Ursprünge der Gewalt
8. Oktober 2009Die "Goldene Palme" ist der bisherige Höhepunkt im Schaffen Michael Hanekes. Dabei dürfte es dem 1942 in München geborenen und in Wien aufgewachsenen Haneke gar nicht einmal so auf äußerliche Anerkennungen wie Festivalpreise ankommen. Doch gefreut hat er sich schon im Mai, dieser kluge und manchmal etwas distanziert wirkende Österreicher, den man inzwischen mit Fug und Recht zum kleinen Kreis der überall anerkannten und erfolgreichen Regisseure des internationalen Weltkinos rechnen dürfte.
Karrierestart beim Theater und Fernsehen
Dabei hatte die Karriere für den heute weltweit gefeierten Filmregisseur gar nicht so spektakulär angefangen. Haneke inszenierte zunächst einmal für verschiedene Theaterbühnen Stücke von Strindberg oder Enquist, auch fürs Fernsehen, Literaturverfilmungen vor allem. Sein Kinodebüt, "Der siebente Kontinent", folgte erst im Jahre 1989, da ging Haneke schon auf die 50 zu. Doch wer diesen Film in einem der wenigen Programmkinos, die ihn damals spielten, gesehen hat, der dürfte ihn nicht mehr vergessen haben. Einen so unerbittlichen, so schneidend schmerzhaften Tonfall, ein so mitleidlos inszeniertes Familiendrama, das hatte man zuvor nicht gesehen.
Analyse von Gewaltmechanismen
"Der siebente Kontinent" erzählt von einer dreiköpfigen Familie, die Selbstmord begeht. Ebenso wie in seinen folgenden Filmen "Benny's Video" und "71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls" hatte Haneke hier zu seinem Thema gefunden: Menschen dabei zu beobachten, wie sie in der modernen Welt mit Gewalt umgehen. Das wurde in den verschiedensten Variationen durchgespielt. Mal richtete sich die Gewalt gegen den eigenen Körper, mal gegen andere. Und für diesen Reaktionen gab der Regisseur dem Zuschauer eine Menge Erklärungsmodelle mit auf den Weg.
Der Einfluß der Medien
Zum einen analysierte Haneke stets den Einfluß der Medien auf die Menschen. In "Benny's Video" zum Beispiel ist es ein 14-jähriger Junge, der in einem meist verwaisten Elternhaus Filme guckt und sonst kaum etwas mit sich anzufangen weiß. Schließlich tötet er ein gleichaltriges Mädchen, ohne rechtes Motiv, eigentlich nur, weil er die Erfahrung machen will, wie das so ist, ein Leben zu beenden. Lange vor der erst sehr viel später einsetzenden gesellschaftlichen Debatte über den Zusammenhang von Medien und Gewalt in der Gesellschaft hatte der Österreicher hier früh Seher-Qualitäten bewiesen.
Gewaltspirale ohne Ende
Ein anderes starkes und sich wiederholendes Motiv im Werk des Regisseurs ist die zunächst kaum sichtbare Gewalt, die in der Erziehung, im familiären Zusammenleben ausgeübt und mehr oder weniger weitervererbt wird. Dieses Motiv klang besonders intensiv in der Verfilmung des Elfriede Jelinek-Textes "Die Klavierspielerin" an. Hier ist es die von Isabelle Huppert gespielte Tochter, die sich im gemeinsamen Haushalt mit der psychisch deformierten Mutter quält und selbst drangsaliert.
"Das weisse Band"
Auch in seinem neuesten Film "Das weisse Band" breitet Haneke einen schonungslosen wie bitteren Kosmos von Gewalt und Gegengewalt aus. Der in Cannes prämierte Film erzählt die Geschichte eines kleinen Dorfes im protestantischen Norden Deutschlands kurz vor dem Ausbruch des 1. Weltkriegs. Ein herrischer Baron, ein sadistisch-strenger Pfarrer, ein sich an der eigenen Tochter vergreifender Dorfarzt, dazu die unter dieser Kälte und Menschenfeindlichkeit leidenden Kinder - Hanekes Figuren sind allesamt gequälte Seelen, sowohl die Täter als auch die Opfer.
Pessimistische Weltsicht
Dass diese Kette von Gewalt und Gegengewalt kaum zerschlagen werden dürfte - das ist eine konsequente wie pessimistische Sicht des Regisseurs, der in vielen Interviews darauf beharrte, dass sein Film auch in anderen Zeiten und Zusammenhängen hätte spielen können. Haneke will sich nicht nur auf die Deutung einer bestimmten historischen Epoche festlegen lassen.
Kühle Erzählkonsequenz
Es ist diese messerscharfe und in manchen Sequenzen kaum zu ertragende Kälte, die Hanekes Filme immer wieder so fasziniernd wie aber auch abschreckend machen. Wie schon in "Der siebente Kontinent" oder auch in "Funny Games" (1997), der den mörderischen Überfall zweier Jugendlicher auf eine gutbürgerliche Familie mit aller Brutalität zeigt, so ist auch "Das weisse Band" von schockierender Härte. Das heißt nicht, dass bei Haneke viel Blut fließt, dass die Gewalt wie in modernen Special-Effects-Reißern aus Hollywood oder Asien ausgiebig zelebriert wird. Das hat Haneke nicht nötig.
Berückende Kinoerfahrungen
Gerade durch Aussparung, durch die Stimmingkeit seiner Figuren, aber auch durch die feste Verwurzelung seiner Geschichten in der Realität, haben seine Filme etwas schockierendes, etwas auswegloses. Vergnügen kann man sich mit ihnen nicht. Doch es sind einzigartige Kinoerfahrungen, die der Österreicher dem Zuschauer bietet. Erfahrungen, die man sonst im internationalen Kino kaum machen kann, die einen fordern, verschrecken und verstören. Gleichgültig dürften die Filme des Michael Haneke keinen Zuschauer aus dem Kinosaal entlassen.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Conny Paul