Mujica und die syrischen Kinder
3. Juni 2014Seit José Mujica Uruguay regiert, ist Politik ein bisschen anders geworden: Dass der Präsident auf einen großen Teil seines Gehaltes verzichtet, in einem wackeligen Bauernhaus lebt und seine Gattin zum Essen in die Dorfkneipe ausführt, gehört schon zur Politfolklore. Aber dass er gerne mit pragmatischen und unkonventionellen Einfällen hantiert, überrascht auch seine Landsleute immer wieder.
Mujicas Ideen
Zum Beispiel hat "Pepe" Mujica durchgesetzt, dass Uruguay das erste Land wird, in dem der Staat Marihuana anbaut und verkauft, um illegalen Drogenhändlern das Wasser abzugraben. Letztes Jahr hatte er die Idee, seinen Landsleuten Fahrräder und Computer zu geben - im Tausch gegen ihre privaten Waffen. Und jetzt die Kinder aus Syrien.
Über die nuschelte Mujica in einem Interview mit Radio Uruguay: "Wäre es nicht die Mühe wert, sich aufzuraffen und zu versuchen, diesen verlassenen Kindern dort zu helfen." 50 bis 100 syrische Kinder, die vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat nach Jordanien geflohen sind, wolle Uruguay im September aufnehmen, erklärte der Präsident.
"Mehr als Worte"
Von den 2,5 Millionen Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien, die es über die Grenze in Aufnahmelager geschafft haben, sind 1,2 Millionen Kinder. Fast die Hälfte davon ist jünger als fünf Jahre, sagt die Flüchtlingskommission der Vereinten Nationen UNHCR. Für die jüngsten Opfer des Krieges sucht sie händeringend nach Aufnahmemöglichkeiten: Flüchtlingskommissar António Guterres hat gerade die Länder Lateinamerikas gebeten, Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Außer Brasilien - und jetzt Uruguay - hat jedoch noch kein Staat der Region ein offizielles Angebot vorgelegt.
"Endlich mehr als nur Worte", lobten die Lateinamerika-Spezialisten des strategischen Beratungsinstitutes Oxford Analytica Mujicas Plan. Zumal der Präsident anscheinend an alles gedacht hatte: Schriftlich unterrichtete er UN-Generalsekretär Ban-Ki Moon, Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff bat er, ihm leihweise ein Flugzeug für den Transport zu überlassen, und eine Idee, wohin mit den Kindern, hatte er auch: Sie sollten in der präsidialen Sommerresidenz Anchorena, 200 Kilometer westlich von Montevideo untergebracht werden.
Kritik der Opposition
Angesichts der erwarteten Flüchtlingsströme ist das uruguayische Angebot ein kleiner Beitrag, erregte aber dennoch enorme Aufmerksamkeit - vor allem innenpolitisch. Denn in Uruguay ist Wahlkampf, Mujica scheidet Anfang 2015 aus dem Amt, und das Land sucht einen neuen Präsidenten. Den Oppositionskandidaten passt die menschenfreundliche Aktion eher nicht ins Konzept. "Unüberlegt", ist einer der freundlicheren Kommentare. Und "eine Telenovela aus der Feder des Präsidenten" ist noch lange nicht die hämischste Kritik.
Um wenigstens ein bisschen von Mujicas Coup zu profitieren, präsentierte die Abgeordnete Verónica Alonso vom oppositionellen Partido Nacional einen leicht bizarren Vorschlag: "Wir sollten uns vor allem um diejenigen Kinder kümmern, die am verletzlichsten sind, diejenigen, die von ihren Familien verlassen wurden oder sie verloren haben. Es gibt viele Kinder auf der Flucht, aber wir sollten nicht solche herbringen, die Familie haben." Stattdessen, schwadronierte die Abgeordnete, selbst Mutter dreier Kinder, sollten Waisen ins Land gebracht und an uruguayische Familien zur Adoption gegeben werden.
Arabische Tradition in Lateinamerika
Inzwischen haben mehrere UN-Funktionäre aus dem Regionalbüro des UNHCR in Buenos Aires klargestellt, dass die syrischen Kinder auf jeden Fall mit einem Familienmitglied nach Uruguay reisen werden. Noch nicht ganz klar scheint allerdings zu sein, wie es dann mit den Flüchtlingen weitergehen soll. Während die Opposition über schwere Integrationsprobleme wegen der Sprachschwierigkeiten und der kulturellen Differenzen orakelt, sprechen die Zahlen eine andere Sprache: Mehr als 20 Millionen Lateinamerikaner haben arabische Wurzeln, in vielen Ländern gibt es kulturell und politisch aktive Gemeinden.
Und sollten die Flüchtlinge wirklich in der präsidialen Sommerresidenz untergebracht werden, hätte sogar die uruguayische Staatskasse etwas davon: Weil dem bescheidenen Präsidenten Mujica das Anwesen zu luxuriös ist, nutzt er es eher selten. Die 30 Zimmer stehen leer, ein paar Dutzend Staatsangestellte drehen Däumchen, weil sie nichts zu tun haben. Und kosten trotzdem Geld.