Mikroplastik im Meer: Viel Müll auch aus der Landwirtschaft
10. April 2018Die Bilder kennen wir mittlerweile fast alle: Plastik an den Stränden, Plastik im Meer, Plastik in den Bäuchen von Tieren. Aber wie viel Müll weltweit genau in den Meeren herumschwimmt, darüber ist sich die Forschung bislang nicht einig. Die Schätzungen liegen ungefähr zwischen 100 bis 200 Millionen Tonnen. Doch nur ein Prozent dieser Plastikmüllmassen ist überhaupt sichtbar. Der Rest ist unsichtbares Mikroplastik, das nicht erkennbar seine Bahnen durchs Meer zieht.
Aufgrund seiner minimalen Größe - als Mikroplastik zählen Kunststoffteilchen mit einer Größe von unter fünf Millimetern - ist es enorm schwer zu erfassen. Darüber hinaus verkomplizieren unterschiedliche Messstandards das Problem: "Einige Forscher beziehen ihre Mengenangaben auf das Volumen des Wasserkörpers andere beziehen sich auf eine Fläche und wieder andere auf den Sammel-Aufwand", sagt Lars Gutow. Der Biologe forscht am Alfred Wegener Institut dazu, wie sich Müll im Meer ausbreitet. Erst langsam entwickeln sich laut Gutow internationale Standards, mit denen sich Angaben vergleichen lassen.
Mikroplastik gelangt auf vielen verschiedenen Wegen in die Umwelt. Den vermutlich größten Anteil macht dabei der Plastikmüll aus, der sich im Laufe der Zeit in die kleinen Teilchen zersetzt. Weitere Faktoren sind beispielsweise der Abrieb von Autoreifen oder synthetische Fasern, die bei der Wäsche ins Abwasser gelangen. Forscher gehen davon aus, dass sich in Zukunft jedoch noch weitere Wege zeigen werden, die jetzt noch unbekannt sind.
"Proaktiv handeln, statt reaktiv", fordern deswegen die Umweltwissenschaftler Matthias Labrenz und Alexander Tagg vom Leibniz Institut für Ostseeforschung. Sobald man den kleinsten Verdacht habe, dass Mikroplastik ins Wasser gelangen könnte, müsse dieser Weg untersucht und abgeriegelt werden. In diesem Kontext sehen die beiden Forscher vor allem die Landwirtschaft in einer überaus wichtigen Rolle.
Mikroplastik in der Landwirtschaft
"Wenn wir uns anschauen, was an Kompost-ähnlichen Stoffen auf die Äcker gebracht wird, finden wir viel mehr potentielle Quellen als nur den Klärschlamm", erklärt Alexander Tagg. Zum Beispiel werden übrig gebliebene Nahrungsmittel aus dem Supermarkt geschreddert, um sie in Klärwerken oder Biogas-Anlagen als Substrate hinzuzugegeben. Die Mühe, Fleisch, Mais und Co aus den Verpackungen zu holen, machen sich viele Anlagen dabei nicht. Dadurch gelangt das Verpackungsplastik letztendlich auf die Felder und schließlich ins Wasser. Erst vor wenigen Wochen passierte genau das in Schleswig und verursachte einen Umweltskandal: aus einerKläranlage waren massenweise Kunststoffteilchen in die Schlei gelangt.
Eine naheliegende Schlussfolgerung wäre für Labrenz: "Solange der Klärschlamm mit Plastik durchsetzt ist und es dafür keine Regelungen gibt, darf kein Klärschlamm auf Böden aufgetragen werden, die Erosionen unterliegen." Durch diese werde das Mikroplastik nämlich sonst in den nächsten Bach, in den Fluss und anschließend ins Meer gespült.
Auch eine vor wenigen Tagen erschienene Studie zeigt, dass hohe Mengen an Mikroplastikpartikeln selbst durch Kompost und Dünger in die Umwelt gelangen, der aus Biomüll hergestellt wurde. In einer Untersuchung des Düngers aus einer Biogasanlage fanden die Forscherinnen und Forscher der Universität Bayreuth bis zu 900 Stücke Kunststoff pro Kilogramm.
Um die Verschmutzung von Gewässern durch die Landwirtschaft zu verhindern, könnten etwa Vorhersagemodelle zur Bodenerosion helfen. Bisher werden sie jedoch noch nicht angewendet. Hier sehen Labrenz und Tagg vor allem Umweltwissenschaftler in der Verantwortung: "Die Erfassung und Bewertung von Umweltschäden ist meist das Hauptgeschäft der Umweltwissenschaften. Dabei sollte die Entwicklung von Werkzeugen zur Vorhersage und Verhinderung solcher Gefahren doch im Vordergrund stehen", sagt Tagg.
Generell wurden solche und andere Wege von Mikroplastik aus der Landwirtschaft bisher kaum erforscht. Das wollen Labrenz und Tagg dringend ändern. "Landwirtschaft bestimmt weite Bereiche der Landschaft und liegt zudem immer im Einzugsgebiet von Gewässern, sei es ein kleiner Bach oder ein größerer Fluss", argumentiert Labrenz. Sie könnte demnach ein riesiges Transportsystem von Mikroplastik in die Meere sein.
Ist Mikroplastik überhaupt schädlich?
Wissenschaftlern sind sich nicht einig, ob Mikroplastik überhaupt schadet. "Bei der Erforschung der Effekte stehen wir noch ganz am Anfang, es gibt sehr unterschiedliche, zum Teil auch widersprüchliche Ergebnisse", sagt Lars Gutow. Weil Mikroplastik immer ein Gemisch verschiedener Stoffe ist, könne man nicht von einem prinzipiellen Effekt sprechen, erklärt er. Hinzu komme, dass die Konzentrationen, mit denen Tests - zum Beispiel an Meerestieren - durchgeführt werden, meist fernab realer Mengen liegen. Um die grundsätzliche Wirksamkeit der Partikel erkennen und verstehen zu können, werden sehr hohe Konzentrationen verwendet, die so in der natürlichen Umgebung eher unwahrscheinlich sind.
Einige Forscher argumentieren, solange nicht wissenschaftlich bestätigt sei, ob die Teilchen überhaupt schädlich seien, solle man relevantere Themen wie den Klimawandel in den Fokus der Forschung stellen. Der Risikoforscher Allen Burton schreibt etwa in einem kürzlich erschienenen Artikel, dass das Umweltrisiko durch Mikroplastik überschätzt und medial aufgebauscht werde. Seiner Meinung nach liegt die Konzentration von Mikroplastik in den Meeren unterhalb einer besorgniserregenden Grenze.
Plastik bleibt für immer
"Es wäre fatal darauf zu warten dass wir vielleicht irgendwann in der Umwelt einen Zustand erreichen, an dem Mikroplastik wirklich eine kritische Marke überschreitet. Denn von dieser Marke würden wir nie wieder runterkommen. Plastik ist eben nicht abbaubar", warnt Matthias Labrenz.
Für Lars Gutow gibt es nur einen Weg, das Plastik-Problem in den Griff zu bekommen: Das Material müsse international zu einer wertvollen, recyclebaren Ressource werden. "Es muss weh tun, Plastik wegzuwerfen", sagt er. Denn wenn es gar nicht erst zu Müll werde, lande es auch nicht unachtsam in der Umwelt.