Mehr Geld für Aufarbeitung des Kolonialerbes
2. Juli 2019Es war eine späte, aber sehr symbolträchtige Rückgabe. Im Februar 2019 konnte das Linden-Museum in Stuttgart eine Bibel und eine Viehpeitsche an Namibia restituieren. Beide Exponate der Sammlung gehörten einem der wichtigsten Anführer der Nama-Volksgruppe, Hendrik Witbooi, der sich gegen die deutsche Kolonialmacht aufgelehnt hatte. Die Objekte wurden 1893 bei einem Angriff der Kolonialtruppen erbeutet und gelangten knapp zehn Jahre später nach Deutschland - als Geschenk an das Stuttgarter Linden-Museum. Das staatliche Museum für Völkerkunde, eines der größten seiner Art in Europa, kümmert sich aktiv um die Provenienzforschung. Ein Thema, das in Deutschland zunehmend Bedeutung erlangt.
Seit einigen Jahren beschäftigen sich die deutschen Museumsdirektoren damit, wie sie die koloniale Vergangenheit aufarbeiten können. Zwangsläufig hat das auch mit dem Erstarken des politischen Selbstbewusstseins der ehemaligen Kolonien zu tun, die verstärkt Forderungen auf Rückgabe geraubter Exponate stellen.
Mittlerweile gibt es erste praktische Handlungshilfen für die Museen. Priorität hatte und hat bislang der Umgang mit menschlichen Überresten, denn viele Direktoren deutscher Museen und Sammlungen hüten Knochen oder Skelette aus der ganzen Welt. Dazu gehören auch Ritual- und Alltagsgegenstände, in die Haare, Knochen oder Zähne eingearbeitet worden sind.
Eine schnelle Rückführung dieser Exponate, die aus kolonialen Kontexten stammen, empfiehlt ein Leitfaden, den der Museumsbund bereits 2013 veröffentlicht hat. Nun gibt es zusätzlich zu der Anweisung, wie menschliche Überreste zurückzugeben sind, einen neuen, bereits zum zweiten Mal erweiterten Leitfaden, der den Umgang mit Sammelgut aus kolonialen Kontexten festlegt. Es handelt sich dabei um die Überarbeitung einer Fassung von 2018.
Keine Rechtsgrundlage für Rückgabe
"Das Thema der Aufarbeitung ist für die Museen nicht neu. Neu ist die Intensität, mit der die Debatte aktuell betrieben wird", sagt Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbunds, der in Bremen den neuen und überarbeiteten Leitfaden vorgestellt hat. Es handelt sich keineswegs um rechtsverbindliche Vorschriften, sondern lediglich um Empfehlungen.
Rechtlich normierte Herausgabeansprüche gibt es auch weiterhin nicht. Es zählen allein ethische Erwägungen. Und die erfordern ein hohes Maß an Bereitschaft der Museen selber. Deshalb appelliert der Leitfaden Kolonialismus an die Direktoren und Kuratoren, selbständig aktiv zu werden.
Restitutionen sollen freiwillig möglich sein
"Insbesondere ging es darum, zu berücksichtigen, dass bestimmte Objekte auch freiwillig zurückgegeben werden können, wenn sie eine entsprechende Bedeutung haben. Das war ein zentraler Punkt, der hinzu gekommen ist", so Köhne.
Und noch eine Maßnahme scheint für ein neues Bewusstsein im Umgang mit der kolonialen Vergangenheit zu sprechen. Der neue Leitfaden Kolonialismus wurde in Zusammenarbeit mit Kuratoren und Wissenschaftlern verschiedener betroffener Herkunftsländer wie Australien, Namibia oder auch Samoa verfasst. Beteiligt waren neben den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Deutscher Museumsbund auch sieben externe Autorinnen und Autoren.
Externe Autoren steuern Blick aus den ehemaligen Kolonien bei
Transparenz sei ein wichtiger Schritt, sagt Köhne. Die Sammlungsbestände müssten vollständig inventarisiert und digital erfassbar gemacht werden. "Die Vertreter der Herkunftsgesellschaften möchten wissen, welche ihrer Kulturgüter sich wo befinden, und Zugang zu diesen erhalten." Er sei sich darüber im Klaren, dass es sich um keine kurzfristigen Maßnahmen handele. "Wir haben schon bei der Aufarbeitung des NS-bedingt entzogenen Kulturgutes gesehen, dass kurzfristige Projekte nichts nützen."
Der Kolonialismus sei letztlich weitaus schwieriger aufzuarbeiten als die Raubkunst des Nationalsozialisten. Es ginge dabei nicht nur um einen Unrechtskontext, sondern gleich um mehrere Kontinente, so Köhne. "Die Washingtoner Erklärung ist vor 20 Jahren veröffentlicht worden. Wir sind mit der Aufgabe immer noch nicht fertig."
Geld für mehr Personal
Mit den vorhandenen finanziellen und personellen Mitteln sei es nicht möglich, die Aufarbeitung zu leisten. Für die Zukunft sei ein Team aus sechs bis acht Experten pro Museum notwendig, um die Bestände zu inventarisieren, zu erforschen und online zugänglich zu machen. "Es macht keinen Sinn die Objekte ins Netz zu stellen und wenn die Anfrage kommt, ist keiner da, der sie beantworten kann oder die Objekte aus dem Depot holt."
Das Geld für diese zusätzlichen Kräfte müssten die Länder und Kommunen aufbringen. Aber auch kurzfristig können Maßnahmen greifen. "Einige Kollegen aus dem Ausland haben ein eigenes Kapitel beigesteuert, in dem es um den Umgang mit den Exponaten in den Museen selbst geht."
Vergangenheit der Werke dokumentieren
Zum Beispiel sollen die Museen in ihren Ausstellungspräsentationen offenlegen, wie die einzelnen Exponate in ihre Sammlung gelangt sind. Das sei ein ausdrücklicher und vordringlicher Wunsch der internationalen Experten gewesen. Es sei nun an den Museen selbst, die Weichen für eine historisch korrekte Aufarbeitung zu stellen.
An der Bereitschaft der Häuser hat Köhne keinen Zweifel. "Die Museen müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie wichtig diese Arbeit ist. Doch ich glaube nicht, dass das bei den Museen hier im Land ein Problem wäre. Das Problembewusstsein ist hoch."
Der Leitfaden erscheint auch auch auf Englisch und Französisch und dient den Museen als Unterstützung ihrer Arbeit.