Regionale Landwirtschaft gegen Klimakrise
16. Mai 2022Der Raps blüht. Auf dem Weg von Berlin nach Potsdam sind manche Felder so riesig, dass das leuchtende Gelb am Horizont in das Blau des Himmels übergeht. 3,5 Millionen Tonnen der auch bei Biokraftstoffherstellern und Tiermästern begehrten Ölsaat werden jährlich in Deutschland produziert. Die Raps-Bauern dürfen sich auf eine lukrative Ernte freuen. Der Preis für eine Tonne ist von 420 Euro Anfang 2021 auf aktuell mehr als 920 Euro gestiegen.
Wegen des Krieges in der Ukraine sind auch Weizen, Mais und andere Getreidesorten deutlich teurer geworden.43 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten wurden in Deutschland im vergangenen Jahr geerntet. Nur 20 Prozent davon werden für die menschliche Ernährung gebraucht. 58 Prozent werden als Tierfutter verwendet, aus neun Prozent der Ernte wird Bio-Kraftstoff hergestellt, der Rest geht in die Industrie und in die Saatgutgewinnung.
Bio-Tomaten aus Spanien
Wenn Lene Waschke über diese Zahlen spricht, verfinstert sich der Blick der Öko-Bäuerin. "Wenn wir auf den Ackerflächen in Brandenburg statt Raps und Futtermais Gemüse in ökologischer Landwirtschaft erzeugen würden, würde der Ertrag ausreichen, um alle Menschen in Berlin und Brandenburg zu ernähren", rechnet die 45-jährige vor. "Stattdessen fahren die Berliner mit ihren Geländewagen zum Supermarkt und meinen, sie tun etwas Gutes, wenn sie Bio-Tomaten kaufen, die in Spanien unter Einsatz von unverantwortlich viel Wasser erzeugt und dann nach Deutschland transportiert worden sind."
Früher hat Waschke als Lehrerin gearbeitet. Vor fünf Jahren gründete sie zusammen mit ihrem Mann, einem Landwirt, am Stadtrand von Potsdam eine "Solidarische Landwirtschaft" (SoLaWi). Die "BAUERei Grube", wie der Hof heißt, wird von einem Verein getragen, in dem 150 Potsdamer Haushalte Mitglied sind. Sie teilen sich die Ernte, zahlen dafür einkommensabhängig 60 bis 150 Euro pro Monat und arbeiten außerdem in ihrer Freizeit auf dem Hof mit.
Das bäuerliche Risiko tragen alle gemeinsam
80 Sorten Gemüse und etwas Getreide werden angebaut. Es gibt Hühner und Truthähne, Schafe und zwei Esel. In der Hofküche wird täglich für alle gekocht, die gerade da sind. Außer Waschke und ihrem Mann gibt es nur zwei Angestellte. Für mehr reicht das Budget nicht. "150 Euro pro Monat ist das Maximum, was die Leute bereit sind zu bezahlen", sagt Waschke.
Der Hof begreift sich als Verantwortungsgemeinschaft, das bäuerliche Risiko tragen alle gemeinsam. Fällt die Ernte gut aus, dann sind die grünen Plastik-Kisten prall gefüllt, in denen Kartoffeln, Mangold, Lauch, Zuckermais, Spinat und vieles mehr verteilt werden. Knabbern Rehe die Herzen aus den Salatköpfen, nistet sich die Möhrenfliege im Wurzelgemüse ein oder lässt ein Sturm die jungen Tomatenpflanzen umknicken, dann fehlt das eine oder andere auf dem Speiseplan.
Humusaufbau gegen die Trockenheit
Die Felder der "BAUERei" gehören zu den lediglich zehn Prozent Ackerland in Deutschland, auf denen Öko-Landbau betrieben wird. Kunstdünger und Pestizide sind tabu, viel Arbeit wird von Hand verrichtet. "Wir ernten nur das, was wirklich gebraucht wird, alles andere bleibt auf dem Acker und darf verrotten", erklärt die 18-jährige Anne und lässt den Blick über die Felder schweifen. Nach dem Abitur leistet sie ein Freiwilliges ökologisches Jahr auf dem Hof ab.
Vom Rhabarber bleiben die Blätter und der Wurzelstock stehen, von den Kartoffeln das Blattwerk liegen. Alles Biomasse, die zuvor CO2, also Kohlendioxid, aus der Luft gefiltert hat. Weitere Pflanzen wie Erbsen, Linsen und andere Legumiosen binden in ihrem Wurzelwerk Stickstoff aus der Luft. Das dient nicht nur dem Klimaschutz, sondern erzeugt Dünger und eine Humusschicht, die den fruchtbaren Boden vor Wind-Erosion und dem Austrocknen schützt.
Der Regen fehlt
In Berlin und Brandenburg wird es allerdings immer trockener. Die Landwirte sprechen bereits vom fünften Dürrejahr in Folge. "Manchmal kann man auf den Ackerflächen in der Nachbarschaft Windhosen sehen, die staubtrockene Erde forttragen", erzählt Anne. "Das passiert dank unseres Humusaufbaus nicht." Von Schülern wird gerade aus Trockenholz ein Windschutz aufgeschichtet. Geplant ist, auf dem Acker Bäume zu pflanzen, die Schatten spenden.
Ohne zusätzliche Bewässerung geht es trotzdem nicht. Die "BAUERei" hat Glück, am Rand der 13 Hektar Ackerfläche gibt es einen Brunnen. In das Brummen des Kompressors mischt sich das rhythmische Geräusch einer Sprinkleranlage, die frisch gepflanzte Setzlinge wässert. "Wir versuchen, das Wasser im Boden zu behalten, indem wir Pfahlwurzler und andere Pflanzen anbauen, die Wasser in tiefe Bodenschichten leiten", erklärt Lene Waschke. "Das sind uralte Techniken, die man früher verwendet hat und die in der konventionellen Landwirtschaft verloren gegangen sind."
Austausch mit Kenia
Ein Wissen, das sie alle lehrt, die sich dafür interessieren. An drei Tagen in der Woche betreut sie Schüler auf dem Hof, die regelmäßig auf dem Acker und in der Hofküche helfen und lernen, wie man Lebensmittel erzeugt und verarbeitet.
Kürzlich hat Waschke sich auf einer virtuellen Konferenz sogar mit kenianischen Bauern ausgetauscht. "Da ging es darum, wie die 'solidarische Landwirtschaft' für Kleinbauern in Kenia eine Option sein kann." Die Voraussetzungen seien ähnlich. "Auch in Kenia gibt es große Städte, die aus dem direkten Umland ernährt werden könnten", erklärt Waschke.
Sinnstiftende Aufgabe
Die größte Herausforderung sei in Deutschland wie in Kenia, die Idee zu vermarkten und Mitglieder zu gewinnen, die nicht nur konsumieren, sondern mitarbeiten wollen. Für Berufstätige ist das schwierig, ihnen bleibt nur das Wochenende. In der "BAUERei" übernehmen Rentner die Aufgabe, das Gemüse in die Depots in Potsdam zu transportieren, wo die Mitglieder sich ihre Kiste abholen können. "Die älteren Menschen haben dadurch eine sinnstiftende Aufgabe und das Geld für das Benzin ersetzen wir ihnen", sagt Waschke.
Die 45-Jährige brennt für ihre Idee, das merkt man ihr an. "Jedem Stadtteil, jeder Kantine, jedem Caterer seine 'SoLaWi'", das wünscht sie sich. Doch ist das realistisch? Kann Biolandwirtschaft mit seinen im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft geringeren Erträgen überhaupt ausreichend Menschen ernähren und lassen sich die Menschen für ein Konzept begeistern, das ihnen Mitarbeit abverlangt? "Man braucht viel Idealismus. Geld verdienen und reich werden kann man als Bauer damit nicht", räumt Waschke ein. "Aber regionale Biolandwirtschaft ist der einzige Weg, um klimaschonend zu wirtschaften. Anders geht in Zukunft nichts mehr."