Moritzburg Festival
17. August 2011Ins Leben gerufen wurde das kleine, aber feine Festival in Sachsen von Kai Vogler, Peter Bruns und Jan Vogler. Alle drei hatten zwischen 1988 bis 1991 mehrfach am renommierten Marlboro Festival im US-Staat Vermont teilgenommen und sich damit in die Liste so bekannter Teilnehmer wie Pablo Casals oder Yo-Yo Ma eingereiht. "Es war wie im Paradies", erinnert sich Jan Vogler. "Vier Sommer lang spielte man in atemberaubender Natur mit tollen Kollegen zusammen, wir redeten über Musik und über das Leben. Als die Zeit rum war, dachten wir uns: So was müssen wir unbedingt auch in Deutschland aufbauen."
Verwunschene Kulisse
Das Marlboro Festival feiert in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag, Moritzburg ist in der 18. Saison. Das Konzept beider Festivals ist identisch aufgebaut: Top-Solisten spielen gemeinsam mit hochbegabten Nachwuchsmusikern und erarbeiten in kleinen Gruppen ein Programm, das sie dann in einer Reihe von Kammermusikkonzerten dem Publikum vorstellen.
Lebendig, experimentierfreudig und offen für neue Anregungen: So beschreiben Musiker und Konzertbesucher gleichermaßen die Atmosphäre beim Festival. Und kaum einer, der sich nicht vom Zauber der Umgebung einfangen lässt. Eingebettet in eine Wälder- und Seenlandschaft bietet das alte Barockschlösschen, in dem einst der sächsische Kurfürst August der Starke seine berüchtigten Jagdfeste feierte, eine perfekte Kulisse für die ausgesuchten Musikstücke. Das romantische Ambiente habe schon die Künstlergemeinschaft "Brücke" von 1905 bis 1913 inspiriert, weiß Vogler zu berichten. Bekannte Maler wie Ernst Leo Kirchner verewigten Schloss und See auf der Leinwand.
Dissonanz in der Manufaktur
In diesem Jahr schauen die Festivalleiter erstmals nach England und spielen einige Werke, die den starken Einfluss des Landes auf die europäische Musik vor allem im 16./17. und 20. Jahrhundert aufzeigen.
"Unser Composer-in-Residence Torsten Rasch stammt zwar aus Sachsen", meint Vogler, "aber er hat sich gerade in England in den letzten Jahren einen hervorragenden Ruf geschaffen und arbeitet regelmäßig in London." Elgar, Bridge oder Byrd, Dvorák, Bach, Brahms und Haydn: Klassikfreunde kommen bei den kammermusikalischen Auftritten im Schloss, aber auch in der Dresdener Frauenkirche voll auf ihre Kosten.
In diesem Jahr fand die Eröffnung des Festivals am 7. August allerdings in einer weniger romantischen Umgebung statt, nämlich in der gläsernen Volkswagen-Manufaktur in Dresden. Hinter der Bühne konnten die Zuschauer durch die durchsichtigen Wände beobachten, wie fertige Wagen lautlos in einem mechanischen Lift auf und ab rangierten. Der ungewöhnliche Veranstaltungsort fügte sich nahtlos in das unkonventionelle Programm, das in diesem Jahr von liturgischer Musik aus dem 16. Jahrhundert bis hin zu Alfred Schnittkes Concerto Grosso No. 1 reichte, einem stilistisch sehr abwechslungsreichen und dissonanten Werk aus dem Jahr 1977.
Musikalische Werkstatt
Solisten mit Weltruf wie Nicola Benedetti, Frank Peter Zimmermann, Max Mandel, Danjulo Ishizaka oder Alice Sara Ott präsentieren sich 2011 als Moritzburg-Newcomer. "Teilweise arbeiten sie zum ersten Mal miteinander", bestätigt Jan Vogler. "Diese renommierten Meister ihres Fachs sind Inspiration und Unterstützung für die Studenten der Moritzburg Festival Akademie, die aus der ganzen Welt nach Sachsen kommen."
Die Moritzburg Festival Akademie hat sich seit ihrer Gründung im Jahre 2006 einen hervorragenden Ruf als internationale, innovative und kreative musikalische "Werkstatt" erarbeitet und ist seitdem ein fester Bestandteil des Festivals. Junge Musiker zwischen 16 und 26 Jahren widmen sich einem anspruchsvollen Programm, vom Spiel im Kammerorchester bis hin zur Kammermusik. Die Besten unter ihnen werden dann eingeladen, in Moritzburg Seite an Seite mit den erfahrenen Musikern aufzutreten. Ihre diesjährige Interpretation von Alfred Schnittkes "Concerto Grosso No. 1" begeisterte das Publikum. "Die Jugend geht mit einem anderen Enthusiasmus an die Stücke heran als die älteren", lobte ein Zuhörer den Nachwuchs.
Im Festivalsog
In diesem Jahr hatte die Dirigentin Anu Tali aus Estland die Festival Akademie-Teilnehmer unter ihrer Fittiche. Was den Enthusiasmus der Jugend angeht, ist die 39-jährige strenger als das Publikum: "Wenn man sich umguckt, stellt man schnell fest, dass die neue Generation übersättigt ist", findet sie. "Sie hat viel weniger Hunger auf Neuheiten und Erfolg; vielleicht, weil die Welt um uns herum viel komfortabler geworden ist. Aber man muss den jungen Leuten klar machen, wie ernst die Lage dort draußen ist."
Trotz dieser Kritik fand Tali auch lobende Worte für die Anpassungsfähigkeit ihrer Schützlinge an die doch sehr unterschiedlichen Programmpunkte. Gerade mal drei Tage Zeit zum Proben hatten sie, seitdem stehen noch bis zum 21. August zahlreiche Konzerte auf dem Terminkalender. In Windeseile haben die Musiker unterschiedlichster Herkunft und Schulen sich einander angenähert. Moritzburg Veteran Colin Jacobsen, Geiger und Solospieler bei Schnittkes Concerto Grosso Nr. 1, kennt das schon. "Das ist hier immer so", lacht er. "Die Leute geraten in diesen einzigartigen Festivalsog. Da draußen ist die Welt, aber hier hat die Musik das letzte Wort."
Autorin: Greg Wiser / Suzanne Cords
Redaktion: Rick Fulker