Wahlkampf
4. Januar 2007Anzeige
Unter dem Schild "Back Office" liegen ausgerollte Schlafsäcke und mit allerlei Habseligkeiten voll gestopfte Taschen. Wo früher Bankangestellte Finanzaktionen rund um den Globus verschoben haben, hat sich jetzt Hafida Sadek häuslich eingerichtet. "Seit zehn Jahren versuche ich, eine Sozialwohnung zu bekommen", klagt sie. "Man sagt mir, dass es keine gibt. Aber das ist nicht wahr, schauen Sie hier", sagt die 47-Jährige und zeigt auf die weitläufigen Büroräume um sich herum. Sie lebt mit ihren zwei Kindern als Putzfrau von 680 Euro im Monat. Im September wurde sie aus ihrer Wohnung geworfen und findet seitdem keine neue.
In den Weihnachtstagen hatte eine Pariser Obdachlosen-Organisation das leer stehende Gebäude der Gesellschaft Lyonnaise de Banque besetzt - mitten im Zweiten Arrondissement, eine der besten Adressen der französischen Metropole. Symbolisch haben sie dort das "ministère de la crise du logement" eröffnet, das "Ministerium für Wohnungskrise", mit dem sie auf das steigende Problem der Obdachlosigkeit in Frankreich aufmerksam machen wollen.
Unbezahlbare Mieten
"Ein Zimmer von 10 Quadratmetern kostet hier in Paris rund 500 Euro", berichtet Heike Matenaer. Sie ist Sozialabeiterin beim Deutschen Sozialwerk in Frankreich: "Wer sich um eine Wohnung bewirbt, muss ein regelmäßiges Einkommen in dreifacher Höhe nachweisen: also Minimum 1500 Euro. Bei einem Durchschnittseinkommen, das rund 15 Prozent unter dem deutschen liegt, erreichen das viele nicht", erklärt sie. Und Alternativen zu Paris gebe es für Jobsuchende kaum: "Immer noch konzentriert sich alles auf die Hauptstadt."
86.000 Menschen zählen derzeit in Frankreich zu den "sans domicile fixe", "die ohne festen Wohnsitz", wie sie genannt werden. Doch die Statistik erfasst nur Bruchteile: "In den vergangenen drei Jahren sind die Mieten in einigen Vierteln um 30 bis 40 Prozent gestiegen. Die Wohnungskrise trifft heute nicht mehr nur Einwanderer oder Arbeitslose, sondern auch arbeitende Schichten der Bevölkerung", sagt die Sozialarbeiterin. Der jüngste Jahresbericht der kirchlichen Stiftung Abbé Pierre zählte rund 3,2 Millionen Franzosen, die unter "sehr schwierigen Bedingungen" hausen: Auf Campingplätzen, in Kellern oder Garagen, ohne WC und Dusche.
Don Quichotte und die Zeltstädte
Bereits seit Wochen ist die Lage der Wohnungslosen im Zentrum der Diskussion: Am 16. Dezember hatte die soziale Initiative "Les Enfants de Don Quichotte" medienwirksam eine Zeltstadt entlang des Kanal Saint Martin mitten im Herzen des pittoresken Pariser Nordosten aufgeschlagen. "Camps der Solidarität" in Marseille, Nizza, Orleans, Aix-en-Provence, Toulouse, Rennes und Lyon folgten und die Politiker fühlten sich unter Zugzwang – denn im April und Mai sind Präsidentschaftswahlen in Frankreich.
In seiner Neujahrsansprache forderte Präsident Jacques Chirac "Wohnrecht für alle", Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy versprach, in ein paar Jahren werde niemand mehr auf der Straße schlafen und die sozialistische Konkurrentin Ségolène Royal beeilte sich zu sagen, sie habe auch schon mit den Kindern von "Don Quichotte" telefoniert.
Heiße Luft?
Am 17. Januar will Premierminister Dominique de Villepin jetzt seinem Kabinett einen Gesetzesentwurf vorlegen, mit dem das Recht auf Wohnung einklagbar sein soll. Denn bereits seit 1946 ist das Recht auf eine Wohnung in Frankreich gesetzlich festgeschrieben, doch mit dem neuen Gesetz wäre der Staat gezwungen, Lösungen zu liefern. Villepins Entwurf sieht vor, dass ab Ende 2008 zunächst die besonders Bedürftigen wie Frauen mit Kindern ein Recht auf Wohnung einklagen können, ab 2012 sollte dies für alle gelten.
"Die Idee ist wunderschön, aber sie ist nicht durchsetzbar", sagt Sozialarbeiterin Matenaer, "wenn es keine Wohnungen gibt, kann ich klagen, soviel ich will." Nach Schätzungen französischer Hilfsorganisationen fehlen rund 900.000 Sozialwohnungen im ganzen Land. Hinter de Villepins Vorschlag vermutet sie daher "viel heiße Luft, weil Wahlkampf ist". Außerdem schafften die Franzosen ständig Gesetze, die nicht ausgeführt würden, fügt sie hinzu: "Schon jetzt zahlen viele Kommunen lieber eine Strafe, als den gesetzlich vorgegebenen Anteil von 20 Prozent Sozialwohnungen zu erfüllen. Sie fürchten, die Quote werde den Wert anderer Immobilien beeinträchtigen", sagt Matenaer.
Beliebtes Wahlkampfthema
Das Thema ist auch nicht neu: Angefangen bei Georges Pompidou über François Mitterrand bis hin zu Lionel Jospin, der verkündet hatte, die Quote der Obdachlosen auf Null zu bringen. Auch Chirac hatte sich in seiner elfjährigen Amtszeit schon mehrfach für dieses Recht ausgesprochen, aber Taten folgten nie.
"Und selbst wenn die Regierung aufgrund des neuen Gesetzes jetzt ihren sozialen Wohnungsbau ausweiten würde: Denen, die diesen Winter im Zelt verbringen, nutzt das nichts, denn der Bau würde bestimmt fünf bis zehn Jahre dauern", vermutet sie. "Aber immerhin, sagt sie, "dieses Gesetz wäre ein erster Schritt".
In den Weihnachtstagen hatte eine Pariser Obdachlosen-Organisation das leer stehende Gebäude der Gesellschaft Lyonnaise de Banque besetzt - mitten im Zweiten Arrondissement, eine der besten Adressen der französischen Metropole. Symbolisch haben sie dort das "ministère de la crise du logement" eröffnet, das "Ministerium für Wohnungskrise", mit dem sie auf das steigende Problem der Obdachlosigkeit in Frankreich aufmerksam machen wollen.
Unbezahlbare Mieten
"Ein Zimmer von 10 Quadratmetern kostet hier in Paris rund 500 Euro", berichtet Heike Matenaer. Sie ist Sozialabeiterin beim Deutschen Sozialwerk in Frankreich: "Wer sich um eine Wohnung bewirbt, muss ein regelmäßiges Einkommen in dreifacher Höhe nachweisen: also Minimum 1500 Euro. Bei einem Durchschnittseinkommen, das rund 15 Prozent unter dem deutschen liegt, erreichen das viele nicht", erklärt sie. Und Alternativen zu Paris gebe es für Jobsuchende kaum: "Immer noch konzentriert sich alles auf die Hauptstadt."
86.000 Menschen zählen derzeit in Frankreich zu den "sans domicile fixe", "die ohne festen Wohnsitz", wie sie genannt werden. Doch die Statistik erfasst nur Bruchteile: "In den vergangenen drei Jahren sind die Mieten in einigen Vierteln um 30 bis 40 Prozent gestiegen. Die Wohnungskrise trifft heute nicht mehr nur Einwanderer oder Arbeitslose, sondern auch arbeitende Schichten der Bevölkerung", sagt die Sozialarbeiterin. Der jüngste Jahresbericht der kirchlichen Stiftung Abbé Pierre zählte rund 3,2 Millionen Franzosen, die unter "sehr schwierigen Bedingungen" hausen: Auf Campingplätzen, in Kellern oder Garagen, ohne WC und Dusche.
Don Quichotte und die Zeltstädte
Bereits seit Wochen ist die Lage der Wohnungslosen im Zentrum der Diskussion: Am 16. Dezember hatte die soziale Initiative "Les Enfants de Don Quichotte" medienwirksam eine Zeltstadt entlang des Kanal Saint Martin mitten im Herzen des pittoresken Pariser Nordosten aufgeschlagen. "Camps der Solidarität" in Marseille, Nizza, Orleans, Aix-en-Provence, Toulouse, Rennes und Lyon folgten und die Politiker fühlten sich unter Zugzwang – denn im April und Mai sind Präsidentschaftswahlen in Frankreich.
In seiner Neujahrsansprache forderte Präsident Jacques Chirac "Wohnrecht für alle", Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy versprach, in ein paar Jahren werde niemand mehr auf der Straße schlafen und die sozialistische Konkurrentin Ségolène Royal beeilte sich zu sagen, sie habe auch schon mit den Kindern von "Don Quichotte" telefoniert.
Heiße Luft?
Am 17. Januar will Premierminister Dominique de Villepin jetzt seinem Kabinett einen Gesetzesentwurf vorlegen, mit dem das Recht auf Wohnung einklagbar sein soll. Denn bereits seit 1946 ist das Recht auf eine Wohnung in Frankreich gesetzlich festgeschrieben, doch mit dem neuen Gesetz wäre der Staat gezwungen, Lösungen zu liefern. Villepins Entwurf sieht vor, dass ab Ende 2008 zunächst die besonders Bedürftigen wie Frauen mit Kindern ein Recht auf Wohnung einklagen können, ab 2012 sollte dies für alle gelten.
"Die Idee ist wunderschön, aber sie ist nicht durchsetzbar", sagt Sozialarbeiterin Matenaer, "wenn es keine Wohnungen gibt, kann ich klagen, soviel ich will." Nach Schätzungen französischer Hilfsorganisationen fehlen rund 900.000 Sozialwohnungen im ganzen Land. Hinter de Villepins Vorschlag vermutet sie daher "viel heiße Luft, weil Wahlkampf ist". Außerdem schafften die Franzosen ständig Gesetze, die nicht ausgeführt würden, fügt sie hinzu: "Schon jetzt zahlen viele Kommunen lieber eine Strafe, als den gesetzlich vorgegebenen Anteil von 20 Prozent Sozialwohnungen zu erfüllen. Sie fürchten, die Quote werde den Wert anderer Immobilien beeinträchtigen", sagt Matenaer.
Beliebtes Wahlkampfthema
Das Thema ist auch nicht neu: Angefangen bei Georges Pompidou über François Mitterrand bis hin zu Lionel Jospin, der verkündet hatte, die Quote der Obdachlosen auf Null zu bringen. Auch Chirac hatte sich in seiner elfjährigen Amtszeit schon mehrfach für dieses Recht ausgesprochen, aber Taten folgten nie.
"Und selbst wenn die Regierung aufgrund des neuen Gesetzes jetzt ihren sozialen Wohnungsbau ausweiten würde: Denen, die diesen Winter im Zelt verbringen, nutzt das nichts, denn der Bau würde bestimmt fünf bis zehn Jahre dauern", vermutet sie. "Aber immerhin, sagt sie, "dieses Gesetz wäre ein erster Schritt".
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