Meine geografische Zeitreise
19. April 2021Als Kind hatte ich eine große Weltkarte an der Wand hängen. Soweit ich mich erinnere, stammte sie von einem Weihnachtsbasar und war bereits ein paar Jahrzehnte alt, als ich sie Anfang der 1980er-Jahre aufhängte und zu studieren begann. Schon bald kannte ich so gut wie alle Länder und die meisten Hauptstädte auswendig. Die fünf Kontinente, wie man damals noch sagte, und die sieben Weltmeere sowieso.
Stolz war ich darauf, dass ich im Grundschulalter auch die drei riesigen "Seen" in Eurasien kannte: das Kaspische Meer, dessen Form der damaligen Bundesrepublik ähnelte, das Schwarze Meer, von dem ich bald erfuhr, dass es - im Gegensatz zum Kaspischen Meer - wirklich ein Meer ist; und der fast runde, etwas eiförmige Aralsee, von dem ich niemals glaubte, dass er mit Benzin gefüllt sei. Und so blieb mir seine Namensverwandtschaft zur deutschen Tankstellenmarke "ARAL" ein Rätsel.
Die ARAL-Tankstellen sind in Deutschland weiterhin allgegenwärtig. Der Aralsee ist so gut wie verschwunden.
Die Austrocknung des Aralsees
Schon die erste Aufnahme auf Google Earth Timelapse aus dem Jahr 1984 zeigt den Salzwassersee in Zentralasien deutlich kleiner als in meiner Erinnerung: Er ist schmaler geworden und die Inseln im Norden, die ich als Kind nie wahrgenommen hatte, springen ins Auge. Tatsächlich haben sie den See aufgeteilt in den kleinen Aralsee im Norden und den großen im Süden.
Von der "Aralsee-Katastrophe" habe ich wohl irgendwann zu Studienzeiten das erste Mal gehört, Anfang der 2000er-Jahre: Als Hauptverantwortliche für das Austrocknen des ehemals 68.000 Quadratkilometer großen Sees gelten die Wasserentnahme aus seinen Zuflüssen für Baumwoll- und Reisanbau in der eurasischen Steppe seit der Stalin-Ära.
Google Earth Timelapse hat mir das Ausmaß dieses menschlichen Eingriffs in die Natur vor Augen geführt. Heute haben beide Seen zusammen noch eine Fläche um die 8500 Quadratkilometer. In der Spanne eines Menschenlebens ist der Aralsee also von der Größe der Republik Irland auf die Fläche der Region Greater Londons geschrumpft.
Städtewachstum vor der Haustür und in der Welt
Während ich am Rande von Köln aufwuchs, konnte ich buchstäblich aus dem Fenster beobachten, wie die Stadt wuchs: Wo in meinen ersten Lebensjahren Zuckerrüben angebaut wurden, entstanden Baustellen, auf denen wir verbotenerweise spielten.
Seither ist die Einwohnerzahl Kölns von 900.000 auf fast 1,1 Millionen gestiegen. Auch die Wohnfläche pro Kopf hat sich vergrößert, sodass die Gesamtwohnfläche in Köln etwa ein Viertel größer sein dürfte als Anfang der 80er-Jahre. Auf Google Earth Timelapse ist das schwer zu erkennen - weil die frühen Aufnahmen vergleichsweise unscharf sind und die Stadt allein deshalb grüner wirkt.
Beeindruckender ist zu sehen, wie die nordostchinesische Stadt Dalian sowie Dubai, die Hauptstadt des gleichnamigen Emirats am Persischen Golf, auf Land und Meer ausgebreitet haben. Wie die Planstadt Naypyidaw, seit 2005 Hauptstadt von Myanmar, aus dem Nichts entstand. Und wie sich die US-Glücksspielmetropole Las Vegas - wie auf diesen Bildern zu sehen - in die Wüste von Nevada ergießt.
Der Umbau des Rheinischen Braunkohlereviers
Wer vom Kölner Westen aus mit dem Rad ins Grüne fährt, landet in der Ville, einem hügeligen Landstrich mit zahllosen Wäldchen und Seen. In vielen der Seen kann man baden, in anderen ist das aus Naturschutzgründen verboten, denn seit ein paar Jahrzehnten wachsen und nisten hier seltene Arten.
Dahinter lag in den 80er-Jahren der Tagebau Frechen. Als Kind faszinierten mich die teils fast 100 Meter hohen Schaufelradbagger. Dass sie die größten Landfahrzeuge der Welt sind, wusste ich damals nicht. Ebenso wenig wusste ich, wie sehr sie die gesamte Region geprägt hatten: Ihre höchsten Erhebungen sind Abraumhalden und die mehr als 40 Seen sind samt und sonders Restlöcher des Tagebaus. Zwischen Köln und Aachen gibt es keinen einzigen natürlichen See.
Auf Google Earth Timelapse ist zu sehen, wie sich die Tagebaue Hambach (Mitte des Ausschnitts), Inden (links) und Garzweiler (oben) mit der Zeit ausbreiteten und verlagern. Es ist aber auch zu sehen, wie nordwestlich des Hambacher Tagebaus die Sophienhöhe renaturiert wurde und wie der Tagebau Frechen (rechts) zuwächst und in seiner Mitte der Boisdorfer See entsteht.
Wenn der Braunkohleabbau im Rheinischen Revier in den nächsten zwei Jahrzehnten ganz eingestellt wird, sollen auch die riesigen Tagebaue Hambach und Garzweiler renaturiert werden. Gegen Ende des Jahrhunderts soll dann der Hambacher See volllaufen und zum flächenmäßig siebtgrößten und, mit mehr als 350 Metern, tiefsten See Deutschlands werden. Dass sich das riesige Gewässer ebenso gut in die Natur einfügt wie seine kleinen Vorfahren, bezweifeln Umweltschützer allerdings.