Nordkoreas geheime Geldgeschäfte
30. März 2017
Das Geburtstagsgeschenk fiel üppig aus. 20 Millionen US-Dollar musste die North East Asia Bank jedes Jahr am 16. Februar abliefern. Das Geld landete direkt in der Kasse des Jubilars und ehemaligen nordkoreanischen Diktators Kim Jong Il. "Das war unsere Hauptaufgabe: Cash für die Führung einzutreiben", erklärt Kim Kwang Jin. Jahrelang war er Manager der Bank in Pjöngjang. "Die North East Asia Bank war an eine Versicherungsgesellschaft angeschlossen und verdiente ihr Geld durch Versicherungsgeschäfte. An der Spitze stand Jang Song Thaek, der mittlerweile hingerichtete Onkel von Kim Jong Un."
Persönlich getroffen hat Kim Kwang Jin den damaligen Führer nie. Er stellte ihm nur monatlich einen Bericht zusammen. Und er machte seinen Job gut. So gut, dass er im Jahr 2002 ins Ausland entsandt wurde: Gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn ging er nach Singapur, um die dortige Zweigstelle der North East Asia Bank zu leiten. "Anders als Gastarbeiter dürfen Diplomaten und andere offizielle Repräsentanten ihre nächsten Verwandten mitnehmen."
Doch es wurde nur ein kurzes Gastspiel. Wenige Monate später geriet er ins Visier der nordkoreanischen Behörden. "Meine Vorgesetzten haben mir mitgeteilt, dass von Singapur aus vertrauliche Informationen über die nordkoreanische Führung an den amerikanischen und den japanischen Geheimdienst weitergegeben wurden." Von einem Tag auf den anderen stand Kim unter Verdacht, sein Land verraten zu haben.
Gefährliches Insider-Wissen
Er selbst bestreitet diesen Vorwurf. Auch wenn er sagt, dass er schon damals das System nicht unkritisch gesehen habe. Aber darüber zu sprechen sei absolut tabu gewesen. Natürlich wusste er, welche Strafe ihn wegen des Verdachts in seiner Heimat erwarten würde. Dem wollte er zuvorkommen. Kurz entschlossen setzte er sich mit Frau und Kind nach Südkorea ab. Seitdem lebt er in Seoul und arbeitet dort am Institut für Nationale Sicherheitsstrategien, einem großen südkoreanischen Think Tank. Er bekam Drohungen von nordkoreanischer Seite, hatte zeitweise Personenschutz rund um die Uhr.
Denn er tut, was der nordkoreanischen Führung so gar nicht passt. Er berichtet über das, was er mitbekommen hat. Gibt Insider-Informationen weiter. Er erzählt von den allgegenwärtigen Vorsichtsmaßnahmen und der Paranoia. Davon, dass er und seine Kollegen den Befehl hatten, immer sofort alle Akten und Dokumente zu vernichten, dass niemand über die Aktivitäten des anderen Bescheid wisse, nicht einmal innerhalb desselben Unternehmens."Jede Information über unsere Bank und unsere Versicherungsgeschäfte war streng geheim. Niemand durfte wissen, wie viel Geld wir machten und wo es hinging."
Und dann spricht er über das berüchtigte "Büro 39". Dort landeten sämtliche Einnahmen – nicht nur die aus den Geldgeschäften seiner Bank. Hinter dem unauffälligen Namen verbirgt sich eine Behörde in Pjöngjang, die direkt der Familie Kim untersteht. Eine Behörde, deren Hauptaufgabe es ist, im Namen der Führung über verschiedene Kanäle und Geschäfte Devisen anzuhäufen. "Das Ganze geht zurück bis in die 1970er Jahre. Eingeführt wurde es von Kim Jong Il. Er suchte nach einer Möglichkeit, Geld anzusammeln, um sich so die Loyalität der Eliten zu erkaufen." Die brauchte der junge Kim, um sich seine Machtposition auf- und später auszubauen.
Geschenke: immer mehr, immer teurer
Kim Jong Il stand zu diesem Zeitpunkt bereits als Kronprinz und Nachfolger seines Vaters Kim Il Sung fest. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte baute er eine florierende Parallelwirtschaft auf, komplett losgelöst von der maroden Volkswirtschaft des Landes: basierend auf Finanzgeschäften, Export von Rohstoffen und Raketen und dem Import von Luxusgütern. Letztere ließ er im großen Stil einführen und gab sie als Belohnungen an seine Getreuen weiter. Diese sogenannte "Geschenke-Politik" hatte allerdings einen Haken: Denn jedes Geschenk musste größer und prächtiger sein als das vorhergegangene, sonst wurde es als Affront gewertet. Anders ausgedrückt: Der Diktator brauchte immer mehr Devisen, um seine Anhänger regelmäßig neu zufrieden zu stellen.
Bis heute funktioniert das im Prinzip auf diese Weise, erklärt Michael Raska, Sicherheits- und Verteidigungsexperte an der S. Rajaratnam School of International Studies in Singapur. Ein schwer zu durchbrechender Kreislauf. Und einer, in dem sich in den vergangenen Jahren die Spielregeln verschoben haben. Zu Zeiten Kim Jong Ils habe Nordkorea auch sehr viel Geld mit dem Export ballistischer Raketen verdient, so Raska. Doch das sei heutzutage aufgrund der Beschränkungen kaum mehr möglich. "Es gibt zwar immer noch Waffenhandel, aber jetzt sind es eher kleinere Waffen und Waffensysteme, sie können keine Raketentechnik mehr direkt exportieren." Dabei nutze Nordkorea Absatzmärkte in Afrika, Asien und dem Mittleren Osten.
"Durch die Sanktionen hat sich einiges geändert. Auch, was die Einfuhr von Luxusgütern angeht." Vieles von dem, was früher legal ins Land gelangen konnte, steht längst auf dem Index. Kim Jong Un setze deshalb vermehrt auf andere – immer verfügbare - Belohnungen, um sich die Unterstützung regimetreuer Bürger zu erkaufen. Und das lasse er publikumswirksam in Szene setzen. "Wenn man sich Nachrichten im nordkoreanischen Fernsehen anschaut, dann gibt es praktisch in jeder Ausgabe einen Bericht darüber, dass jemand ein Apartment geschenkt bekommt. Es wird auch gerade viel gebaut in Pjöngjang."
Ein schwer zu durchbrechender Teufelskreis
Für Kim Jong Un ist die Beschaffung von Devisen auch aus einem anderen Grund vielleicht noch existenzieller als für seinen verstorbenen Vater, sagt Raska. Und das hängt zusammen mit dem immer noch jugendlichen Alter des Diktators. In einer streng hierarchisch funktionierenden konfuzianischen Gesellschaft wie der koreanischen wäre er traditionell eigentlich nicht berechtigt, Älteren Befehle zu erteilen. Umso mehr sei er darauf angewiesen, seine Machtposition zu untermauern. Zum Einen mit Hilfe einer harten politischen Linie, die darauf abzielt, jeden potenziellen Gegner – und sei er aus der eigenen Familie – auszuschalten. Zum Anderen mit Geschenken.
"Der Druck von außen wird ständig größer. Kim Jong Un verfolgt die Doppelstrategie, Wirtschaft und Entwicklung des Atomprogramms gleichzeitig voranzutreiben. Dafür benötigt er viel Geld, mehr noch als Kim Jong Il. Die Sanktionen quetschen ihn aber mehr und mehr aus." Insgesamt sechs Sanktionsrunden beschloss der UN-Sicherheitsrat seit dem ersten nordkoreanischen Atomtest 2006. Allein zwei Verschärfungen gab es nach den beiden Tests im vergangenen Jahr. Dennoch gelingt es Nordkorea auch weiterhin, mit Hilfe verdeckter Handelspraktiken die Sanktionen zu unterlaufen.
Im vergangenen Monat veröffentlichte ein Expertengremium der UN einen 100-seitigen Bericht zu diesem Thema. Darin wird anhand einer ganzen Reihe von Namen und Fällen aufgezeigt, wie es Nordkorea schafft, trotz aller Beschränkungen in den Besitz verbotener Ware zu kommen – oder auch sanktionierte Güter wie beispielsweise Mineralien zu exportieren. Dabei spielen Mittelsmänner und Tarnfirmen vor allem in China und Malaysia eine Schlüsselrolle.
Mit allen Tricks
"Eine ganze Reihe nordkoreanischer Unternehmen und Banken operieren trotz der geltenden Sanktionen weiter. Sie setzen erfahrene Agenten ein, die dafür ausgebildet sind, Geld und Güter über Ländergrenzen hinaus zu verschieben", heißt es in dem Bericht. Und: Nordkorea habe trotz verschärfter Finanzsanktionen nach wie vor Zugang zum internationalen Bankensystem. "Nordkoreanische Banken verfügen über Repräsentanten und Konten im Ausland und unterhalten dort auch Joint-Venture-Unternehmen. Sie nutzen für ihre Auftragsvergabe und ihre Aktivitäten ein weit verflochtenes Netzwerk. Sie verschleiern ihre Tätigkeiten, indem sie ausländische Staatsbürger und Unternehmen einsetzen. Das erlaubt es ihnen, weiter Geschäfte über internationale Top-Finanzzentren abzuwickeln."
Explizit rufen die Autoren die Mitgliedstaaten zudem "zu erhöhter Wachsamkeit im Zusammenhang mit nordkoreanischen Diplomaten" auf. Denn: Gerade Botschaftspersonal wurde in der Vergangenheit immer wieder zu Kurierdiensten eingesetzt – um große Mengen an Bargeld, Gold oder Schmuck illegal nach Nordkorea einzuführen. Der Grund ist simpel. Als Diplomat genießen sie Immunität. Und: Durch Gold- oder Bargeldtransfers lässt sich der offizielle Finanzsektor komplett umgehen.
Dadurch tun sich teils millionenschwere Schlupflöcher auf. "Die nordkoreanischen Botschaften hatten den Auftrag, Bargeld zu besorgen. Da gab es regelrechte Quoten, wer wie viel nach Hause schicken muss", erklärt der Singapurer Sicherheitsexperte Michael Raska.
Ein Koffer voll Gold
Das bestätigt auch Hong Soon Kyung – aus eigener Erfahrung. In einer Dokumentation des japanischen Fernsehsenders NHK sagt der ehemalige Diplomat an der nordkoreanischen Botschaft in Thailand vor laufender Kamera, dass viele seiner Kollegen an derartigen Aktionen beteiligt waren. "Wir haben unsere Diplomatenpässe benutzt, um Gold zu schmuggeln, weil wir dann nicht durch den Zoll mussten."
In welcher Größenordnung sich dieser Schmuggel bewegt, das zeigt auch der im UN-Bericht aufgeführte Fall des Diplomaten Son Young Nam. Die Zollbeamten am Flughafen in Bangladesch dürften nicht schlecht gestaunt haben, als sie im März 2015 das verdächtig schwere Handgepäck des Ersten Sekretärs an der nordkoreanischen Botschaft in Dhaka durchsuchten – und darin fast 27 Kilogramm Gold und Schmuck im Wert von 1,4 Millionen US-Dollar fanden. Son hatte an diesem Tag bereits eine weite Rundreise hinter sich, war von Dhaka nach Singapur und zurück geflogen, mit gerade einmal drei Stunden Aufenthalt außerhalb des Flughafengeländes in der Finanzmetropole.
In dem UN-Bericht heißt es dazu: "In den 15 Monaten zuvor hatte er solche Trips von Dhaka oder von Peking aus durchschnittlich einmal pro Monat gemacht – was die Vermutung nahe legt, dass er regelmäßig als diplomatischer Kurier eingesetzt war, um Gold und andere gegen die bestehenden Sanktionen verstoßende Güter zu schmuggeln."
Die Privilegierten des Systems
Kim Kwang Jin verfolgt solche Nachrichten über illegale Geschäfte nach und aus Nordkorea genau. Und erinnert sich an seine eigene Zeit im Dienste der nordkoreanischen Führung. "Wir nannten es damals: das Geld aus der Luft abgreifen", berichtet er. Wer Teil dieses Systems war, konnte von vielen Vorteilen profitieren. "Wir hatten die besten Jobs, die besten Wohnungen, wurden am besten behandelt."
15 Jahre ist er raus aus Nordkorea. Doch ganz kann er seine Heimat trotzdem nicht hinter sich lassen. Denn da bleibt immer die quälende Frage, was mit den anderen ist. Mit Großeltern, Eltern oder Geschwistern. In Nordkorea herrscht das Prinzip der Sippenhaft. Angehörige werden für ein Vergehen automatisch mit haftbar gemacht. Er habe sich nie getraut, zu versuchen, seine Verwandten ausfindig zu machen oder direkt zu kontaktieren, sagt Kim Kwang Jin. "Ich habe keine Ahnung, ob sie bestraft und vielleicht in ein Gefangenenlager gesteckt wurden." Es ist das einzige Mal, dass der ehemalige Banker kurz ins Stocken kommt.
Er selbst hat es dennoch nicht bereut, dass er damals die Seiten gewechselt hat. Die beiden wichtigsten Menschen – seine Frau und seinen Sohn – konnte er mitnehmen. Auch in diesem Punkt war er privilegiert, das weiß er. Bei der Mehrheit der nordkoreanischen Flüchtlinge, die sich auf dem Landweg über die Grenze nach China absetzen und sich von dort aus weiter durchschlagen, sieht es anders aus.