Merkel bewegt Fangirls und Feministinnen
22. November 2015"Meine Töchter finden sie gut, und Merkel kann eigentlich machen, was sie will. Merkel braucht keine schönen Kleider", schrieb die Journalistin Kathrin Spoerr 2013 in der Zeitung "Die Welt" und setzte hinzu: "Sie darf den Friseurtermin verpassen." Die Töchter waren noch klein. Ihr Berufswunsch: Bundeskanzlerin.
Angela Dorothea Merkel, Jahrgang 1954, verheiratet, kinderlos: Vorbild für die junge weibliche Generation? Eindeutig lässt sich die Frage nicht beantworten, denn natürlich ist "die junge Frau" ein Konstrukt. Sie ist 17 oder 32, sitzt an der Kasse oder studiert Chemie, ist Punk oder Startup-Chefin, Programmiererin oder Bürokauffrau.
Eine von ihnen ist Thekla Morgenroth, 29. Die deutsche Sozialpsychologin erforscht an der englischen University of Exeter Rollenvorbilder und Geschlechterstereotype. Vorbilder funktionieren über zwei Faktoren, erklärt Morgenroth: "Die Person muss das verkörpern, was ich sein will, und ich muss denken, dass ich auch so sein könnte. Ihr Erfolg sollte erreichbar sein und dabei spielt Ähnlichkeit eine große Rolle. Das kann beinhalten, dass man das gleiche Geschlecht hat, die gleiche Hautfarbe oder den gleichen sozialen Status."
Meisterin der Gratwanderung
Erreichbarer Erfolg? Ähnlichkeit? Schwierig, wenn es um die erste deutsche Kanzlerin geht. Um eine Frau, die seit Jahren das Schicksal Deutschlands und Europas lenkt oder mitlenkt. Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - wird Angela Merkel in einer Studie des Wirtschaftsprüfungs-Unternehmens Ernst & Young (siehe Abb. unten) von Studenten als größtes Vorbild nach Eltern, Freunden und Partnern genannt - und zwar bei Männern und bei Frauen.
Auch Thekla Morgenroth findet, dass sich Frauen etwas bei Merkel abschauen können: "Sie ist sehr gut darin, kompetent und durchsetzungsfähig, aber gleichzeitig nicht aggressiv zu wirken. Für Frauen in Führungspositionen ist das eine Gratwanderung." Morgenroth ist überzeugt: Merkels explizit nicht weibliches Auftreten ist Teil ihres Erfolgsrezepts. "Für eine Frau, die ständig in der Öffentlichkeit steht, wird sie gerade in den vergangenen Jahren erstaunlich selten auf ihr Äußeres reduziert. Ich kann mir schon vorstellen, dass sie das zu einem ansprechenderen Vorbild macht als viele andere prominente Frauen."
Dass Merkel sich seit zehn Jahren im Amt hält, sende auch eine generelle Botschaft aus, so die Sozialpsychologin: Das "ist der Beweis, dass man es als Frau schaffen kann. Dass die Barrieren, die einem im Weg stehen, wie zum Beispiel Diskriminierung und Vorurteile, nicht unüberwindbar sind."
Erfolg hat seinen Preis
Anne Wizorek, 34, würde in Merkel aus einem ähnlichen Grund gerne ein Vorbild sehen. "Sie ist eine Frau in einer Machtposition, sie kommt aus dem Osten - und ich bin ja auch im Osten groß geworden. Aber für mich persönlich ist sie keins." Die Autorin und Netzaktivistin wirbt für einen modernen Feminismus. 2013 hat sie den Grimme-Online-Award für die Hashtag-Aktion #Aufschrei bekommen, die sich gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt richtete.
Gerade in geschlechterpolitischen Diskussionen positioniert Merkel sich nicht - egal, ob es um die Frauenquote, die "Pille danach" oder die Ehe für Homosexuelle geht. Das gilt auch für Merkels eigene Rolle als Frau. Wizorek: "Bei Bundeskanzlern wird ja interessanterweise nie nach der Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf gefragt, sondern man erwartet einfach, dass sie den Job 24 Stunden, sieben Tage die Woche machen können. Angela Merkel kann das eben auch nur tun, weil sie sich nicht fragen muss, ob sie den Job vielleicht mit pflegebedürftigen Angehörigen unter einen Hut bekommt."
Mehr noch: Der Erfolg Merkels habe seinen Preis. "Sie ist da oben gelandet, weil sie das bestehende Machtsystem gut für sich ausgenutzt hat. Dem kann man Respekt zollen, aber es ist natürlich genau das Machtsystem, das wir aus feministischer Perspektive insgesamt verändern wollen."
Dennoch, betont Wizorek, setze eine Frau im Bundeskanzleramt ein wichtiges Zeichen für die junge Generation.
Unerwartetes Rückgrat
In den Augen anderer Frauen gibt die Kanzlerin seit kurzem ein besonderes Beispiel - auch solchen, die nicht zum politischen Lager der Kanzlerin gehören. "Für mich beweist Merkel mit der Flüchtlingsthematik Rückgrat: Auch wenn es in der eigenen Partei oder der Bevölkerung ungemütlich wird, andere Meinungen ausgesprochen werden, weiter zu seinen Worten zu stehen - das ist für mich zum ersten Mal Vorbild," sagt Nora-Vanessa Wohlert, 31, Mitgründerin von Edition F, einer digitalen Karriere-Community für junge Frauen.
Früher habe sie das diplomatische Geschick Merkels bewundert, auch wenn sie nie CDU gewählt habe, betont Wohlert, aber politisch sei die Bundeskanzlerin für sie oft undurchsichtig geblieben. Trotzdem freut die Unternehmerin sich über die Signalwirkung von Merkels Kanzlerschaft an junge Generationen: "Eine schöne Beobachtung ist, dass viele kleine Kinder sich gar nicht vorstellen können, dass es einen Mann als Bundeskanzler geben kann."