1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Ich möchte bei meinem Prozess dabei sein"

Gezal Acer
30. August 2018

Mehr als ein halbes Jahr saß Mesale Tolu in der Türkei im Gefängnis. Danach durfte die deutsche Journalistin zunächst nicht ausreisen. Nun ist sie zurück. Im DW-Interview spricht sie über die Zeit in Haft und ihre Pläne.

https://p.dw.com/p/342Io
Mesale Tolu
Bild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Deutsche Welle: Sie wurden Ende April 2017 wegen Terrorvorwürfen festgenommen und bis Dezember 2017 waren sie inhaftiert. Nachdem die Ausreisesperre am 20. August aufgehoben war, sind sie am vergangenen Sonntag nach Deutschland zurückgekehrt. Wie fühlen Sie sich?

Mesale Tolu: Ich fühle mich gut. Weil ich vor allem meine Heimat, meine Familie, meine Freunde und diese Sicherheit vermisst habe, die mir immer fehlte.

Sie waren zunächst gemeinsam mit Ihrem kleinen Sohn im Gefängnis, danach kam er frei. Wie war das für Sie? Möchten Sie über diese Zeit reden?

Ja, weil diese Zeit verarbeitet werden muss. Um diese zu verarbeiten muss man darüber reden. Es war eine sehr schwere Zeit, weil mein Sohn noch sehr jung war. Er war zu diesem Zeitpunkt zweieinhalb Jahre alt. Wie kann man von so einem kleinen Kind erwarten, dass es etwas versteht, das Erwachsene nicht verstehen? Mein Sohn hat sehr viel durchgemacht. Und jetzt, wo er zurück ist, merke ich, dass er sich an die Zeit erinnert.

Es sind immer noch hunderte Babys und Kinder gemeinsam mit ihren Müttern in türkischen Gefängnissen. Wie ist das Leben im Gefängnis mit Kind?

Kein Kind sollte ein Gefängnis von innen sehen. Das ist nicht die Realität, die wir draußen haben. Das sind Bedingungen, die eine Herrschaft aufgestellt hat, um die Menschen von der Gesellschaft abzuriegeln. Aber es gibt viele Kinder, die ihre Mütter brauchen. Deshalb müssen die Eltern eine Entscheidung treffen, die sehr schwerfällt. Ich hatte zum Beispiel erfahren, dass es meinem Sohn, der die ersten 17 Tage meiner Haft von mir getrennt war, psychisch schlecht ging. Zu dem Zeitpunkt war mir klar, dass er bei mir sein muss, damit ich ihm wieder Vertrauen geben kann. Im Gefängnis hatte er kein Spielzeug. Kinder in dem Alter brauchen Spielzeug. Deswegen haben wir viel selbst gebastelt. Wir haben versucht, die Wände mit Steinen und allem, was wir hatten, bunt anzumalen. Denn es ist dort sehr grau, kalt und alles aus Beton. Ich habe die Unterstützung von anderen inhaftierten Frauen bekommen. Es waren alles politische Gefangene, die schon Jahre inhaftiert waren oder Frauen, die nach dem Putschversuch ins Gefängnis kamen.

Zu diesem Zeitpunkt war ihr Mann ebenfalls im Gefängnis. Wie haben Sie sich in dieser Situation gefühlt?

Nachdem mein Mann inhaftiert wurde, war ich insgesamt nur drei Wochen in Freiheit. Ich habe ihn zweimal besucht. Mein Mann hat mich damals gefragt, ob ich nicht mit dem Kind nach Deutschland zurückkehren will. Aber die Familie von meinem Mann lebt nicht in der Türkei. Deshalb hätte er dort zunächst niemanden gehabt, der ihm Geld, Kleidung oder Bücher besorgen würde. Und noch bevor ich mir überlegen konnte, auszureisen, wurde ich ja inhaftiert. Es stand immer im Raum, dass man uns als ganze Familie bestrafen möchte. Die jetzige Regierung betreibt eine bestimmte Politik gegen Frauen. Sie sollen zu Hause bleiben, sie sollen Kinder gebären, am besten drei Stück, und sich nicht in die Politik einmischen. Das wird jeder Frau aufgezwungen. Normalerweise hätte ich als Mutter das Recht auf Haftverschonung gehabt. Aber politische Frauen dürfen das nicht in Anspruch nehmen. Sie sollen dafür bestraft werden, dass sie sich politisch engagiert haben.

Was für eine Rolle hat die Bundesregierung in dem ganzen Prozess gespielt?

Als ich in Polizeigewahrsam kam, wurde dem deutschen Konsulat nicht mitgeteilt, dass eine deutsche Staatsbürgerin inhaftiert ist - zehn Tage lang. Erst von meiner Familie wurde das Konsulat benachrichtigt. Am Anfang wurde Botschaftsangehörigen auch der Besuch verweigert. Es war die Zeit, in der die Krise zwischen Deutschland und der Türkei einen Höhepunkt erreicht hatte. Danach habe ich regelmäßig Besuch von Mitarbeitern des Konsulats bekommen. Und Botschafter Martin Erdmann hat mich dreimal besucht. Ich habe gespürt, dass mein Anliegen deren Anliegen geworden ist. Bei meiner Freilassung wurde ich von der Polizei aus dem Gefängnis entführt, weil das Polizeipräsidium den Beschluss gefasst hatte, dass ich abgeschoben werden soll - trotz der Ausreisesperre, die das Gericht über mich verhängt hatte. Das zeigt, wie willkürlich das System in der Türkei ist. An dem Tag bin ich nur frei gekommen, weil Botschafter Erdmann von Polizeistation zu Polizeistation mir hinterhergekommen ist und darauf beharrt hat, dass diese Unrechtmäßigkeit beendet werden muss.

In der Türkei sind hunderte Journalisten in Haft. Kritik wurde laut, dass die inhaftierten Journalisten mit deutschem Pass schneller auf freien Fuß kommen, als einheimische. So stand auch in der Zeitung Cumhuriyet die Schlagzeile "Der Pass macht den Unterschied." Warum haben sie die Zeitung dafür kritisiert?

Ich habe nicht die Vorteile eines deutschen Passes genossen. Das war meine Kritik. Ich habe diese sehr gewaltsame Hausrazzia erlebt. Ich war dreimal vor Gericht und habe mich immer verteidigt. Ich wurde entführt, über mich wurde eine Ausreisesperre verhängt. Dass der unterschiedliche Umgang mit deutschen und türkischen Journalisten kritisiert wird, halte ich generell für richtig. Aber ich denke nicht, dass das auf mich zutrifft. Wenn man sich alle Fälle mit deutschen Staatsbürgern anschaut, bin ich bis jetzt die am meisten Benachteiligte gewesen. Aber ich möchte es auch nicht auf mich alleine beziehen. Sehr viele Kollegen und Kolleginnen sind immer noch inhaftiert. Es gibt sehr viele kurdische Journalisten, deren Namen man nicht kennt, die im Südosten des Landes eingesperrt sind - wo es mehr Folter gibt, wovon man nichts mitbekommt. Und ich werde auch immer weiter darauf hinweisen, dass siebzigtausend Studenten und 570 Anwälte inhaftiert sind. Das sind alles politische Entscheidungen.

Viele Journalisten und Journalistinnen in der Türkei kämpfen für die Pressefreiheit - trotz des Risikos, dass gegen sie ermittelt wird oder ihnen Arbeitslosigkeit droht. Was bekommt man davon mit, wenn man im Gefängnis sitzt?

Wenn man fernsieht, bekommt man nichts Kritisches  mit. Alle oppositionellen Sender wurden per Dekret geschlossen. Es wird kaum noch über etwas Anderes als die Regierung berichtet. Wegen der Notstandsgesetze konnten wir im Gefängnis keine kritischen Zeitungen kaufen. Normalerweise hat man das Recht dazu. Wir haben nur die "Cumhuriyet" und manchmal die Zeitung "Birgün" bekommen. Und das auch nicht immer. Es hieß immer, die Zeitungen seien ausverkauft. Im Gefängnis merkt man, wie schlimm es um die Pressefreiheit steht.

Am 16. Oktober ist der nächste Prozesstermin in der Türkei und Sie möchten anwesend sein. Wie geht es für Sie jetzt weiter?

Ich habe mit meinen Anwälten geredet. Solange meine Einreise nicht verhindert wird, spricht nichts dagegen, wieder zurückzufliegen. Ich wurde ja nicht abgeschoben. Ich habe mich schon verteidigt. Ich möchte jetzt einfach dabei sein. Aber zunächst möchte ich hier in Deutschland wieder ankommen. Vor allem möchte ich dann so schnell wie möglich wieder arbeiten und mich weiterhin für meine Freunde und Kollegen einsetzen, ihnen Gehör verschaffen. Wenn ich weiß, die Menschen hören mir zu, dann möchte ich die Chance nutzen, um auf die Menschenrechte und die Meinungs- und Pressefreiheit hinzuweisen.

Die 33-jährige deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu wurde am 30. April 2017 bei einer Razzia in Istanbul festgenommen und saß bis Dezember in Untersuchungshaft. Die Türkei wirft Tolu Unterstützung der verbotenen linksextremen Gruppe Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) vor. Ihr türkischer Ehemann Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, darf das Land weiter nicht verlassen.

Das Interview führte Gezal Acer.