"Mich interessiert nur, was ich nicht kapiere"
15. Februar 2005
Gerhard Richter erfindet Bilder. Seit Jahrzehnten pflegt er eine tiefe philosophische Skepsis gegenüber dem alltäglichen "Bild", das sich der Mensch von der Wirklichkeit macht. Richter war irgendwann einmal Dunkelkammer-Assistent eines Profifotografen. 1962 nahm er erstmals eine Fotografie als Ausgangspunkt seiner Malerei. Seitdem sammelt er systematisch Fotos – als Malvorlage.
Es war also kein Zufall, dass er sich besonders mit seinen verwaschenen Alltagsmotiven nach Fotovorlage in der Kunstszene einen Namen machte. "Ich mag alles, was keinen Stil hat: Wörterbücher, Photos, die Natur, mich und meine Bilder. Denn Stil ist Gewalttat, und ich bin nicht gewalttätig", schrieb Richter in seine Notizen (1964/65). Heute setzt er sich unter anderem mit unsichtbaren Molekularstrukturen auseinander: Das Riesenmotiv "Strontium" ist neun mal neun Meter groß und zeigt hunderte verschwommener Molekular-Kugeln in Grau und Schwarz – in computergenerierter Reihung.
Weg von Ost nach West
Gerhard Richter wurde 1932 in Dresden geboren, wuchs in der Oberlausitz auf und verließ die DDR nur wenige Monate vor dem Mauerbau 1961. Er hatte als Bühnenmaler in Zittau gearbeitet, Spruchbänder für einen volkseigenen Betrieb gemalt, an der Dresdener Kunstakademie studiert. Im Westen fing er mit einem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie von vorne an. Seine Arbeiten aus DDR-Zeiten ließ er in seinem späteren Werkverzeichnis unter den Tisch fallen.
"Etwa jedes zwanzigste Bild ist ein realistisches", erzählte der Maler in einem seiner seltenen Interviews. "Wenn man von einer Sache genug hat - dann muss man was anderes tun." Zum Beispiel alle Grundfarben mischen und in Form von stumpf-mausgrauen Leinwänden ausstellen ("Vermalung, grau"/1972). Oder die Farbwerte nach Industrietabellen zerlegen ("Zehn große Farbtafeln"/1966/72). Oder imaginäre Bildräume konstruieren mit gewaltigen abstrakten Buntmotiven (Triptychon "Faust"/1980, in Gelb-Rot) und breiten Farb-Schlieren ("Wand"/1994).
No. 1 aus 100
Heute gilt Richter als einer der einflussreichsten zeitgenössischen Maler. 2004 wurde er vom Kunstkompass der Zeitschrift "Capital" zum renommiertesten Künstler der Welt gekürt. Die Zeitschrift bewertet seit 1970 Ruhm und Rang internationaler Künstler nach einem Punktesystem für Ausstellungs- und Publikationserfolge. Nach Meinung der Ausstellungsmacher, Publizisten und Museumsdirektoren hat Gerhard Richter im Jahr 2004 10.000 Punkte zugelegt.
Seine Werke erzielen Spitzenpreise auf dem internationalen Kunstmarkt: Das Ölgemälde "Drei Kerzen" (1982) wurde 2001 bei Sotheby's für 5,4 Millionen Dollar versteigert. "Das sind pro Kerze rund 1,8 Millionen Dollar", witzelten die Sammler – aus Verlegenheit. Sie hatten einfach nicht damit gerechnet. Den Durchbruch schaffte Richter 1998: Damals hatte das englische Auktionshaus Christie's sein "Seestück" (1969) auf 300.000 bis 400.000 Pfund (heute: 435.000 bis 580.000 Euro) geschätzt – völlig überraschend erzielte es 1,4 Millionen Pfund (2 Millionen Euro). Seitdem ist Richter richtig teuer.
Teure Anschaffung
"Stadtbild Madrid" (1968) wechselte 2003 auf abenteuerliche Weise in den USA den Besitzer: Das Kunstmuseum Bonn, das die Richter-Sammlung des Duisburger Unternehmers Hans Grothe beherbergt, hatte es für eine Retrospektiv-Tournee ausgeliehen – und nie zurückerhalten. Weil es Hans Grothes Sohn kurzerhand in Übersee verkauft hatte. Gerhard Richter taxierte "Madrid" auf acht Millionen Euro. Im Durchschnitt kostet "ein Richter" heute 300.000 bis 400.000 Euro. "Ich verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung. Ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen", formulierte der Maler bereits 1966 als sein Credo. Er hält sich dran. Bis heute.