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Miniverfassung statt echtem Grundlagenvertrag für die EU?

Alexander Kudascheff16. Mai 2007

Die deutsche Ratspräsidentschaft geht in den Endspurt. Noch knapp sechs Wochen führt Angela Merkel die europäischen Geschäfte. Und auf diese sechs Wochen kommt es an. Die Erwartungen sind hoch.

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Bild: DW

Denn am Ende soll mindestens ein Fahrplan stehen, wie die EU aus der Verfassungskrise, die sie lähmt, herauskommt. Besser noch: mehr als ein Fahrplan, eine grundsätzliche Einigung über die Eckpunkte, die den neuen Grundlagenvertrag der EU, das neue Grundgesetz, die neue Geschäftsordnung ausmachen sollen.

Unbequeme Töne aus Paris

Angela Merkel kann jetzt entschieden handeln. Sie weiß, wer in Paris das Sagen hat. Nikolas Sarkozy, dessen erste Auslandsreise nach Berlin führte, ist ein unbequemer, ein hartnäckiger, ein gradliniger Rechter, der weiß was er will. Und der einen möglichen Ausweg aus französischer Sicht bereits skizziert hat. Sarkozy plädiert nach dem Referendums-Nein für einen Minivertrag, der nur dem Parlament vorgelegt werden soll. Das heißt; es gibt keine europäische Verfassung. Keine Verfassungssymbole mehr. Keine Flagge, keine Hymne, keine Grundrechtecharta, jedenfalls keine, die verbindliche Geltung hätte. Stattdessen, so stellt sich Sarkozy das vor, ein kurzer Vertrag, der die Funktionsfähigkeit der EU garantiert. Dafür will er sich einsetzen - Tony Blair als scheidender britischer Premier auch - und Balkenende auch, der seine Niederländer auch nicht noch ein zweites Mal befragen will.

Angela Merkel muss die Quadratur des Kreises versuchen. 18 Staaten haben bereits Ja gesagt zum ambitionierten Prestigeprojekt "Europäische Verfassung". Sie wollen soviel wie möglich von der Substanz des Textes retten. Auf der anderen Seite: die zwei expliziten Neinsager - Frankreich und die Niederlande, die auf jeden Fall ein zweites Referendum vermeiden wollen. Und all die Länder, die noch gar nicht abgestimmt haben - und auch unsichere Kandidaten sind. Wie, England, Dänemark, Polen, Tschechien oder Schweden. Auch hier muss den Parlamenten ein Ja schmackhaft gemacht werden. Das aber heißt, so wenig Verfassung wie möglich.

Kompromisse möglich

Die Verhandlungsbrücke, über die beide Seiten gehen können, heißt wohl Effizienz und Handlungsfähigkeit. Dafür braucht man sicher mehr Mehrheitsentscheidungen in der EU als bisher. Und vernünftige Abstimmungsverhältnisse. In diesem Geflecht liegen eine Reihe Kompromissmöglichkeiten, getreu der Devise, ändern wir die Mehrheitsverhältnisse im Sinne der (politisch toten) Verfassung, können wir vielleicht auf die eine oder andere neue Mehrheitsentscheidung verzichten - und umgekehrt. Fraglich sind sicher alle institutionellen Neuerungen: der Ratspräsident, der die Geschäfte führen sollte, der gemeinsame europäische Außenminister, die Stärkung der Kommission und des Parlaments. Aber diese Themen gehören auf jeden Fall zur diplomatischen Verhandlungsmasse. Und die Befürworter der Verfassung werden versuchen, soviel von diesen Ideen zu retten wie möglich.

Einbeziehung der Bürger

So oder so: Europa braucht ein vernünftiges Grundgesetz. Es muss das schwierige Verhältnis der Institutionen - Kommission, Rat, Parlament - Nationalstaat - ins rechte Lot bringen. Es muss den demokratischen Charakter greifbar werden lassen. Es muss den Bürgern zeigen, wie und wann Europa funktioniert und vor allem was überhaupt eine europäische Frage ist und was nicht. Und die Abstimmungsverhältnisse müssen zwei Dinge berücksichtigen: Jedes Land ist im Grundsatz in der EU gleich wichtig, aber ohne eine angemessene Berücksichtigung seiner Größe und seiner Einwohnerzahl - ist eine solche Entscheidung nicht gerechtfertigt - wenn es Mehrheitsentscheidungen geben soll. Und die muss es geben, weil die EU sich sonst in einem unglaublichen Kladderadatsch verstrickt.

Für ein Verhandlungsergebnis hat Angela Merkel im Prinzip Zeit bis zum Gipfel Mitte Juni in Brüssel. Die Verhandlungsmethode ist Geheimdiplomatie. Vernünftigerweise, weil niemand eine Sachfrage mit dem nationalen Prestige verbinden muss. Ein erstes Ergebnis, nämlich der Fahrplan, könnte schon vor dem Gipfel feststehen. Auf dem Gipfel selbst - Ende eventuell offen - könnten die Eckpunkte verabredet werden. Dann aber wäre Merkel ein grandioser Erfolg gelungen. Doch ob es so kommt? Da gibt es in Brüssel immer mehr Skepsis. Zurückhaltung. Nur bestenfalls verhaltener Optimismus.