"Wir werden uns nicht spalten lassen"
15. Januar 2015Die Frage, warum sich Mörder bei ihren Taten auf den Islam beriefen, sei "wichtig" und "dringlich", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag in einer Regierungserklärung zu den Anschlägen von Islamisten in Frankreich und deren Folgen. Nun gehe es um ''eine Klärung dieser Frage durch die Gelehrten des Islam". Merkel fügte hinzu: "Die Menschen fragen mich, welcher Islam gemeint ist." Die Bürger wollten wissen, warum Terroristen den Wert eines Menschenlebens so gering schätzen und ihre Untaten stets mit ihrem Glauben verbänden. Sie halte eine Klärung dieser Fragen durch die Geistlichkeit des Islam für wichtig und dringlich.
Den Franzosen sicherte Merkel nach den Anschlägen von Paris die klare Solidarität der Deutschen zu. "Wir sind erschüttert und fassungslos über den Tod von 17 unschuldigen Menschen", sagte sie. "Deutschland und Frankreich stehen in diesen schweren Tagen zusammen." In Deutschland gebe es keine Sicherheit, wenn es Frankreich keine Sicherheit gebe.
Kanzlerin nimmt Muslime in Schutz
"Wir werden uns nicht spalten lassen", sagte sie mit Blick auf den Terror von Paris. Diskriminierung und Ausgrenzung hätten keinen Platz in Deutschland. Der Staat werde alle Andersdenkenden und -gläubigen in Deutschland schützen. Den Muslimen sicherte Merkel erneut ihre Unterstützung zu. Jeglicher Generalverdacht gegen sie verbiete sich, betonte Merkel in ihrer Regierungserklärung. Die freie Ausübung des Glaubens müsse gewährleistet werden. Zugleich werde die Bundesregierung den Kampf gegen jede Form von Extremismus verstärken und Hassprediger "mit allen Mitteln bekämpfen." Die Taten der Terroristen hätten mit der Religion nichts zu tun, sagte Merkel: "Das ist für mich Gotteslästerung. Nichts anderes." Erneut bekannte sich die Kanzlerin dazu, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Zugleich sei der Kampf gegen Antisemitismus "staatliche und bürgerliche Pflicht" in Deutschland.
Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" hob Merkel auch die Bedeutung der Pressefreiheit hervor. Die Freiheit zu schreiben ohne Zensur nannte sie einen "der größten Schätze unserer Gesellschaft". In viel zu vielen Ländern der Welt gebe es echte Pressefreiheit nicht. Voraussetzung dafür sei Toleranz. "Sie ist eine anspruchsvolle Tugend, nicht mit Standpunktlosigkeit zu verwechseln."
Plädoyer für Vorratsdatenspeicherung
Die Kanzlerin sprach sich zudem für eine rasche Rückkehr zur umstrittenen Vorratsdatenspeicherung aus. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Bundesverfassungsgericht hätten den Rahmen vorgegeben, in dem eine Regelung hierzu möglich sei. Die Pläne liegen derzeit auf Eis. Die Union plädiert für eine Wiedereinführung. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) lehnt das jedoch ab. Vom Koalitionspartner kam jetzt im Bundestag vorsichtige Unterstützung. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Thomas Oppermann erklärte sich zu neuen Gesprächen über die umstrittene Vorratsdatenspeicherung bereiterklärt. Er warnte aber vor hektischen Gesetzesverschärfungen infolge der Terroranschläge von Paris. "Wenn wir unsere Freiheit im Interesse einer vermeintlich perfekten Sicherheit einschränken, dann fehlt am Ende beides."
Ein klares Nein kam von den Grünen. Statt einer anlasslosen Massenspeicherung von Telefon- und Internetdaten müssten bestehende Gesetze angewandt und die Bundespolizei besser ausgestattet werden. "Mehr Datenspeicherung und vermeintliche Gesetzesverschärfungen sind falsche Reflexe", sagte Fraktionschef Anton Hofreiter im Bundestag.
Gedenken an die Opfer
Zum Auftakt der Bundestagssitzung gedachten die Abgeordneten mit einer Schweigeminute der Terror-Opfer. Bundestagspräsident Norbert Lammert betonte in seiner Ansprache die Trauer, aber auch die Entschlossenheit der Gesellschaft. "Diese Entschlossenheit braucht es über den Tag hinaus, denn die Bedrohung ist nicht eingebildet, auch bei uns." Über die Motive der Dschihadisten sagte Lammert: "Mit Kulturkampf hat Terrorismus sicher nichts zu tun, mit Religion schon gar nicht." Die islamkritische "Pegida"-Bewegung in Deutschland betreibe indes "Demagogie statt Aufklärung", so der Parlamentspräsident unter dem Beifall der Abgeordneten.
qu/gmf (dpa, afp, rtr, Phoenix)