Wie vier Brüder Topmodels wurden
2. November 2019Die Brüder Sulumbek (24), Tamerlan (19), Islam (21) und Djibril Dulatov (25) sehen gut aus - und verdienen damit ihren Lebensunterhalt: Sie schmücken die Titelseiten von Modemagazinen und laufen über Laufstege. Doch solche Auftritte stoßen in muslimischen Kulturen nicht selten auf Verachtung: so meinen etwa Landesleute der Dulatovs in ihrer Heimat Tschetschenien, für Männer sei es eine Schande, vor der Kamera in Unterwäsche zu posieren.
Die Familie Dulatov floh vor dem Krieg in Tschetschenien und kam vor zwölf Jahren nach Düsseldorf. Zu Hause sprechen die Dulatovs Tschetschenisch, manchmal Russisch. Deutsch sprechen sie nahezu ohne Akzent.
Die Brüder waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Düsseldorf ist als Glamour- und Modestadt bekannt. Auf der berühmten Königsallee gibt es Boutiquen fast aller bekannten Labels der Welt. Hier modelten Claudia Schiffer und Heidi Klum. Aber in der Stadt gab es keine bekannten männlichen Models - bis die Dulatov-Brüder auftauchten.
Der älteste der Brüder, Djibril, war 14 Jahre alt, als er nach Düsseldorf kam. "Ich wusste wenig über Deutschland. In Tschetschenien wurde nur die Qualität deutscher Waren gelobt", sagt er. Die deutsche Sprache fiel den Brüdern leicht, sie fanden schnell Freunde. "Manchmal mussten wir uns mit Fäusten durchsetzen, aber unser enger Zusammenhalt fiel in der Schule schnell auf. Wir wurden mit Respekt behandelt", betont er.
"Djibril hatte großen Einfluss auf uns jüngere Brüder. Wir sind mit ihm noch in Tschetschenien ins Fitnessstudio gegangen. In Deutschland hat er uns für Boxen, Ringen und Kickboxen begeistert. Später haben wir uns alle mit Mehrkampf befasst", sagt Sulumbek, der ein Jahr jünger als Djibril ist. Der älteste Bruder wird von den jüngeren mit Respekt behandelt. Er ist Trainer, Manager und Pressesprecher zugleich.
Entdeckt von einer Agentin
Als 16-Jähriger jobbte Djibril in einem Supermarkt. Von seinem zweiten Gehalt kaufte er sich einen Gürtel, den er in einem Schaufenster eines teuren Ladens gesehen hatte. An der Kasse habe sich eine Frau zu ihm umgedreht und gefragt, ob er zum Casting in ihre Modelagentur kommen wolle. "Zuerst dachte ich, ich sei bei der Versteckten Kamera", sagt Djibril und fügt hinzu: "Die Frau machte mir Komplimente, was mir sehr seltsam vorkam. Ich sagte ihr: Nein, ich bin Tschetschene und darf nicht vor Kameras posieren." Doch die Frau habe ihm ihre Visitenkarte gegeben und gesagt: "Sprich mit deinen Eltern, bevor du ablehnst. Vielleicht hast du eine große Modelkarriere vor Dir." Djibrils Vater war strikt dagegen, doch die Mutter konnte ihn umstimmen. Schließlich ging Djibril mit der ganzen Familie zum Casting.
"Das war nichts Besonderes. Der Fotograf machte ein paar Bilder", erinnert sich Djibril. Doch nach zwei Monaten erhielt er einen Vertrag beim Pariser Modehaus Lanvin. Später modelte er für Gucci, McQueen, Diesel und andere bekannte Labels. Er reiste nach Paris, London und Mailand.
Einmal lehnte Djibril einen Vertrag mit Armani über 140.000 Dollar ab. Er hätte sich nur mit einer Unterhose bekleidet fotografieren lassen sollen. "Alles, was nicht bis zum Knie reicht, ist im Islam verboten. Ich bin ein gläubiger Tschetschene", sagt Djibril. Er und seine Brüder seien bemüht, die wichtigsten Gebote einzuhalten.
Und dann die jüngeren Brüder...
Schnell erhielt Djibril einen Vertrag von IMG Models, einer der renommiertesten internationalen Modelagenturen mit Sitz in New York. Eines Tages sah eine Mitarbeiterin der Agentur in einem sozialen Netzwerk auf Djibrils Profil ein Foto mit mehreren Männern. Als sie erfuhr, dass sie alle Djibrils Brüder sind, lud sie sie zum Casting ein. Heute sind alle vier Brüder bei IMG Models unter Vertrag.
Der zweitjüngste Bruder Islam, zweimaliger Europameister im Vollkontaktsport Mixed Martial Arts (MMA), mag das Modelgeschäft, weil es ihm Reisen in viele Länder ermöglicht. Doch er setzt klare Prioritäten: "Ich bin ein in Europa lebender Tschetschene, ein Sportler, der als Model arbeitet. Das ermöglicht mir, meinem Lieblingssport nachzugehen und mein Leben zu finanzieren."
Für den 24-jährigen Sulumbek sind Familie und Sport das Wichtigste im Leben. Auch er ist gläubiger Muslim. "Wie die meisten Tschetschenen in Düsseldorf gehen wir regelmäßig in die Moschee und halten das Fasten ein. Religion und Sport sorgen für mich für Disziplin. Das ist wichtig, besonders wenn man jung ist und Ziele hat", sagt Sulumbek, der 60.000 Instagram-Follower hat.
Ein Team mit Zukunftsplänen
Ihre Zukunft sehen die Dulatov-Brüder aber im Sport. "Er hat uns geholfen, uns in Deutschland zu integrieren. Dank ihm lernen wir Menschen kennen, die auch Sport mögen", sagt Djibril, der deutsche MMA-Vizemeister. Was den Brüdern eindeutig fehlt, ist Freizeit. Training ist zweimal täglich: morgens und abends. Alkohol und Zigaretten sind tabu. Das grenzt den Freundeskreis ein. Sulumbek erzählt: "Ich gehe nach den Shows nie auf Partys. Ich gehe ins Hotel, um mich auszuruhen und zu schlafen."
"Wir sind ein enges Team und machen alles zusammen. Wir haben ein gemeinsames Bankkonto: Das verdiente Geld kommt in einen gemeinsamen Topf", sagt Djibril. Die Brüder träumen davon, einen eigenen MMA-Club zu eröffnen, mit erschwinglichen Preisen für alle, die sich Düsseldorfs Fitnessclubs nicht leisten können. So sollen junge Migrantenkinder ihre Freizeit sinnvoll verbringen können.
Den Dulatov-Brüdern ist klar, dass das Modelgeschäft irgendwann vorbei sein wird. "Wir sind gefragt, solange wir jung sind", so Djibril. Er und Islam sind vor kurzem in den Profisport gewechselt und wollen MMA-Meister werden. "Manche sprechen fälschlicherweise von einem Kampfsport ohne Regeln, dabei sind sie sehr streng. Aber es ist deutlich mehr erlaubt als im traditionellen Kampfsport", so Djibril.
Trainer der Brüder ist der in Kasachstan geborene Ringer Max Schwindt. Der frühere dreimalige Junioren-Weltmeister ist sich sicher, dass er die Jungs zu neuen Meistern machen wird. Die Dulatov-Brüder bereiten sich intensiv auf das MMA-Turnier in Düsseldorf im April 2020 vor. Zwischendurch fahren sie zu Shows und Dreharbeiten nach Paris, Mailand, London und Berlin.
Sobald die Brüder einen deutschen Pass erhalten und ihre Flüchtlingsausweise abgeben können, wollen sie auch den amerikanischen Markt erobern. Sven Melzer, Agent der Dulatov-Brüder in Deutschland, ist von den Jungs begeistert: "Sie haben besonderen Charme, ihre Augen strahlen. Dass sie Brüder sind, macht sie noch interessanter. Die Labels streiten sich darum, alle vier zusammen auf den gleichen Laufsteg zu bekommen."