Mittler zwischen Polen und Deutschland
29. November 2019Wenn Jacek Lepiarz sich im Berliner Regierungsviertel aufhält, hat er Stift und Notizbuch immer dabei. Doch an diesem Freitagabend sind Smoking und Fliege die wichtigeren Accessoires für den 65-Jährigen. Im noblen Hotel Adlon, nur wenige Schritte vom Reichstag entfernt, ist der polnische Journalist selbst Objekt der Berichterstattung seiner Kollegen. Beim Presseball wurde er mit dem Preis der Bundespressekonferenz ausgezeichnet
Der Zusammenschluss von Polit-Journalisten mit 70-jähriger Tradition würdigt damit "herausragende journalistische Leistungen im Sinne gelebter Pressefreiheit". In diesem Jahr ging der Preis erstmals an einen ausländischen Korrespondenten. Als Lepiarz davon erfuhr, fremdelte er anfangs. "Ich dachte, Preise gehören den Helden; Journalisten, die in Gefängnissen saßen oder die etwas besonderes gemacht haben", sagte er. Er habe als Agentur-Journalist nur versucht, seine Arbeit gut zu machen und sich selbst aus politischen Spielen herauszuhalten.
Das Schattendasein eines Vorbilds
Lepiarz arbeitete fast sein gesamtes Berufsleben lang für Presseagenturen, vor allem die polnische PAP. In aller Kürze versuchte er, den Polen Deutschland zu erklären - und umgekehrt. Denn zwischendurch schrieb er auch für die deutsche Presseagentur DPA aus Warschau. Lepiarz teilt das Schicksal vieler Agentur-Journalisten. Meist bleiben sie der großen Öffentlichkeit unbekannt, doch in Wirklichkeit sind sie oft diejenigen, die entscheiden, welche Themen sich durchsetzen und wie Aussagen von Politikern interpretiert werden. Bei deutsch-polnischen Themen gilt Lepiarz seit Jahren in der Branche als eine Art "letzte Instanz".
"So akribisch und ehrlich wie er beschreibt keiner in polnischen Medien Deutschland. Ich habe erlebt, wie bei Ereignissen alle ratlos auf seine Meldung gewartet haben, bis sie selbst loslegten", meint Bartosz Wielinski von der "Gazeta Wyborcza", der den Preisträger seit 2006 kennt - beide waren Korrespondenten in Berlin.
Auch in der Bundespressekonferenz, wo die Hauptstadtpresse die Politik befragt, sorgt Lepiarz mit seinen Fragen für einen anderen Blick Berlins auf das Nachbarland. Neugierig, aber neutral - so beschreiben ihn Kollegen. "Lepiarz leistet durch seine Arbeit einen großartigen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis von Polen und Deutschen", sagt Gregor Mayntz, Vorsitzender der Bundespressekonferenz.
Preis für die Haltung
Dass er ausgezeichnet wurde, hat er auch seiner Haltung zu verdanken. Seitdem die national-konservative PiS in Polen regiert, mussten Hunderte Journalisten ihre Medienhäuser aus politischen Gründen verlassen. "Sie gingen, weil sie nicht bei den Propagandakampagnen mitmachen wollten", erklärt Lepiarz die Situation in seinem Land. Er blieb und hoffte, die politischen Veränderungen würden die Auslandsbüros der traditionsreichen PAP nicht erreichen. "Doch irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Agentur erwartet, dass ich entlang der polnischen Staatsräson berichte", erzählt Lepiarz. Er wollte sich nicht beugen. 2017 forderte ihn sein Arbeitgeber auf, zurück nach Warschau zu kommen.
Er wollte aber noch zwei weitere Jahre bis zu seinem Ruhestand als Auslandskorrespondent in Berlin arbeiten. Anfang Januar 2018 brachte er viele Kollegen in der Regierungskonferenz zum Staunen, als er sich plötzlich mit einem neuen Arbeitgeber vorstellte: Deutsche Welle. "Jacek Lepiarz war nicht gewillt, sich den Veränderungen der Medien in Polen einfach zu beugen", sagt Gregor Mayntz, "mit seiner Auszeichnung wollten wir auch ein Zeichen setzen und diejenigen würdigen, die zunehmend unter Druck ihrer Regierungen stehen und sich mutig für die Pressefreiheit einsetzen".
Trotz des Wechsels zur DW habe sich seine Arbeit überhaupt nicht verändert, nur der Arbeitgeber, witzelt er. Schließlich würden seine Berichte dank der zahlreichen Kooperationen des deutschen Senders in Polen weiterhin von vielen Medien aller politischen Couleur abgedruckt. Außerdem traf er in der neuen Redaktion frühere Kollegen. Seit 2015 wechselten mehrere ehemalige polnische Korrespondenten zur DW.
Tanzen und Twittern
Zur Preisverleihung erscheint Lepiarz mit seiner Ehefrau Iwona. Beide waren im Vorfeld leicht nervös. Denn es ist das erste Mal in seinem Leben, dass Lepiarz Smoking und Fliege trägt. Nach der Preisübergabe will das Ehepaar vor der Ballgesellschaft aus Medien und Politik eine lang eingeübte Tanzeinlage vorführen.
Beide tanzten gerne, aber zu selten, sagt Lepiarz. Bald, wenn er mehr Zeit hat, wollen sie das nachholen. Im Rentenalter will sich Lepiarz dann auch endlich auf die Sozialen Medien einlassen. Seit zwei Jahren hat er bereits einen eigenen Twitter-Account - doch er traut sich nicht, auf der Plattform zu schreiben. "Ich habe Angst, ich könnte unüberlegt und emotional etwas posten, was jemanden verletzen könnte", erklärt er. Diese Angst will er als Rentner überwinden. Ein Foto vom Ball auf seinem Twitter-Profil wäre vielleicht ein Anfang.