"Mir ging es um Beweise"
18. März 2004Obwohl sein Buch den Untertitel "Wahrheit und Lügen" trägt, gehört Hans Blix nicht zu der Sorte Mensch, die andere schnell der Lüge bezichtigen und die Wahrheit für sich reklamieren. Vielmehr ist der frühere schwedische Außenminister und ehemalige Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEO durch und durch Diplomat: bescheiden und selbstsicher, ein korrekter Beamter, der unbeirrbar seine Aufgaben erfüllt, gleichzeitig einer der besten Abrüstungsexperten der Welt mit jahrzehntelanger Erfahrung und gutem Gespür. "Mir ging es um Beweise", sagt der 1928 geborene Blix und berichtet unaufgeregt und ohne Vorwurf im Ton von Beleidigungen und Manipulationsversuchen in der heißen Zeit vor dem Irak-Krieg.
Kein noch so dreister Anwurf, so scheint es, konnte ihn wirklich aus der Fassung bringen, und vermutlich war er deshalb mehr als jeder andere geeignet für diesen schwierigen Job. Seine eigene Rolle spielt der schwedische Top-Diplomat, den UN-Generalssekretär Kofi Annan im Jahr 2000 persönlich aus dem Ruhestand gerufen hatte, dabei herunter: "Wir sahen unsere Mission etwas bescheidener als viele andere. Viele sagten: 'Krieg oder Frieden, das haben Sie in der Hand!' Ich sagte: Nein. Verantwortlich sind der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die Regierungen, die Iraker, die Amerikaner und Briten - und nicht wir."
Kritik ohne Beleidigung
Blix gelingt es, Kritisches zu sagen, ohne zu beleidigen. Das Auftreten von US-Präsident George W. Bush bei einem Treffen sei "jungenhaft" gewesen, berichtet er, und dessen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice hätte ein "total unlogisches" Statement über den Sicherheitsrat abgegeben. Blix referiert diese Beobachtungen als Tatsachen, mit denen er umzugehen hatte, ob er wollte oder nicht. Seine Leitlinie waren die Inspektionen im Irak, die möglichst effektiv und möglichst korrekt sein sollten - und Blix wollte vor allem die dafür nötige Zeit. Er sei ein Anhänger der Rüstungskontrolle, sagt der Waffenexperte. Rüstungskontrolle sei eine Politik der Diplomatie, der Geduld und der Bereitschaft, als letzte Möglichkeit, auch Gewalt auszuüben.
"Ich bin kein Pazifist", versichert Blix. Militärischer Druck sei sogar notwendig. "Ohne die Militärpräsenz der Amerikaner hätten wir gar keine Kontrollen gehabt. Bush hat auch gesagt, Gewaltanwendung sei das letzte Mittel. Aber wir hatten nur dreieinhalb Monate Zeit für die Inspektionen. Auch mit 50.000 statt mit 300.000 Soldaten hätten wir den Druck aufrechterhalten können. Wenn Amerikaner und Briten mehr Geduld gehabt hätten, hätte sich das gelohnt."
Blix wirft Bush und dem britischen Premier Tony Blair vor, die Tatsachen nicht genau genug geprüft zu haben. Sie hätten wirklich an die Existenz von Massenvernichtungswaffen geglaubt und sich auf die Geheimdienste verlassen. "Ich hätte mehr kritisches Nachdenken von Bush und Blair verlangt", sagt Blix. "Wenn es um Krieg geht, um Tote und Zerstörung, dann sollte man kritisch sein, besonders, wenn man mit Beweisen umgeht, die man selbst nicht sieht, die von den Geheimdiensten kommen. Und sie bezahlen ja auch heute den Preis dafür - Bush und Blair haben beide ein Glaubwürdigkeitsproblem, und das ist die Lektion daraus."
"Massenhaftes Waffensterben"
Seit Mai 2003 sei er überzeugt, dass es im Irak keine Massenvernichtungswaffen gegeben hätte, sagt Blix, denn die Befragungen der irakischen Wissenschaftler ohne den Druck des Saddam-Regimes hätten keinerlei Hinweise darauf gebracht. Und so heißt das letzte Kapitel seines Buchs auch "Nach dem Krieg - Massenhaftes Waffensterben". Seine Berichte über die turbulente Zeit seien kein Thriller mit
unerwarteten Enthüllungen, sagt Blix am Ende in gewohnter Bescheidenheit, sondern schlicht seine Erlebnisse. Wenn er diese jetzt in gedruckter Form noch einmal lese, fände er sie allerdings selbst sehr spannend.
Nina Werkhäuser
Das Buch ist in Deutschland am 18. März 2004 erschienen.