Meschrabpom - die rote Traumfabrik
13. Februar 2012Viele Filme der Retrospektive waren lange nicht mehr zu sehen. Manche kommen gar zum ersten Mal in die deutschen Kinos. Die diesjährige Berlinale-Retrospektive hebt einen Schatz. Nicht nur für Cineasten. "Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht ist diese Retrospektive auch deshalb bedeutsam, weil sich Filme inzwischen als historische Quellengattung in der Forschung fest etabliert haben", sagen Rainer Rother und Nikolaus Katzer. Der Direktor der Deutschen Kinemathek und sein Kollege vom Deutschen Historischen Institut in Moskau sind für die filmhistorische Schau der Berliner Filmfestspiele verantwortlich.
Ein Appetithappen vorab
Es gebe noch so manchen Schatz aus den Archiven zu heben, betonen die beiden und deuten an, dass auch diese Filmschau nur ein Zwischenschritt beim Aufspüren lang verschütteter filmhistorischer Quellen ist. Doch jetzt kommen die Berlinale- Zuschauer erst einmal in den Genuss von 40 Filmen des deutsch-russischen Studios Meschrabpom. Rund 600 Streifen wurden in den Jahren zwischen 1922 und 1936 gedreht. Die allermeisten in der Sowjetunion, einige wenige, aber bedeutsame, auch in Deutschland. Gegründet wurde das Studio 1922 vom "roten Medienunternehmer" Moisej Alejnikow und von Willi Münzenberg, einem engagierten linken Filmproduzenten aus Berlin.
Es war eine überaus fruchtbare künstlerische und auch kommerzielle Kooperation zwischen den beiden Ländern, bis sie von den Machthabern in Berlin und Moskau jäh beendet wurde. Hitler und Goebbels sorgten 1933 dafür, dass die Freiheiten, die sich die Regisseure und Produzenten von Meschrabpom hatten herausnehmen können, im Keim erstickt wurden. Stalin und seine Schergen zogen drei Jahre später die Reißleine. In beiden Ländern sorgte die Filmindustrie von nun an für nationale Propaganda. Der Name Meschrabpom ist übrigens ein Akronym für Meschdunarodnaja Rabotschaja Pomosch - zu deutsch: Internationale Arbeiterhilfe.
Ein privates Studio in Moskau
Zuvor hatte Meschrabpom für über ein Jahrzehnt für eine Blüte der Filmkunst gesorgt. Was umso erstaunlicher ist, weil das in Moskau ansässige Studio - der deutsche Zweig Prometheus arbeitete von Berlin aus - nach privatwirtschaftlichen Maximen arbeiten konnte. Man musste Geld verdienen und das wollte man auch. Bei Meschrabpom entstanden Filme, die die russische Revolution behandelten - und sie auch glorifizierten -, dies aber auf eine formal so kühne Art und Weise taten, so dass Filmschaffende und das Publikum in aller Welt beeindruckt waren. Die großen russischen Regisseure der Zeit, von Sergej Eisenstein über Boris Barnet bis zu Wsewolod Pudowkin, arbeiteten alle für das Studio.
Daneben wurde aber auch das größere Publikum angelockt. Kommerzielle Elemente waren keinesfalls Tabu: "Was den Unterhaltungsfilm angeht, war man durchaus wagemutig", sagt Rother. Eine seltene Mischung, findet er, ein deutsch-russisches Gemeinschaftsunternehmen unter Bedingungen, "die ganz einzigartig waren, nicht verstaatlicht und damit eben auch mit einer gewissen Freiheit zum Experiment ausgestattet". Meschrabpom sei - auch und vor allem was die Filmtechnik betraf - immer sehr experimentierfreudig gewesen.
Innovatives Kino
In dem Studio entstand der erste russische Tonfilm, zum ersten Mal überhaupt wurde dort mit Farbe gearbeitet. Man experimentierte bei Meschrabpom mit verschiedenen Genreelementen, baute ein eigenes Dokumentarfilmstudio auf, entwickelte eine Abteilung für Animationsfilme. So entstanden inzwischen als Klassiker der Filmgeschichte gepriesene Werke wie "Das Ende von St. Petersburg" und "Panzerkreuzer Potemkin", aber auch hierzulande weniger bekannte Filme, die nun in Berlin auf ein besonders großes Interesse stoßen dürften.
Günter Agde hat - gemeinsam mit Alexander Schwarz - die Retrospektive zusammengestellt: "Eine Reihe von Filmen sind in Deutschland bekannt, weil sie vor 1933 in den Kinos liefen. Wir haben aber in den russischen Archiven auch Filme gefunden, die in Deutschland nicht bekannt sind, die uns aber durch das Thema oder den Filmemacher oder aber eben auch durch die filmische Umsetzung sehr gepackt haben". Man habe sich in den Moskauer Archiven intensiv darum bemüht, diese Filme für die Berliner Retrospektive nach Deutschland zu holen.
In der Weimarer Republik trafen die russischen Filme seinerzeit auf große Begeisterung. Vor allem Intellektuelle wie Walter Benjamin, Siegfried Kracauer oder Alfred Kerr erkannten die ästhetischen Neuerungen. Letzterer textete über "Das Ende von St. Petersburg": "Ein Film von Russen gebändigt, ist nicht mehr ein Film, sondern eine Wahrheit. Ohne Kitsch. Ohne viel Hermachen. Ohne Apparat." Viele Linksliberale und Linke sahen in den russischen Meschrabpom-Filmen - zu Recht - mehr als Propaganda und Unterhaltung für die Massen.
Inspirationen auch für Deutschland
Das sollte auch Folgen für Deutschland haben. In der späten Weimarer Republik entstanden beim deutschen Meschrabpom-Ableger Prometheus sozial engagierte Filme wie "Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt" von Slatan Dudow, an dessen Drehbuch Berthold Brecht mitgewirkt hatte, und "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" von Phil Jutzi. Die Firma wurde für einige Jahre zum Zentrum des linken Films: "Prometheus war zunächst nur gedacht, um russische Filme nach Deutschland zu bringen und hatte dabei auch ein Monopol", sagt Rainer Rother. Es habe damals aber eine Kontingentvorschrift gegeben, die vorschrieb ausländische Filme nur dann nach Deutschland zu bringen und zu zeigen, wenn es dafür einen Ausgleich geben würde. Diese Kompensation hieß: Es musste auch in Deutschland produziert werden. "Also wurde Prometheus auch zur Produktionsfirma und fing an, mit den berühmten Namen des linken Films zusammenzuarbeiten."
Die Retrospektive der Berlinale zeigt nun einen kleinen, aber wichtigen Teil der damaligen Produktion. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen in den russischen Archiven sei sehr fruchtbar gewesen, berichtet Agde, der in den vergangenen Monaten immer wieder nach Moskau gereist ist. Einige Filme waren allerdings in einem so schlechten Zustand, dass man sie nicht mehr zeigen kann. Besonders schmerzhaft habe man das beim ersten sowjetischen Farbfilm, "Grunja Kornakowa" aus dem Jahre 1936, erfahren müssen. Ein kleiner Wermutstropfen.
Doch es bleiben genügend aufregende filmische Entdeckungen für die Zuschauer der Berlinale: Filme, die zum Teil erstmals in restaurierten und wiederhergestellten Fassungen das Licht der Kinoleinwand in Deutschland erblicken.
Zur Retrospektive ist ein Buch erschienen:
Günter Agde/Alexander Schwarz (Hrsg.): Die rote Traumfabrik: Meschrabpom-Film und Prometheus (1921-1936), Verlag Bertz + Fischer 2012, 264 Seiten, 29,90; ISBN: 978-3865052148.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Birgit Görtz