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Ein gelungenes Leben

Gero Schließ10. Dezember 2013

Er flüchtete unter Lebensgefahr aus Hitlers Berlin und wurde später amerikanischer Finanzminister. In "From Exile to Washington" erzählt Michael Blumenthal seine bemerkenswerte Lebensgeschichte.

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Michael Blumenthal
Bild: Imago

Der Bogen seines Lebens spannt sich weit, fast neunzig Jahre lang. Und man darf es ruhig sagen: Michael Blumenthal, der erfolgreiche Geschäftsmann und Politiker, der hoch geachtete Gründungsdirektor des Jüdischen Museums in Berlin, führt ein erfülltes, ein gelungenes Leben. Das strahlte er auch aus, als er im New Yorker Leo Baeck Institut sein jüngstes Buch "From Exile to Washington" vorstellte.

Überleben mit Kraft und Haltung

Dabei begann dieses Leben in einem der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte und war hochgefährdet. Der kleine Junge, der Adolf Hitler auf dem Kurfürstendamm noch mit eigenen Augen gesehen hat, wurde gemeinsam mit seiner Familie Opfer von Hitlers Rassenwahn. Und weiß heute, dass er aus extremen Situationen wie dieser eine Kraft und Haltung gewann, die sein Leben doch noch zu einem gelungenen werden ließen.

"Ich habe viel in den Zeiten gelernt, als ich ganz unten war", erzählt Blumenthal im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Ich bin als jüdisches Kind in Berlin geboren und aufgewachsen, bevor es mich dann zusammen mit meinen Eltern nach China verschlagen hat. Arm, ohne weltliche Güter sozusagen. Ich wurde während des Krieges von den Japanern in einem Ghetto gefangen gehalten und habe unter ziemlich schrecklichen Umständen gelebt."

China Shanghai im Jahr 1937
Shanghai im Jahre 1937Bild: picture-alliance/dpa

Blumenthal hat gesehen, wie andere jüdische Emigranten in dieser schwierigen Situationen zurechtkamen - wie plötzlich Frauen oder Jugendliche über sich hinauswuchsen und "Leadership" entwickelten. Und er hat gelernt, "dass es darauf ankommt, was der Einzelne aus sich selbst heraus schaffen kann. Dass es nicht auf Geld, Titel, Position oder Beziehungen ankommt, sondern auf die eigenen inneren Kräfte. Dass man nicht aufgeben darf, sondern weitermachen und auf sich vertrauen muss". Ohne dass es ihm zunächst recht bewusst wurde, habe ihn dies zutiefst geprägt und sich auch auf sein Denken und Handeln im späteren Leben ausgewirkt.

Starke Persönlichkeiten machen Geschichte

In seinem gut 400 Seiten starken Buch erzählt Blumenthal sein Leben chronologisch: Von Berlin und Shanghai über seine Einwanderung in die USA, den raschen Aufstieg als Wirtschaftsmanager, seine Arbeit in der Administration dreier Präsidenten, zuletzt als Finanzminister unter Jimmy Carter - bis zu der auch für ihn überraschenden Berufung zum Gründungsdirektor des Jüdischen Museums in Berlin.

Blumenthal glaubt daran, dass es die Menschen sind, die Geschichte machen, nicht die Umstände. Und ihn hat interessiert, welche Rolle starke Persönlichkeiten spielen. Adolf Hitler, so seine Lesart, konnte sein Terror- und Kriegshandwerk nur deswegen ausüben, weil seine innen- und außenpolitischen Gegenspieler schwach waren. "Nach dem zweiten Weltkrieg war genau das Gegenteil der Fall: Es gab auf beiden Seiten des Atlantiks großartige Führungskräfte, die weitsichtig waren: Roosevelt, Churchill, De Gaulle, Adenauer, auch die Opposition in Deutschland."

Buchcover Michael Blumenthal From Exile to Washington

Scharfe Kritik und Visionen

Auch heute, sagt Blumenthal mit Verweis auf Bundeskanzlerin Merkel, brauche man sich in Deutschland über Leadership nicht zu beklagen. In seinem eigenen Land stehe es dagegen schlecht um die Führungsqualitäten der Politiker. "Nachdem ich für drei Präsidenten gearbeitet habe und mehrfach in Washington in der Regierung war, ist es besonders schmerzlich für mich, zu sehen, wie unmöglich es ist, zwischen den Parteien Kompromisse zu erarbeiten und Entscheidungen zu treffen. Nichts bewegt sich bei uns." Für die Blockade macht er vor allem die Tea Party verantwortlich: "Die sind einfach Nihilisten, die zu allem Nein sagen. Damit haben sie ein Stop für alle wichtigen Entscheidungen erzwungen. Das ist schrecklich."

Die Geschichte des Jüdischen Museums, das Blumenthal als Gründungsdirektor seit 1997 leitet, ist für ihn hingegen ein Beispiel für entschlossene politische Führung. "Man bat mich, diese Position zu übernehmen, weil das Projekt eines jüdischen Museums in Berlin vollkommen verfahren war. Weil die Leute sehr zerstritten waren, weil man sich gegenseitig des Antisemitismus beschuldigt hat und die verschiedenen Interessen aufeinander gestoßen sind." Gemeinsam mit Gleichgesinnten sei es ihm schließlich gelungen, "diese Karre aus dem Schmutz zu ziehen" und eine Vision zu erarbeiten, wie so ein Museum aussehen soll. "Auch deshalb ist das Jüdische Museum heute eine Institution, die in der Bundesrepublik eine ziemlich wichtige Rolle spielt. Größer jedenfalls als ich mir das vorgestellt habe."

Langsam denkt er ans Aufhören

Man kann sich kaum vorstellen, dass der energetische Mann eines Tages nur noch im Lehnstuhl sitzt - ohne herausragende Aufgaben und Ziele. Doch: "In meinem Alter ist es mit dem Aufhören schon höchste Zeit. Ich bin bald 88 Jahre alt", sagt er und will so ganz doch nicht von seinem geliebten Berliner Ziehkind lassen. "Ich werde nie aufhören - selbst indirekt -, mich um das Jüdische Museum zu kümmern. Das ist mir so ans Herz gewachsen, dass ich das bis zum Ende bestimmt weiterverfolgen und irgendwie mit dabei sein werde."