Monarch auf Zeit
20. April 2007"L'Etat, c'est moi! - Der Staat, das bin ich!" In diesem Ausspruch manifestierte sich einst der absolute Machtanspruch König Ludwigs XIV. Doch die Zeiten, in denen Monarchen absolute Macht über ihr Volk ausübten, sind in Europa schon lange passé. In ganz Europa?
Nein, in einem Land westlich des Rheins gibt es ihn noch: den "Monarchen auf Zeit". Die auf General Charles de Gaulle zugeschnittene Verfassung der V. Republik hat dem französischen Präsidenten diese Rolle zugewiesen. Von allen Staatsoberhäuptern der Europäischen Union hat er die bei weitem größte Machtfülle: Er ernennt den Premierminister und kann ihm das Vertrauen wieder entziehen und zum Rücktritt zwingen. Er diktiert die Linien der Politik.
Dabei muss er sich nicht gegenüber dem Parlament verantworten. Der Staatschef kann vielmehr nach Gutdünken selbst die "Assemblée Nationale" auflösen und Neuwahlen ansetzen lassen oder aber an ihr vorbei das Volk per Referendum über zentrale Fragen der Nation entscheiden lassen. "Wir haben ein sehr schlechtes System: Wir haben zwar ein Präsidialsystem. Aber der Präsident ist nicht verantwortlich vor dem Volk oder dem Parlament, sondern nur der Premierminister", kommentiert Alain Howiller, ehemaliger Chefredakteur der "Dernières Nouvelles d'Alsace" und jetziger Präsident des Instituts für politische Studien in Straßburg.
Leise Zweifel an der Macht
Dabei ist die Außenpolitik die eigentliche Domäne des Staatspräsidenten. Er vertritt Frankreich selbst dann auf internationalen Konferenzen, wenn in Zeiten der Cohabitation der Premierminister dem gegnerischen politischen Lager angehört. Er ist als Oberbefehlshaber der Streitkräfte auch für die Atomstreitmacht verantwortlich.
Die aktuellen Umfragen zufolge drei aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten - der konservative Nicolas Sarkozy, die sozialistische Ségolène Royal und der Zentrumspolitiker François Bayrou - hoffen, als künftiger Präsident schon bald selbst von dieser beispiellosen Machtfülle profitieren zu können. Doch seltsamerweise zweifeln gerade sie öffentlich an dem Amt, das sie doch anstreben.
Ruf nach VI. Republik wird immer lauter
"Eigentlich sind alle Kandidaten - egal ob sie es sagen oder nicht - d'accord, dass Frankreich eine neue Verfassung braucht", meint der langjährige Beobachter der französischen Innenpolitik Howiller.
Hinter dieser oberflächlichen Einigkeit verstecken sich kleine, aber feine Unterschiede: So spricht sich Ségolène Royal von der Parti Socialiste (PS) am deutlichsten dafür aus, die monarchischen Züge aus der Verfassung zu tilgen und eine neue, VI. Republik zu gründen. Konkret will die Sozialistin einmal jährlich Rechenschaft vor dem Parlament ablegen, sollte sie gewählt werden. Die Nationalversammlung solle eigenständig ihre Tagesordnung festlegen und an der Bestellung des Premierministers mitwirken können.
Herrschen nach US-Vorbild
Auch Bayrou, Chef der Union pour la Démocratie Française (UDF), hat "keinerlei Zweifel am Willen der Franzosen zum Wandel". Im Gegensatz zu Royal will der Zentrumspolitiker Bayrou aber die Macht des Präsidenten noch weiter ausdehnen: Nach US-Vorbild würde er sich als Präsident stärker in die Regierungsarbeit einschalten. Wie einst der heilige Ludwig möchte er herrschen und am liebsten auch Recht sprechen, spotten seine Gegner.
Sowohl Royal als auch Bayrou versprechen, im Fall ihrer Wahl an die Staatsspitze die Franzosen in einem Referendum über die Umgestaltung der von de Gaulle konzipierten "semipräsidialen" Verfassung entscheiden zu lassen.
Keine "Verfassungsabenteuer"
Sarkozy betont dagegen: "Unsere Probleme kommen nicht von unseren Institutionen." Der Chef der bürgerlichen Mehrheitspartei Union pour un Mouvement Populaire (UMP) und damit Erbe de Gaulles verteidigt die V. Republik und warnt vor "Verfassungsabenteuern".
Doch auch unter einem Präsidenten Sarkozy wäre die V. Republik eine andere als unter seinen Amtsvorgängern: Stärker noch als Bayrou würde Sarkozy als Präsident Chef der Regierung sein und mit "Botschaften zur Lage der Nation" nach US-amerikanischem Vorbild direkt mit dem Parlament Kontakt pflegen
Franzosen sind voller "Bitterkeit und Misstrauen"
Doch selbst wenn ein Verfechter der VI. Republik als Präsidentin gewählt werden sollte: Die Abschaffung der V. Republik ist damit noch lange nicht gewiss. Erste Machteinbußen hatte das Präsidentenamt auch schon in der Vergangenheit erlitten, ohne dass eine neue Republik ausgerufen wurde. So wird der Präsident seit der Wahl 2002 jeweils für fünf Jahre gewählt, zuvor betrug seine Amtszeit sieben Jahre. Im Februar wurde zudem die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens geschaffen. Frank Baasner vom Deutsch-Französischen Institut vermutet deshalb auch für die Zukunft: "Es ist viel wahrscheinlicher, dass man die V. Republik weiter anpasst, so wie sie ja über Jahrzehnte angepasst worden ist, anstatt eine neue auszurufen."
Vielleicht glauben manche Kandidaten aber auch einfach, dass sie mit einer "Neugründung" ihrer Republik der wachsenden Unzufriedenheit der Franzosen mit dem Staat und seinen Repräsentanten entgegenwirken könnten. Nirgendwo sonst in Europa begegne die Bevölkerung den politischen Eliten mit derart viel Bitterkeit und Misstrauen, meint der renommierte politische Kommentator Alain Duhamel.