Ein Rückschlag für die Brexit-Verhandlungen
9. Juli 2018Der Frieden von Chequers hat keine zwei Tage gehalten. Noch während das britische Kabinett im Landsitz der Premierministerin am Freitag um Einigkeit rang, hatte EU-Chefunterhändler Michel Barnier die Bemühungen vorsichtig begrüßt. "Ich sehe dem Weißbuch erwartungsvoll entgegen. Wir werden die Vorschläge prüfen, um zu sehen, ob sie durchführbar und realistisch sind mit Blick auf die Leitlinien des Europäischen Rates".
Allerdings war auch zu dem Zeitpunkt schon klar, dass der Machtkampf zwischen den Befürwortern eines weichen und eines harten Brexit noch nicht vorbei war. Mit dem Rücktritt von David Davis steht wieder in Zweifel, wie verlässlich die Vorschläge aus London sind und in wieweit sie eine Basis für weitere Verhandlungen sein können. Denn: Weitere Rücktritte können jetzt folgen. Es ist unsicher, wie das Parlament in der nächsten Woche über die Zollunion abstimmt.
"Die Regierung hat schon zu viel nachgegeben"
Die Zahl "vier" war zuletzt Symbol geworden für den offenbaren Unwillen oder die Unfähigkeit von Brexit-Minister David Davis, überhaupt mit Brüssel konstruktiv über die Bedingungen des britischen EU-Ausstiegs zu verhandeln. Er hatte sich seit Ostern ganze vier Stunden mit seinem europäischen Gegenüber Barnier getroffen. Seit Beginn der Gespräche war klar, dass die beiden keinen Draht zueinander hatten. Der französische Diplomat und der politische Aufsteiger aus London lagen in Stil und Substanz anhaltend über Kreuz.
Jetzt erklärte Davis im Interview mit der BBC, dass er Theresa Mays Brexit-Strategie generell ablehne. "Die Regierung hat schon zu viel nachgegeben" lautet sein Vorwurf, der sich zunächst auf den Scheidungs-Vertrag bezieht. Darin gelten die Schlusszahlungen für den EU-Beitrag, die künftigen Rechte der Bürger und eine Rückfallposition für die Grenzfrage in Irland bereits als vereinbart. Dem Ex-Brexit-Minister gehen die Zugeständnisse an europäische Forderungen schon viel zu weit. Er hatte von Anfang dafür plädiert, erst ganz zum Schluss alle Karten auf den Tisch zu werfen. Die EU allerdings hatte dieses Verfahren stets abgelehnt, und London war einem schrittweisen Vorgehen gefolgt.
Zu stark an EU gebunden?
Davis hält das für einen Fehler: "Sie werden nehmen, was wir angeboten haben und noch mehr verlangen." Auf jeden Fall dürfe die Regierung jetzt keine weiteren Zugeständnisse machen. Und den Chequers-Vorschlag hält er für rundum nicht vereinbar mit dem Geiste des Brexit: "Es kann keine gemeinsamen Regeln geben, wo die EU die Regeln macht", Großbritannien müsse eigene Regulierungen einführen und wolle weg von der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes. Der Plan von Theresa May aber bedeute, dass man viel zu stark an die EU gebunden bleibe. Ihr ausgleichender Ansatz sei falsch, sagte Davis nachdem er die Konsequenzen gezogen hatte.
Natürlich können die Gespräche auch mit dem neuen Brexit-Unterhändler Dominic Raab theoretisch weiter gehen. Die letzten Verhandlungsrunden in Brüssel hatte sowieso Theresa Mays Sherpa Ollie Robbins geleitet. Davis war bereits stillschweigend entmachtet und auf die Seitenlinie geschoben worden. Jetzt ist Dominic Raab Großbritanniens neuer Brexit-Minister, wie die britische Regierung bestätigt. Raab war bislang Staatsminister im für den Brexit zuständigen Ministerium und gilt als Unterstützer eines weichen Brexits.
Die Verfechter des EU-Austritts waren angetreten mit der Erwartung, die EU werde den britischen Forderungen nach Sonderbedingungen für Großbritannien ohne großen Widerspruch entsprechen. Außenminister Boris Johnson hatte das mit dem Spruch vom Kuchen, den man haben und essen könne, auf den Punkt gebracht. Auch Davis gehört zur Fraktion der harten Brexiteers, die alles dem Satz unterordnen: "Bringt die Kontrolle zurück". Die Kontrolle über das Geld, die Gesetze, Zuwanderung aus der EU und die Rechtsprechung. Gleichzeitig wollen der Brexit-Minister und seine politischen Freunde aber nicht auf die wirtschaftlichen Vorzüge der EU verzichten.
Dieser Ansatz stieß in Brüssel auf Ablehnung. Die Zusammenarbeit in der EU basiert auf Regeln und Verträgen und es wurde schnell klar, dass der Selbsterhaltungstrieb der Mitgliedsländer stärker wäre als die Neigung, für die Briten Ausnahmen zuzulassen.
Die Zeit läuft
Was die Situation dramatisch macht, ist die Tatsache, dass es nur noch drei bis vier Monate gibt, um wenigstens eine Einigung über die Scheidungsvereinbarung abzuschließen. In der nächsten Woche soll eine weitere Verhandlungsrunde stattfinden, danach kommt die Sommerpause und erst im September geht es weiter. Spätestens Anfang Dezember aber müsste es wegen der Ratifizierungsprozesse in der EU ein Verhandlungsergebnis geben. Ohne Trennungsvertrag aber kommt es am 29. März 2019 zu einem harten Brexit, mit diversen Folgen für die britische Wirtschaft und gleichzeitigen Konsequenzen die EU.
Die über 40 Jahre gewachsene enge Verflechtung zwischen beiden Seiten vertraglich aufzulösen ist schon kompliziert - ein Crash-Brexit wird von vielen als Katastrophe betrachtet. Die Wetten dafür standen zuletzt in Brüssel unter Insidern bei 50 zu 50.Jetzt spricht alles für eine steigende Tendenz. David Davis aber wischt diese Befürchtungen vom Tisch: Verhandlungen in der EU gingen immer bis zum letzten Moment. Es werde Sondergipfel geben und eine Lösung sei noch im Dezember möglich. Nur dass er nicht mehr dabei sein werde, denn der Unterhändler in Brüssel müsse ganz hinter der Strategie der Premierministerin stehen.
Es sieht weiter aus wie Rosinenpickerei
Die EU war vorsichtig, die Vorschläge von Theresa May nicht umgehend und pauschal abzulehnen. Schon um der Auslegung keine Nahrung zu geben, die Europäer seien nicht an einer konstruktiven Lösung interessiert, die unter Brexiteers bereits propagiert wird. Allerdings wird bei Betrachtung der bisher veröffentlichten Details klar, dass es diese Vorschläge in ähnlicher Form schon früher gegeben hatte und sie bereits einmal abgelehnt worden waren. Das gilt einerseits für die vage bleibende technische Lösung für das Eintreiben von Zöllen auf britischer Seite, den Erhalt eines reibungslosen Grenzverkehrs ohne Kontrollen und die ganze Idee eines gemeinsamen Raumes der Zollfreiheit, der aber außerhalb der Zollunion stehen soll.
Auch das zweite Standbein von Mays Strategie, ein halber Verbleib der Briten in einem Binnenmarkt für Güter, wird kritisch gesehen. Bislang galt der Binnenmarkt an sich als unteilbar und vor allem mit den vier Grundfreiheiten verknüpft, zu denen die Bewegungsfreiheit für Bürger gehört. Wenn London hier Einzelteile herausgreifen will, um die Zukunft der britischen Industrie nicht zu gefährden, aus anderen Teilen aber aussteigen will, dann sieht das in den Augen der EU-Unterhändler weiter aus wie Rosinenpickerei.
Und die Gefahr bei einer solchen maßgeschneiderten Lösung für Großbritannien ist klar: Wenn man den Briten hier Zugeständnisse macht, werden andere Länder sie ebenfalls für sich verlangen. Die Einheit der EU steht insgesamt auf dem Spiel. Die großen Mitgliedsländer Frankreich, Spanien und Deutschland haben bereits klar gemacht, dass sie um ihren Erhalt kämpfen werden.