Merkel und Schulz: Wahlkampf vor Managern
20. Juni 2017Es ist der wichtigste wirtschaftspolitische Kongress, den der Bundesverband der deutschen Industrie zu bieten hat. Einmal im Jahr trifft man sich in großem Stil in Berlin, redet über die Zukunft des Industriestandorts Deutschland, formuliert politische Forderungen und Ideen. Unter den Rednern sind immer auch Spitzenpolitiker, der Auftritt der Kanzlerin hat Tradition. Nicht anders lief es auch diesmal ab und doch hatten die politischen Auftritte ein anderes Gewicht.
Im September wird der Bundestag neu gewählt und obwohl der Wahlkampf offiziell noch gar nicht begonnen hat, ist er für das politische Spitzenpersonal schon längst in vollem Gange. Es gilt, sich parteipolitisch voneinander abzugrenzen, Ideen zu präsentieren, die beim Wähler ankommen und sich für die Übernahme der Regierungsverantwortung zu empfehlen.
SPD-Kandidat Schulz scherzt
Jede Gelegenheit wird dafür genutzt und natürlich auch der Tag der deutschen Industrie mit seinen mehr als 1500 Gästen. Er habe gelesen, dass Angela Merkel ihre Rede am Vormittag als Kanzlerin begonnen habe "und dann am Ende gesagt hat, dass sie als CDU-Vorsitzende redet", sagte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, der zwei Stunden nach der Kanzlerin seinen Auftritt hatte. "Ich schlage Ihnen vor, ich mache es umgekehrt: Ich starte zunächst als SPD-Vorsitzender und rede zum Schluss als zukünftiger Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland."
Dabei blickte der Rheinländer so verschmitzt und gleichzeitig selbstbewusst, dass ihm Applaus und Lacher sicher waren. Überhaupt ließ Schulz nichts unversucht, um die Manager davon zu überzeugen, dass die Sozialdemokraten ein verlässlicher Partner der Wirtschaft und die bessere Wahl wären. Reizthemen wie das gerade erst verabschiedete Renten- und Steuerkonzept der SPD stören da nur. Kein Wort also dazu und auch nicht über mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland.
"Ihr Erfolg ist unser Interesse"
Dafür redete Schulz um so mehr über steuerliche Forschungsförderung, über Bildung und Infrastruktur, über den Facharbeitermangel, über Bürokratieabbau und seinen Einsatz für die deutsche Automobil-, die Stahl- und die Chemiebranche während seiner Zeit in Brüssel. "Die deutsche Industrie ist das Rückgrat unserer Wirtschaft und das wird mit einer SPD-geführten Bundesregierung auch so bleiben, dass dieses Rückgrat die Stärkung und die Rückendeckung braucht, verdient und damit auch das kernindustrielle Land Europas bleibt."
Doch Schulz weiß selbst, dass die SPD bei den Unternehmern weniger gute Karten hat als die CDU, auch wenn er den Unternehmern zum Schluss noch "Ihr Erfolg ist unser Interesse" zuruft. Angela Merkel hatte am Morgen doppelt so lange reden dürfen wie der Kanzlerkandidat. Sie tat das in bewährter Manier. Punkt für Punkt hakte sie die politische Agenda ab, die sie als Bundeskanzlerin, Wählkämpferin, aber auch als deutsche G20-Präsidentin derzeit abzuarbeiten hat. Das ist ihre Art, für sich zu werben. Innpolitisch blieb sie weitgehend vage, erteilte aber einer großen Rentenreform eine Absage und versprach die Abschaffung des Solidaritätszuschlages für alle und nicht nur - wie von der SPD geplant - für untere und mittlere Einkommen.
Verpasst Deutschland den digitalen Anschluss?
Während die SPD unter anderem höhere Einkommen stärker zur Kasse bitten und auch sehr große Erbschaften stärker belastet sehen will, hält Merkel dagegen. "Wir wollen auch an der Erbschaftsteuer jetzt erst einmal nicht rühren." Auch eine Wiederbelebung der Vermögensteuer sei "das absolut falsche Signal". Das ist Musik in den Ohren der Unternehmer, entsprechend anhaltend war der Applaus, den die CDU-Vorsitzende an dieser Stelle einstreichen konnte.
Unterschiedliche Schwerpunkte legten Merkel und Schulz auch beim Thema Digitalisierung. Die Kanzlerin sprach den Aufbau digitaler Plattformen wie "Ali Baba" in China an, mit denen die Beziehungen der Kunden zur Wirtschaft neu definiert würden. Sie verspüre "eine gewisse Unruhe, ob wir schon da sind, wo wir hin müssen", so Merkel. "Ich bitte die deutsche Wirtschaft hier auch groß zu denken, weil es vielleicht eher Mobilitätsplattformen geben wird als Plattformen jeden einzelnen Herstellers oder jeder einzelnen Branche." Sie wolle, dass Deutschland eine eigene Wertschöpfungskette behalte und nicht "verlängerte Werkbank" werde.
Erstmal müssen Leitungen her
Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist bei diesem Thema aufmerksam. Allerdings sieht er Deutschland zunächst noch vor einem viel grundsätzlicheren Problem stehen. Der Breitband-Ausbau verlaufe viel zu schleppend. "Während im Rest der Welt der Wettbewerb um digitale Märkte auf Hochtouren läuft, bekommen wir es noch nicht einmal hin, ländliche Räume mit schnellem Internet zu versorgen." Die SPD werde das Versprechen für schnelles Internet in Stadt und Land bis 2025 in ihr Wahlprogramm schreiben, so Schulz. "Es muss Schluss sein mit diesen Trippelschritten." Unter ihm als Regierungschef würde die Digitalisierung zur Stabsaufgabe im Kanzleramt werden.
Auch Dietmar Kempf, dem Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) ist dieses Thema sehr wichtig. Mit seiner Internetgeschwindigkeit stehe Deutschland auf Platz 17 von 31 Nationen in Europa. Das Land sei von einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur weit entfernt, aber nicht nur das. Auch in die Verkehrs- und die Energienetze müsse viel mehr investiert werden. Deswegen halte der BDI auch nichts von "Steuersenkungen nach dem Gießkannenprinzip", so Kempf. "Unser Vorschlag lautet: Ein Drittel der Überschüsse für Investitionen, ein Drittel für Bildung, ein Drittel für Steuerstrukturreformen."
Massive Kritik an Trump
Harsch ging der Industrie-Präsident in seiner Rede mit US-Präsident Donald Trump ins Gericht. "Ob Einreiseverbote, der Rückzug aus Freihandelsabkommen, die Androhung von Strafzöllen oder die Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens: Diese Politik widerspricht allem, was die transatlantische Wertepartnerschaft mit den Vereinigten Staaten bisher ausgezeichnet hat." Nur wenige Volkswirtschaften seien so in die globale Arbeitsteilung integriert wie die deutsche. "Dies geschieht natürlich nicht, auch wenn einer am anderen Ende des Ozeans dies glaubt, auf Kosten und zu Lasten anderer Volkswirtschaften." Deutsches Kapital sorge in den USA für 700.000 Arbeitsplätze.
Deutschland müsse zudem aufpassen, nicht in einen globalen Wettkampf um Steuersenkungen hinein gezogen zu werden. Wenn die britische Regierungschefin Theresa May einen Steuersatz für Unternehmen von 19 Prozent in den Ring werfe und US-Präsident Trump darauf mit 15 Prozent kontere, während deutsche Unternehmen mit rund 30 Prozent belastet würden, dann habe das mit einer "Fair Tax Practice" der OECD nichts mehr zu tun.