"Der Westen muss glaubwürdig bleiben"
13. Februar 2018Deutsche Welle: Herr Saakaschwili, wie ist die ukrainische Staatsmacht mit Ihnen umgegangen?
Michail Saakaschwili: Wie immer. Sie ist mit mir umgegangen, wie das eine organisierte kriminelle Vereinigung tut. Denn eine organisierte kriminelle Vereinigung will brutale Gewalt demonstrieren: jemanden an den Haaren ziehen, würgen, die Arme fesseln und drohen. Das ist ihre Methode - nach dem Motto: wenn wir das sogar mit Saakaschwili machen können, was können wir erst mit euch armen Leuten machen. Das geschieht aus Schwäche heraus und nicht aus Klugheit. Ich denke, dass für sie bald das Ende kommt. Sie alle sind sehr schwach, verwirrt und fühlen sich in die Enge getrieben. Sie kratzen und beißen. All dies wird für Poroschenko und die Bande traurig enden.
Sie können nirgendwohin fliehen. Russland wird sie wohl kaum aufnehmen, denn eine Bande - die frühere - sitzt ja schon dort. In der EU werden sie mit Sicherheit von niemandem erwartet. Man wird sie nicht so wie mich in Warschau empfangen. Man wird auf sie mit Handschellen warten, wenn sie überhaupt versuchen sollten, nach Warschau zu kommen. Daher denke ich, dass sie bis zuletzt in der Ukraine um sich schießen werden, im übertragenden oder auch im wahrsten Sinne des Wortes. Aber es wird immer weniger Vollstrecker geben. Sie werden sehr traurig enden: im Gefängnis, wohin sie prinzipiell auch gehören.
Im Herbst haben Sie in einem DW-Interview gesagt, die Ukraine brauche keinen neuen Maidan. Was sagen Sie heute?
So ein Maidan entsteht nicht künstlich. Die Machthaber selbst bringen mit dieser Ungeheuerlichkeit, dieser Gesetzlosigkeit und grenzenlosen Korruption die Menschen auf die Straße.
Welche Schritte erwarten Sie vom Westen?
Man sollte keine wunderbaren Schritte vom Westen erwarten, denn der Westen ist keine Einheit. Ein Teil des Westens will die Sanktionen gegen Russland aufheben. Ein anderer Teil des Westens hat genug von all dem - vor allem von der Ukraine. Es gibt aber auch wirklich gute Menschen, die an die Ideale der Freiheit glauben und die Bedeutung der Ukraine verstehen. Um ihre Hilfe zu bekommen, um diese Hilfe zu aktivieren, muss man zeigen, dass es in der Ukraine nicht nur Oligarchen, nicht nur Präsident Petro Poroschenko, sondern auch das ukrainische Volk gibt.
Aber wie können wir das zeigen? Nur mit Aktionen auf der Straße, nicht nur in Kiew, sondern in allen Regionen. Wenn die Machthaber eine Million Menschen auf den Straßen der Ukraine sehen, wenn sie sehen, dass die Menschen keine Ruhe geben, bis die Machthaber aus den Amtsstuben rausgeschmissen sind, die sie an sich gerissen haben und von wo sie ihre Macht zum Nachteil der Menschen missbrauchen, dann werden wir mehr und mehr Unterstützung erhalten.
Und all dies werden die jetzigen Machthaber schon sehr bald zu sehen bekommen. Als der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die EU aufhörten, die Ukraine zu finanzieren, dann war das ein deutliches Zeichen für ihre Unzufriedenheit. Aber wir müssen zeigen, dass es eine Alternative gibt. Das ist jetzt die Hauptsache.
Werden Ihre Anwälte gegen ihre Abschiebung angehen? Wenn ja, vor welchem Gericht?
Natürlich. Zuerst vor einem ukrainischen Gericht - man muss gemäß dem geltenden ukrainischen Recht alle Instanzen durchlaufen. Und danach - vor dem Europäischen Gerichtshof. Aber ich bin absolut überzeugt, dass es nicht dazu kommen wird, weil das Jahre dauert, und in der Ukraine wird es schon in den nächsten Monaten zu Veränderungen kommen.
Was können Sie von Polen aus für die Ukraine tun?
Ich werde durch Europa reisen. Der Schlüssel zur Lösung des Korruptionsproblems in der Ukraine liegt in den europäischen Hauptstädten. Wir brauchen für die ukrainischen korrupten Personen eine neue "Magnitsky-Liste". [Der russische Anwalt Sergej Magnitsky starb in russischer Haft, nachdem er das Innenministerium der Korruption beschuldigt hatte. Die USA verhängten daraufhin Sanktionen und Einreiseverbote gegen mutmaßlich involvierte Funktionäre, Anmerkung d. Redaktion] Man muss ihnen deutlich machen, dass westliche Banken ihr Geld nicht mehr waschen werden, dass ihr Eigentum dort beschlagnahmt wird und dass sie im Westen nicht willkommen sind. Dies wird die Veränderungen in der Ukraine beschleunigen. Wir müssen verstehen, dass Spielchen mit korrupten Oligarchen kurzfristig für bestimmte Finanzinstitute im Westen von Vorteil sein können. Aber letztlich untergräbt das die Glaubwürdigkeit des Westens in der Ukraine. Also müssen wir etwas dagegen tun.
Ihre politischen Verbündeten in der Ukraine sind nicht gerade sehr bekannte Persönlichkeiten. Wird ohne Sie die Unterstützung der Proteste jetzt nachlassen?
Gerade jetzt ist es Zeit zu beweisen, dass es nicht darum ging, Saakaschwili zu unterstützen. Ich bin voll und ganz davon überzeugt, dass es nur um das Wohl der Ukraine geht. Aus dieser Sicht halte ich das für eine weitere Chance, die Situation zu ändern.
Wo sind Sie in Warschau untergekommen?
Im Hotel. Man hat für mich ein Hotel gefunden, und ich befinde mich unter dem Schutz des polnischen Staates. Jedenfalls fühle ich mich hier sicher.
Der georgische Ex-Präsident Michail Saakaschwili war 2015 in die Ukraine umgesiedelt. Präsident Petro Poroschenko machte ihn zum Gouverneur der Schwarzmeerregion Odessa. Doch Ende 2016 kam es zum Zerwürfnis. Die ukrainische Staatsanwaltschaft warf Saakaschwili die Organisation regierungsfeindlicher Proteste mit finanzieller Hilfe aus dem Umfeld des 2014 nach Russland geflohenen Präsidenten Viktor Janukowitsch vor. Saakaschwili gab an, mit seiner politischen "Bewegung der neuen Kräfte" die Politik in der Ukraine grundlegend verändern zu wollen.
Das Gespräch führte Alexandra Induchova.