Merkel sieht "wirkungsgleiche" EU-Beschlüsse
29. Juni 2018Nach ihrer Abschlusspressekonferenz zum EU-Gipfel in Brüssel stieg die Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Flugzeug nach Berlin, um dort ihre Koalitionspartner über die Beschlüsse zur Migrationspolitik zu informieren. Das tat sie wohl mit einem ganz guten Gefühl, denn sie konnte zumindest mit zwei Staaten, Griechenland und Spanien, vereinbaren, dass bereits in diesen Ländern registrierte Asylsuchende von deutschen Grenzen dorthin zurückgebracht werden können. Das gilt aber nur für Asylsuchende, die an drei bayerischen Grenzübergängen aufgegriffen werden, die heute bereits kontrolliert werden.
Mit den direkten Nachbarstaaten will die Kanzlerin vereinbaren, dass Asylsuchende, die sich bereits unberechtigt in Deutschland aufhalten, schneller zurückgenommen werden als bisher. Diese bilateralen Abkommen sollen zusammen mit den allgemeinen Beschlüssen zur besseren Sicherung der EU-Außengrenzen und zum Aufbau von Sammellagern außerhalb und innerhalb der EU die bayerische Schwesterpartei überzeugen, dass eine Wende in der Migrationspolitik eingeleitet wurde.
"Substantieller Fortschritt"
"Ich würde sagen, wenn wir das alles, was wir zu 28 vereinbart haben, plus zusätzlich das, was wir jetzt noch zusätzlich vereinbaren, auch wirklich umsetzen, dann ist das mehr als 'wirkungsgleich'. Das ist dann ein wirklicher substantieller Fortschritt", so die Kanzlerin.
Merkels Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat "wirkungsgleiche" Beschlüsse zur sofortigen Abweisung von bereits registrierten Asylbewerbern gefordert. Ansonsten wollte Seehofer gegen den Wunsch der Kanzlerin alleine handeln. Ob die Gipfelbeschlüsse aus Brüssel, die in vielen Bereichen noch vage sind und auch laut Angela Merkel keine umfassende Lösung der Migrationsfragen darstellen, ausreichen, um den Koalitionsstreit in Berlin zu beenden, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Mit Italien, einem der wichtigsten Ersteinreiseländer für Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten, konnte die Kanzlerin kein Abkommen schließen.
Italiens Populisten freuen sich
Der neue populistische Ministerpräsident Italiens, Giuseppe Conte, triumphierte stattdessen, weil er viele seiner Vorstellungen durchsetzen konnte. Conte blockierte zunächst Gipfelbeschlüsse zu anderen Themen, um einen Kompromiss bei der Migration zu erzwingen. Der italienische Premier geht davon aus, dass Italien nun überhaupt keine Migranten mehr aufnehmen muss. "Das ist jetzt ein europäisches Problem", so Conte. Italien und Frankreich setzten durch, dass die EU irgendwo an ihrer Außengrenze "Ausschiffungszentren" errichten soll, um Asylsuchende, die aus dem Mittelmeer gerettet werden, zunächst zu internieren und dann auf freiwilliger Basis in die EU zu verteilen.
Zur freiwilligen Aufnahme zusätzlicher Migranten sind aber die wenigsten Staaten bereit. Die Visegrad-Länder, Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien, lehnen das komplett ab. Aber auch andere halten sich bedeckt, sagte der Bundeskanzler von Österreich, Sebastian Kurz, nach dem Gipfel. "Ich habe mehrfach die Frage gestellt, ob es denn Staaten gibt, die mehr Migration in ihren Ländern erleben wollen. Wenn hier niemand aufzeigt, dann sollte er auch mitarbeiten, dass die Außengrenzen ordentlich geschützt werden." Sebastian Kurz, der am Sonntag für sechs Monate die EU-Präsidentschaft übernimmt, freute sich, dass die deutsche Bundeskanzlerin unter dem Druck der innenpolitischen Verhältnisse auf seine harte Migrationslinie eingeschwenkt sei. Diejenigen, die 2015 die Grenzen geöffnet hätten, müssten jetzt nicht nur in Sitzungen einen Kurswechsel vollziehen, sondern auch praktisch handeln, forderte der Regierungschef Österreichs.
Sammellager Afrika als Schlüssel
Neben den möglichen Ankunftslagern in Europa setzt die EU jetzt vor allem auf Sammellager in Libyen und weiteren Staaten Nordafrikas, um Menschen von der Flucht über das Mittelmeer abzuhalten. Noch gibt es aber keinen Staat, der ein solches Lager beherbergen würde, räumte EU-Ratspräsident Donald Tusk ein. Deshalb könne man diesen Gipfel auch noch keinen Erfolg nennen. All das, was da auf dem Papier stehe, müsse nun in die Tat umgesetzt werden. Die Idee, Lager außerhalb der EU zu errichten, ist nicht neu, soll aber jetzt mit mehr Nachdruck verfolgt werden, versprachen die EU-Staats- und Regierungschefs. "Diese Ausschiffungsplattformen sind wichtig, aber sie können nur zusammen mit einem Drittstaat gemacht werden. Deshalb habe ich immer und immer wieder dafür plädiert, dass wir nicht über die Köpfe solcher denkbarer Staaten hinweg sprechen, sondern dass wir das Gespräch suchen", mahnte Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin forderte wiederholt eine neue Partnerschaft mit Afrika. Die EU will zusätzliche 500 Millionen Euro in den "Treuhand-Fonds" für Afrika einzahlen, um Investitionen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge und Migranten zu ermöglichen.
Echte Reform der Asylregeln steht noch aus
Auf den Kern der europäischen Zusammenarbeit in Asylfragen, auf eine Reform der "Dublin-Regeln" konnte sich die EU nicht einigen, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Dublin legt fest, welches Land für ankommende Asylsuchende zuständig ist und wie Lasten verteilt werden könnten. Die Auffassungen dazu sind zwischen den Staaten an den südlichen Außengrenzen und denen im Inneren der EU völlig unterschiedlich. Solidarität gibt es hier noch nicht, meinte die Staatspräsidentin von Litauen, Dalia Grybauskaite, nach dem Treffen. "Das kann jetzt für einige Zeit die Reform der 'Dublin'-Regel vertagen, aber wir haben die nächste österreichische Ratspräsidentschaft aufgefordert, zu sehen wie wir weiterkommen. Denn das Phänomen der Migranten wird ja nicht aufhören, vielleicht noch stärker werden in den nächsten Jahren."
Linke und grüne Abgeordnete aus dem Europäischen Parlament haben die beschlossene Abschottung der EU-Seegrenze zu Libyen bereits scharf kritisiert. Flüchtlings-Hilfsorganisationen warnen davor, ausgerechnet dem dysfunktionalen Staat Libyen mehr Verantwortung für das Schicksal der Migranten übertragen zu wollen. Der Flüchtlings-Hochkommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) begrüßt zwar die Einigung der EU auf gemeinsame Schritte in der Asylpolitik, sieht die geplanten "Ausschiffungs-Lager" in Nordafrika aber kritisch.
Der Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, bewertete die lange Verhandlungsnacht zur Migration so: "Dies war ein besonders schwieriger Europäischer Rat." Die Bundeskanzlerin, die versucht hat, ihre eigene politische Haut zu retten, war zufrieden. "Ich muss sagen, dass es doch substantielle Entwicklungen gegeben hat, wo wir längst nicht am Ende eines Weges sind, wo wir aber sehr viel mehr Ordnung und Steuerung in die Dinge hineinbringen können, wenn wir das auch wirklich alles zielstrebig umsetzen." Auf die Frage, ob sie angesichts der Bewegung in der EU der CSU dankbar sei für die Krise in ihrer Koalition, musste die Kanzlerin kurz schmunzeln. "Ich habe das eher als Ansporn gesehen, jetzt hier Lösungen zu finden. Vielleicht hätten wir uns das sonst gar nicht so auferlegt."