Merkel zwischen der Ukraine und Russland
10. April 2018Bundeskanzlerin Angela Merkel ist keine Frau, die zu Übertreibungen neigt. Umso bemerkenswerter war ihre Einschätzung zur aktuellen Lage des Minsker Friedensabkommens: "Leider sehr überschaubar, um es schon zu positiv zu sagen" sei der Fortschritt, teilte Merkel nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Berlin mit.
Es sei eine "intensive Diskussion" gewesen, sagte Merkel zu dem Gespräch mit Poroschenko über den andauernden Konflikt in der Ost-Ukraine. "Auch wenn es schwierig ist, dürfen wir nicht nachlassen."
Seit Jahren tobt in der Region ein bewaffneter Konflikt zwischen ukrainischen Regierungstruppen und pro-russischen Separatisten, die von Moskau unterstützt werden. Gemeinsam mit Frankreich hatte Deutschland 2014 in Minsk ein Friedensabkommen zwischen den beiden Ländern vereinbart.
Weil aber selbst jüngste Waffenstillstandsvereinbarungen zu Ostern nicht eingehalten wurden, soll nun ein Blauhelmeinsatz der Vereinten Nationen helfen. Doch Moskau und Kiew sind sich über die Bedingungen für die UN-Friedenstruppen uneinig. Sie streiten sich unter anderem über die Kontrolle des 400 Kilometer langen Grenzabschnitts zwischen beiden Ländern. Die Ukraine möchte die UN-Soldaten dort stationiert haben, um so Waffenlieferungen für die Separatisten zu unterbinden. Russland hingegen möchte in seiner selbsternannten Rolle als Vermittler in dem Konflikt die Blauhelmsoldaten lieber an der Front und als Begleitschutz für die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) positioniert sehen.
In Berlin warb Poroschenko für seine Vorstellung der UN-Friedensmission, die auch ein Mandat für die "Entwaffnung der widerrechtlichen Kampfeinheiten" haben müsse. Merkel versicherte ihm, dass Deutschland keine Mission gegen den Willen der Ukraine unterstützen werde. "Da brauch die Ukraine keinerlei Sorge zu haben", sagte Merkel.
"Kein Nord Stream 2 ohne Kooperation mit Ukraine"
Poroschenko war aber noch mit einer zweiten Mission zu Merkel gekommen: Der Absicherung der ukrainischen Rolle als Transitland für russisches Erdgas. Derzeit ist den Ukrainern insbesondere ein russisches Projekt ein Dorn im Auge: Nord Stream 2. Die 1200 Kilometer lange Gas-Pipeline soll künftig durch die Ostsee bis nach Mecklenburg-Vorpommern führen und von dort aus Erdgas in andere Teile Europas weiterleiten. Geplant wird das Projekt vom russischen Staatskonzern Gazprom. Russland und die Ukraine haben schon mehrfach über Gas-Preise und -Lieferungen gestritten.
Bereits vor seinem Besuch in Berlin hatte Poroschenko in einem Interview mit dem "Handelsblatt" gegen das Projekt gewettert. "Nord Stream 2", sagte Poroschenko der Wirtschaftszeitung, "ist das politische Bestechungsgeld für die Loyalität zu Russland, eine Wirtschafts- und Energieblockade gegen die Ukraine zu verhängen und uns massiv zu schaden."
Im "Handelsblatt" plädierte Poroschenko für eine Alternative: Investitionen in die bestehende Gas-Transit-Pipeline durch die Ukraine. "Wir sind sehr gern bereit, unsere europäischen Partner an der Leitung der Pipeline-Gesellschaft zu beteiligen", bot der ukrainische Präsident an. "Fragen sie uns einfach, statt zehn Milliarden Dollar in Nord Stream 2 zu investieren.
"Abgesehen von den Kosten ist Nord Stream 2 nicht unumstritten: Merkels Vorgänger Gerhard Schröder ist der Vorsitzender des Aktionärsausschusses für Nord Stream und Gazprom hält die Mehrheit an dem Konsortium. Das enge Verhältnis zwischen Ex-Bundeskanzler Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin war vor kurzem sogar Anlass für den ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin persönlich nach Sanktionen gegen Schröder zu fordern.
Poroschenkos Bedenken gegen die Pipeline fruchteten in Berlin: "Ich habe mir natürlich die ukrainischen Bedenken sehr aufmerksam angehört", sagte Merkel nach dem Treffen. Es könne nicht sein, so die Kanzlerin, dass durch Nord Stream 2 die Ukraine keinerlei Bedeutung mehr im Blick auf den Transit von Erdgas hat. Das Projekt Nord Stream 2 sei deshalb ohne eine Klärung der ukrainischen Rolle als Transitstaat aus ihrer Sicht nicht möglich. Aber, gab Merkel zu bedenken: "Es bleibt immer eine Abhängigkeit von russischem Erdgas."
Merkel und Putin für Fortbestand des Normandie-Formats
Die Abhängigkeit von Russland in all diesen Fragen wurde bereits vor dem Treffen von Merkel und Poroschenko deutlich: Noch am Montag hatte Merkel mit Putin telefoniert. Ein Vorgespräch, in dem beide erneut ihre Positionen absteckten. "Beide Seiten waren sich darüber einig, dass die Minsker Vereinbarungen zügig und vollständig umgesetzt werden müssen", teilte das Bundespresseamt im Anschluss mit. Der Waffenstillstand, "insbesondere die jüngst vereinbarte Osterfeuerpause" sei einzuhalten, "der Austausch der Gefangenen zu vollziehen".
Merkel und Putin hatten nach Angaben des Regierungssprechers betont, wie wichtig es sei, die gemeinsame Arbeit im Normandie-Format fortzusetzen. In der Gesprächsrunde verhandeln Deutschland und Frankreich seit 2014 mit Russland und der Ukraine das Minsker Abkommen. Für Poroschenko hatte sich das Einzelgespräch mit Merkel aber bereits gelohnt. Für beide seiner Anliegen konnte er ihr öffentliche Zugeständnisse abringen.