Michael Moore und die neue Streitkultur in den USA
5. Juni 2004Als der Bestseller-Autor und Dokumentarfilmemacher Michael Moore im letzten Jahr auf Deutschland-Lesereise war, schrieben seine deutschen Kritiker (voneinander ab?), dass er in den USA weniger beliebt sei als in Deutschland und hierzulande vor allem deswegen erfolgreich, weil er mit seiner Bush-Kritik anti-amerikanische Klischees bediene.
Jetzt hat er mit seinem neuen Film "Fahrenheit 9/11" die Goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes gewonnen. Und dass die Sache im Irak sich schwieriger gestaltet, als von vielen angenommen, ist mehr und mehr Konsens geworden. Schon die ersten Kritiken bezeichnen seinen Film als abendfüllenden Wahlwerbespot gegen Bush, was Moore auch nicht bestreitet.
Moore ist ein "linker Patriot"
Doch der Wahlkampfkontext reicht nicht aus, um die spezifische Funktion und Wirkung der Moore'schen Produkte bei den politischen Auseinandersetzungen in den USA zu erfassen – und für eben diese sind sie vor allem gedacht. Moore reagierte bei der Lesereise sichtlich genervt auf die vielen Wortmeldungen, die auf stumpfem Anti-Amerikanismus beruhten; mit ihnen stimmte er nicht überein, denn er ist ein linker Patriot.
Er kritisiert nicht die USA und die Bush-Regierung, weil er Amerika oder die Amerikaner hasst, ganz im Gegenteil. Sein linker Patriotismus ist geprägt von katholischer Soziallehre, Gewerkschaftshintergrund und den sozial- und wirtschaftspolitischen Traditionen des "New Deal", also jener Hegemonieperiode der Demokratischen Partei, von der sich diese auf der Suche nach neuer Dominanz in einer diffus definierten politischen Mitte heute inhaltlich weitgehend distanziert.
Sozialdemokrat, aber kein Antikapitalist
Zwar ist ein gerüttelt Maß an ökonomischem Nationalismus in dieser Position enthalten, aber im Zuge der Globalisierungsdiskussion sind durchaus auch die Elemente gestärkt worden, die man früher "internationalistisch" genannt hätte. Die Vereinten Nationen werden nicht etwa abgelehnt, wie von der Mehrheit der zurzeit Regierenden, sondern sie sollen gestärkt werden. Die begründete Sorge um heimische Arbeitsplätze führt nicht länger allein zu protektionistischen Reflexen zu Lasten der Beschäftigten in Entwicklungsländern.
Vielmehr sollen Regeln geschaffen und eingehalten werden, die alle Menschen vor der Übermacht der Konzerne und der mit ihnen mauschelnden Politiker schützen. Auch deshalb zieht sich das Thema konsequenter, aber keineswegs antikapitalistischer, Unternehmenskritik durch alle Moore’schen Werke. Auch deshalb das zum Teil naive Bewundern europäischer Errungenschaften in sozialen und ökologischen Fragen. Moore ist ein Sozialdemokrat, nur dass es in den USA keine Partei für ihn gibt. In Deutschland ginge es ihm mittlerweile ebenso; vielleicht deswegen die heftige Kritik - in den USA wird Moore für seinen Sozialdemokratismus übrigens heftigst von links angefeindet.
Polemik und Populismus
Die Kritik entzündete sich aber auch an Moores populistischem und polemischem Stil, seiner Egomanie und dem geringen künstlerischen Wert seiner Werke. In der Tat: Nur sein erster großer Dokumentarfilm, "Roger and me", war filmisch innovativ. Seitdem variiert Moore sein Erfolgsrezept, mit den Waffen Mikrofon und Kamera den Mächtigen und Verlogenen auf den Pelz zu rücken und sie sich im Regelfall selbst entlarven zu lassen, an verschiedenen Objekten. Und seine Bücher sind Streitschriften für den Tagesgebrauch, zuletzt bedauerlicherweise vor allem auf der Humorebene schwächelnd.
Lesen Sie im zweiten Teil, wie die US-Medien die politischen Lager polarisieren, und wie sie den Verlust von politischer Streitkultur mitverantworten.
Polarisierende Medien
Doch eine Frage wurde im deutschen Feuilleton nicht gestellt: In welchem Kontext steht Moores Stil? Für eine Antwort muss die amerikanische Medienlandschaft genauer betrachtet werden. Die im Wahljahr 2004 offensichtliche extreme Polarisierung der amerikanischen Politik hat ihre Vorläufer und Protagonisten in den Medien. Die konservative Bewegung, unzufrieden mit der Republikanischen Präsidenschaft Richard Nixons ob ihrer zu großen Akzeptanz des New Deal’schen Wohlfahrtsstaats, setzte in den 1970er und 1980er Jahren auf einen langfristigen Sieg im "Kampf der Ideen".
So wurden zahlreiche Stiftungen gegründet, die wiederum zahlreiche Denkfabriken finanzierten, deren Ergebnisse (oft genug allerdings weniger Resultate von Denken als reine Ideologieprodukte) über ein weit verzweigtes Netzwerk von Medien zur Eroberung des amerikanischen Äquivalents von "Stammtischhoheit" dienten.
Demagogische Hetze über den Äther
Hier ist vor allem das omnipräsente so genannte Talk Radio zu nennen, in dem über mehrere Stunden jeden Tag in auch von der amerikanischen Meinungsfreiheit nur so gerade noch gedeckten Schärfe gegen alles gehetzt wird, was irgendwie mit der Demokratischen Partei in Verbindung gebracht werden kann, beziehungsweise in der evangelikalen Variante, mit der bedrohlichen Moderne. Also Feministen (die beim erfolgreichsten der Radio-Talker, Rush Limbaugh, zu "Feminazis" wurden), Schwule und Lesben, Umweltschützer, Kriegsgegner,...
Der brave John Kerry wird hier nicht nur zum Kommunisten stilisiert, sondern auch mit den islamistischen Terroristen in Verbindung gebracht. Selbstredend sind solche Aussagen nicht von irgendwelcher Faktenkenntnis belastet, sondern werden clever mittels nicht justiziabler Anspielungen unters Volk gebracht: "Steckt John Kerry mit den Terroristen unter einer Decke? Ich behaupte das nicht, aber die Frage muss [nach dem Anschlag in Madrid] gestellt werden!"
Politisches Streiten ohne Kultur und Niveau
Muss man sich auf dieses Niveau politischer Streitkultur einlassen? Nein, das muss man nicht. Aber auch in den USA gibt es genügend Menschen, die sich darüber freuen, wenn sich auch von links mal jemand traut, unzulässig zu vereinfachen, entschlossen anzugreifen, die Lügner bei ihren Lügen und ihrer Heuchelei zu ertappen. Und zwar ohne Hass, sondern mit Humor.
Übrigens: Wer etwas mehr lachen will als bei dem mittlerweile recht verschwörungstheoretisch daherkommenden Moore (obwohl: wer wollte nicht staunen über die dynastischen Elemente der Bush-Regentschaft und die ölgetränkten Familienbande zu diversen Saudis), wird bei Al Franken fündig (mit dem aus inhaltlichen wie Übersetzungsgründen leicht irreführenden Titel: "Kapitale Lügner. Eine faire und ausgewogene Betrachtung von G.W. Bush und seinen Neokonservativen"). Ansonsten: Der Moore hat seine Schuldigkeit noch längst nicht getan.
Dr. Thomas Greven ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. Er arbeitet zurzeit an einem Buch über die Republikanische Partei in den USA.