Ilija Trojanow in New York
22. November 2013Die weltweiten Schnüffeleien der National Security Agency (NSA) mag für viele ein neuer Höhepunkt in der langen Geschichte staatlicher Übergriffe auf die Privatsphäre sein. Nicht so für den Schriftsteller Ilija Trojanow, den die DW in New York auf dem Weg zu einer Veranstaltung des hiesigen Goethe-Instituts mit dem Titel "Surveillance and the Naked New World" getroffen hat. "Ich wurde schon als Baby abgehört", erzählt Ilija Trojanow.
Feldzug gegen den "Überwachungsstaat"
Die Wohnung seiner Eltern in Bulgarien sei völlig verwanzt gewesen. Und so kann der in Bulgarien geborene Schriftsteller, dessen Familie 1971 in Deutschland Asyl erhielt, heute in Geheimdienst-Akten die Gespräche von Eltern und Verwandten im heimischen Wohnzimmer nachlesen. Da verwundert es nicht, dass sich Trojanow eine hohe Sensibilität gegenüber der Macht und den Mächtigen bewahrt hat. Seit Jahren zieht er gegen den "Überwachungsstaat" zu Felde. Manche seiner Kritiker meinen, er würde mit seinen pointierten Formulierungen zuweilen überziehen. Zuletzt richtete er auf dem Höhepunkt der NSA-Affäre einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel, in dem er und andere Schriftsteller "angesichts des historischen Angriffs auf unseren Rechtsstaat" der Kanzlerin Untätigkeit vorwarfen.
Dass die DW Trojanow jetzt in New York treffen konnte, war bis zuletzt unsicher. Denn noch Ende September wurde ihm von den amerikanischen Behörden die Einreise in die USA verwehrt. Über die Gründe schwieg die amerikanische Botschaft in Berlin auf Nachfrage Trojanows - mit dem Hinweis auf "privacy laws".
Mehrheit der Amerikaner für Obamas Geheimdienstpolitik
Kein Zweifel, die massenhafte Abschöpfung von persönlichen Daten durch die NSA erregt immer noch die Gemüter - auf beiden Seiten des Atlantiks. Doch die Deutschen und ihre europäischen Nachbarn scheinen sich mehr darüber zu empören als die Amerikaner selber.
Während das Ansehen der USA und ihres einst populären Präsidenten bei den Deutschen seit Edward Snowdens Enthüllungen dramatisch gesunken ist, findet eine Mehrheit der Amerikaner die Aktivitäten der NSA nach jüngsten Umfragen immer noch "ok", Tendenz sogar steigend. Dass mit Ilija Trojanow ein deutscher Schriftsteller das Thema mit der Präsidentin des amerikanischen PEN-Centers, Suzanne Nossel, diskutieren will, hat gerade einmal rund hundert Zuhörer ins New Yorker Goethe-Institut gelockt.
Disput um Einreiseverweigerung durch US-Behörden
Trojanow hat sich bereits vor einigen Jahren in dem gemeinsam mit der Juristin Juli Zeh verfassten Buch "Angriff auf die Freiheit" als scharfer Kritiker eines übergriffigen Staates positioniert. Dass er aus aktuellem Anlass nun die NSA ins Visier genommen hatte, darin vermutet Trojanow den Grund für die Einreiseverweigerung. Er bedankte sich jetzt beim amerikanischen PEN-Center für seine Solidarität, fühlte sich aber von der deutschen Regierung allein gelassen.
Das hielt den im Publikum sitzenden deutschen UN-Botschafter Peter Wittig nicht auf dem Stuhl. Er stellte klar, dass die Bundesregierung sehr wohl in Trojanows Fall tätig geworden sei und sich auch sonst gemeinsam mit Brasilien für eine UN-Resolution gegen Ausspähung einsetze.
Trojanow kritisiert Koalitionsverhandlungen
Im Gespräch mit der Deutschen Welle legte Trojanow nach. Die sich jetzt als Große Koalition konstituierende Regierung hätte die Chance, aufgrund ihrer Machtfülle ganz neue Zeichen zu setzen, "indem sie zum einen die Geheimdienste mehr kontrolliert, zum anderen tatsächlich neue Formen von Bürgerrechten schafft, also digitale Selbstbestimmung". Trojanow findet es "erstaunlich und entsetzlich, dass in den Koalitionsverhandlungen dieses überhaupt nicht diskutiert wird."
Er wolle seine Kritik, so Trojanow, keineswegs auf die Amerikaner und ihre Geheimdienste beschränken: "Die NSA steht ja nicht alleine da. Es ist ein Paradigmenwechsel. Und als Gesellschaft haben wir noch nicht verstanden, dass wir radikale Maßnahmen vornehmen müssen, um den Bürger vor dieser Entwicklung zu schützen".
Der sorglose Bürger
Der instinktive Selbstschutz, den man im Analogen an den Tag lege - etwa bei der persönlichen Post - funktioniere im digitalen Raum nicht. Trojanow beklagt die "Sorglosigkeit des Bürgers, der noch nicht verstanden hat, wie sehr er sich einer gewissen Kontrolle aussetzt."
Hierin wusste er sich mit seiner Gesprächspartnerin Suzanne Nossel einig. Reagierte die PEN-Präsidentin zuvor hilflos auf die steigenden Umfragewerte für Obamas Geheimdienstpolitik, so konnte sie zumindest mit einer taufrischen Umfrage unter ihren Mitgliedern punkten.
US-Schriftsteller sehen Privatsphäre bedroht wie nie
Gefragt, wie sie auf die ausgeweitete Überwachung reagieren, gab eine Mehrheit an, dass sie ihre Privatsphäre bedroht sehe wie nie zuvor. Nossel zeigte sich alarmiert, dass die Schriftsteller ihr Arbeitsverhalten ändern. "Nicht die Mehrheit, aber eine signifikante Anzahl schränkt ihre Aktivitäten in den Sozialen Medien ein. Und sie begrenzen die Themen, die sie recherchieren und über die sie schreiben. Mit bestimmten Themen beschäftigen Sie sich nicht, aus Angst, die Aufmerksamkeit der Regierung zu erregen."
PEN-Präsidentin sieht Meinungsfreiheit in Gefahr
Sicherlich hat zur selbst auferlegten Zurückhaltung beigetragen, dass die Obama-Administration ziemlich rabiat gegen sogenannte "Leaker" und Journalisten vorgeht, die mit ihnen in Kontakt stehen. Wie von keiner Administration zuvor wurden sie von Obama und seinen Leute mit zahlreichen Strafverfahren überzogen. "Für Schriftsteller ist Meinungsfreiheit essenziell", sagt Nossel im Gespräch mit der DW. "Wenn sie anfangen, bestimmte Themen auszusparen, dann kann man davon ausgehen, dass diese Themen für alle Amerikaner ausgeblendet bleiben. Das hat Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit, die wir alle genießen."
Am Schluss der Diskussion zeigte sich selbst der kampferprobte Trojanow leicht melancholisch: "Die große Frage ist, ob wir die Privatsphäre überhaupt wieder so herstellen können, wie sie einst fast unberührt existiert hat. Es gibt ja die sogenannte Post Privacy-Bewegung, die davon ausgeht, das ist eh eine Sache der Vergangenheit. Es wird keine Privatsphäre mehr geben."