Bestattungsrecht auch für Muslime
20. August 2013Donnerstagvormittag in der Essener Zentrale eines muslimischen Bestattungshauses. Es herrscht Hochbetrieb. Für die Überführung eines Verstorbenen nach Ägypten wird der in Deutschland ausgestellte Leichenpass nicht anerkannt. Was nun? Die Zeit drängt und der Flug ist schon gebucht. Aber zunächst muss sich Ekrem Cesur um den reibungslosen Ablauf einer islamischen Bestattung in Essen kümmern. Die Familie eines verstorbenen Pakistaners wünscht eine Bestattung auf dem "Friedhof am Hallo". So schnell wie möglich.
Möglichst zeitnahe Beisetzung
In muslimisch geprägten Ländern geht es um eine schnellstmögliche Erdbestattung, in Deutschland verhindern oft Gesetze und bürokratische Hürden, dass islamische Bestattungsrituale eingehalten werden. “Am gleichen Tag ist die Bestattung eines Muslims sowieso nicht möglich. Denn die Friedhöfe müssen ja die Grabstellen ausheben und verlangen manchmal einen Vorlauf von zwei Tagen“, sagt Ekrem Cesur. Zwar sei es der Wunsch hier lebender Muslime, ihre Angehörigen möglichst einen Tag nach Eintritt des Todes zu beerdigen, doch das sei nicht immer möglich. “Textstellen im Koran verweisen lediglich auf die Form einer Erdbestattung“, sagt der Theologe Erol Pürlü. Der Aspekt einer zeitnahen Beisetzung leite sich hingegen aus der Tradition des Propheten Mohammed ab. Sie soll im Rahmen des Möglichen befolgt werden.
Rituelle Totenwaschung
Inzwischen sind die Angehörigen des Verstorbenen schon in der Essener Mevlana-Moschee versammelt. Die rituelle Totenwaschung kann beginnen. Zutritt zum Waschraum haben lediglich der Imam sowie gleichgeschlechtliche Angehörige des Verstorbenen. “Bei uns Muslimen ist es üblich, dass die Angehörigen an der rituellen Waschung teilnehmen“, sagt Ekrem Cesur. Die meisten wollen das so. Wichtig ist, dass lauwarmes und fließendes Wasser zur Verfügung steht. Nach der Waschung wird der Leichnam des Mannes in weiße Tücher gehüllt und in einem Sarg zum Friedhof transportiert. Auf Wunsch der Familie soll das Totengebet nicht in der Moschee, sondern am Grab gesprochen werden.
Tuchbestattung statt Sarg
Bei einer islamischen Bestattung ist es wichtig, dass der Verstorbene ohne Sarg beerdigt wird. Das wurde im Bundesland Nordrhein-Westfalen bereits bei der letzten Novellierung des Bestattungsgesetzes berücksichtigt. Bestattungsfragen sind in Deutschland Angelegenheit der Bundesländer. Nun will das Land den Muslimen ab 2014 die Bestattung nach eigenen Riten weiter erleichtern. Vor Kurzem hat Gesundheitsministerin Barbara Steffens von den Grünen einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Darin heißt es: “Bis jetzt ist es so, dass islamische Grabfelder auf Friedhöfen der Kommunen integriert sind. Mit der Novellierung des Bestattungsgesetzes in NRW können Muslime künftig einen rein muslimischen Friedhof betreiben.“
Zwar wird die Mehrzahl der Verstorbenen noch immer ins jeweilige Herkunftsland überführt. Doch die islamischen Bestattungen in Deutschland nehmen zu. „Unsere Familie hat sich entschieden, den Leichnam unseres Bruders in Essen zu bestatten, weil wir nun mal hier leben“, sagt Rashid Hussein. So könne man das Grab häufiger aufsuchen, was aus islamischer Sicht durchaus erwünscht sei. Die Älteren wünschten sich vielfach eine Bestattung im Herkunftsland. Aber die jüngere Generation fühle sich zunehmend in Deutschland beheimatet.
Ein zentrales Anliegen für Muslime ist die “ewige Ruhe“. Muslimische Gräber sollen, ähnlich wie im Judentum, möglichst für immer angelegt sein. Zumindest aber für eine “sehr lange Zeit, bis die Gebeine vollständig verwest sind“, sagt der Theologe Erol Pürlü. Auf herkömmlichen Friedhöfen hingegen läuft die Pachtdauer der Grabfelder im Schnitt nach 20 Jahren ab. Verlängerung ist möglich, jedoch bisher nur bei den - erheblich teureren - Wahlgräbern. Das neue Bestattungsgesetz soll auch hier die Erleichterung bringen, die vielen Muslimen am Herzen liegt.
Mit Blick Richtung Mekka
Auf dem islamischen Gräberfeld des Essener Friedhofs am Hallo haben sich vielleicht zwanzig Angehörige versammelt – die Frauen im Hintergrund, die Männer nah am Grab. Nach dem Totengebet unter Anleitung des muslimischen Geistlichen, des Imams, steigen drei Männer ins Grab. Drei weitere heben den in Tuch verhüllten Leichnam in die Grube und drehen den leblosen Körper gen Mekka – so will es das islamische Ritual. Jetzt wird das Grab von den Angehörigen mit Erde bedeckt. "Wir sorgen immer dafür, dass mehrere Schaufeln zur Verfügung stehen“, sagt Ekrem Cesur vom islamischen Bestattungshaus.
Diese Aufgabe wäre erledigt. Doch Durchatmen kann Ecrem Cesur an diesem Vormittag erst, wenn auch die Überführung des verstorbenen Ägypters noch rechtzeitig gelingt. Es bleibt noch viel zu tun.