinerseits das Vorgehen in der Ukraine-Krise und kritisierte zugleich die Rolle des Westens. In der ARD sagte Putin, bei der Eingliederung der ukrainischen Halbinsel Krim in die Russische Föderation handle es sich nicht um einen Bruch des Völkerrechts. Russische Soldaten hätten die auf der Krim stationierten ukrainischen Streitkräfte vielmehr blockiert, damit die dort lebenden Menschen unter militärischem Schutz per Volksabstimmung über ihre Zukunft entscheiden konnten. Es sei darum gegangen, "Blutvergießen zu vermeiden". Im Gegensatz zum Kosovo, wo die Unabhängigkeit nur durch Parlamentsbeschluss erklärt worden sei, habe es auf der Krim ein Referendum gegeben. In Fragen der Selbstbestimmung sei ein Volk auch nicht verpflichtet, die Zentralregierung nach deren Meinung zu fragen.
Putin warnte zudem vor globalen Folgen der Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Was im Kontext der Strafmaßnahmen passiere, schade der globalen Wirtschaft, sagte Putin. "Vor allem schadet es den Russland-EU-Beziehungen."
sti/uh (afp, rtr, dpa)