Moskau fahndet nach 160 Politikern und Beamten aus Europa
13. Februar 2024Was ist das für eine Fahndungsliste?
Es handelt sich um eine offizielle Datenbank des russischen Innenministeriums. Sie ist auf der Webseite des Ministeriums zu finden. Wenn der Verdacht besteht, dass sich eine beschuldigte Person der russischen Justiz entzogen hat, wird sie auf diese Fahndungsliste gesetzt. Nach welchen Kriterien die Liste organisiert ist, gibt das Ministerium nicht preis. Aktuell werden jedoch 96.752 Personen wegen Strafsachen gesucht.
Welche nicht-russischen Staatsbürger sind zur Fahndung ausgeschrieben?
Hunderte Ausländer stehen auf dieser russischen Liste, vor allem ukrainische Soldaten sowie Soldaten der Internationalen Legion der Streitkräfte der Ukraine. Aber auch 160 osteuropäische Politiker, Parlamentsabgeordnete und Beamte sind darauf zu finden. Sie kommen aus Estland, Litauen, Lettland, Polen und der Ukraine.
Zu den bekanntesten Namen gehören Estlands Premierministerin Kaja Kallas, Estlands Staatssekretär Taimar Peterkop und Litauens Kulturminister Simonas Kairys.
Was wird ihnen vorgeworfen?
"Feindselige Handlungen gegen das historische Vermächtnis Russlands" lautet ein offizieller Fahndungsgrund. So hatte zum Beispiel das lettische Parlament nach Russlands Überfall auf die Ukraine dafür gestimmt, alle restlichen Denkmäler aus der Sowjetzeit im Land abzureißen. Gewidmet sind diese Monumente dem Großen Vaterländischen Krieg, wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird.
Für das russische Innenministerium ist das Grund genug, alle Parlamentsabgeordnete, die im Mai 2022 für den Abriss gestimmt haben, geschlossen auf die Fahndungsliste zu setzen. Allein das sind bereits 83 Personen. Auch die ehemalige Innenministerin Maria Golubeva zählt dazu.
Litauen hatte bereits in den 1990er Jahren damit begonnen, sowjetische Denkmäler abzureißen. 2022 wurden die letzten verbliebenen entfernt. Auch Estland hat ein sowjetisches Denkmal abgerissen. Selbst unter der baltischen Bevölkerung gab es vereinzelte Proteste dagegen.
Doch vor allem Russland kritisiert solche Entscheidungen scharf: "Der Krieg gegen die gemeinsame Geschichte und die Beseitigung der Denkmäler für diejenigen, die Europa vor dem Faschismus gerettet haben, ist natürlich ungeheuerlich", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Der Streit um die Denkmäler ist aber nicht der einzige Grund, um auf einer russischen Fahndungsliste zu landen. Russlands Präsident Wladimir Putin hat vor allem Lettland und Estland für den Umgang mit ihren russischsprachigen Minderheiten mehrfach kritisiert.
Denn die beiden baltischen Staaten wenden sich komplett von der russischen Sprache ab. Bildung soll nur noch in den jeweiligen Landessprachen erfolgen. Und wer mit russischem Pass weiterhin in Lettland leben möchte, muss spätestens im nächsten Jahr lettische Sprachkenntnisse nachweisen. Sonst droht die Ausweisung, selbst wenn die Person ihr ganzes Leben in Lettland verbracht hat.
Mit welchen Konsequenzen müssen die Gesuchten rechnen?
Solange sie keinen Fuß nach Russland setzen, hat der Fahndungsaufruf keine Folgen. In der Russischen Föderation müssten die Gesuchten allerdings mit Verhaftung und einem Strafverfahren wegen "krimineller Aktivitäten" rechnen.
Bedient die Liste innenpolitische Interessen?
Ja. Angesichts der Präsidentschaftswahlen im März will Putin zeigen, dass er für alle Russen einsteht und sie verteidigt - nicht nur im Inland, sondern auch über Russlands Grenzen hinweg. Der Kremlchef will sich als starken, entscheidungsfreudigen Präsidenten positionieren. Dafür setzt er auch die bereits angespannten bilateralen Beziehungen mit den baltischen Ländern aufs Spiel.
Nicht zuletzt ergänzt diese Liste auch das Bild eines feindlichen Europas, das den Kriegsgegner Ukraine stark unterstützt. Besonders die estnische Regierungschefin Kallas wirbt vehement für weitere Waffenlieferungen und mehr Unterstützung für die Ukraine.