Deutsche Möbelhändler stellen sich der Corona-Krise
28. August 2020Haben Sie es auch satt, sich die alten Vorhänge oder die durchgesessene Couch anzusehen? Wollen Sie Ihr zu Hause besser nutzen, da es jetzt nicht nur der Ort ist, an dem Sie leben, sondern auch Ihr Büro? So scheint es vielen Deutschen seit Beginn der Coronavirus-Pandemie zu gehen - vor allem, weil etliche Reisewarnungen viele Deutsche davon abhalten, in diesem Jahr ihre Urlaubsreise anzutreten.
Millionen von Menschen haben monatelang geputzt und alte Sachen weggeworfen, weil es während des Lockdowns kaum etwas anderes zu tun gab. Jetzt ist der Corona-Putz beendet und auf dem Konto liegt immer noch das Urlaubsgeld. Ein unerwartetes Budget für Möbel und Deko. Dass die Mehrwertsteuer in Deutschland bis Ende des Jahres von 16 auf 19 Prozent gesenkt wurde, ist noch ein Grund mehr für große Anschaffungen.
Der Corona-Effekt
Holzconnection, ein Berliner Spezialist für maßgefertigte Holzschränke, Regale, Tische und andere Möbelstücke, ist in diesen Wochen so beschäftigt wie nie. Die zwölf Showrooms in ganz Deutschland haben das erste Halbjahr 2020 überstanden und sind ins digitale Zeitalter eingetreten.
Unternehmenschef Denys Nagel konnte während der Corona-Schließungen seine Produktionsstätten offenhalten, da er seine Möbel im Nachbarland Polen selbst herstellt. Auch die Planungsabteilung konnte durcharbeiten. Während die Ausstellungsräume für die Öffentlichkeit geschlossen werden mussten, haben die Mitarbeiter gelernt, Kunden virtuell zu beraten. Innerhalb von zwei Wochen hatten die von zu Hause arbeitenden Verkäufer die Technologie parat, um Kunden, die ebenfalls zu Hause waren, ihre Möbel zu verkaufen.
Vor allem wegen der Kundenberatung über das Internet gab es für den Mittelständler kaum Umsatzeinbußen. Nicht nur das: "Wir konnten damit eine neue Zielgruppe erreichen, die in Zeiten von Lockdown und Reiseverboten erkannt hat, dass es wichtig ist, das eigene Zuhause wohnlich zu gestalten", sagte Nagel gegenüber der DW.
Achterbahnfahrt für die Hersteller
Andere Unternehmen hatten nicht so viel Glück in der Corona-Krise, in der Fabriken geschlossen und Lieferketten gekappt werden mussten. Wie viele andere Branchen blieben auch viele Möbelhändler auf der Strecke.
"Die Umsätze der Möbelhersteller brachen aufgrund des fehlenden Auftragseingangs im April um 28,7 Prozent und im Mai um 23,3 Prozent ein", schrieb der Verband der Deutschen Möbelindustrie (VDM) am 24. August in einer Pressemitteilung.
Nach dem Ende des Lockdown und nachdem die Geschäfte wieder öffnen durften, stehen die Kunden nun Schlange. In Berlin wie auch in anderen deutschen Regionen sind die Möbelhändler derzeit so beschäftigt, dass es schwierig ist, ohne Termin beraten zu werden. Laufkundschaft muss warten, was in der sonst schleppenden Sommersaison ungewöhnlich ist.
Doch die Kunden scheinen mehr als die verlorenen Corona-Wochen aufzuholen. Viele konzentrieren sich wieder auf das eigene Zuhause. Zwar sorgte Corona im 1. Halbjahr 2020 für einen Umsatzeinbruch. Aber die massiv steigenden Verkaufszahlen im Monat Juni lassen die Branche hoffen.
In einer VDM-Mitgliederbefragung gaben 42 Prozent der Unternehmen an, dass sie das Jahr mit schwarzen Zahlen abschließen werden. Der Rest, also die Mehrheit, rechnet mit Verlusten. Insgesamt erwarten die Unternehmen in der Branche Umsatzrückgänge von fünf Prozent. Ein Monat zuvor war noch von einem Rückgang von zehn Prozent die Rede. Diese verbesserten Aussichten können ein Trost sein für die Branche mit immerhin 83.000 Beschäftigten.
Und trotz der Tatsache, dass die Auftragsbücher von Holzconnection "noch brechend voll" sind, wie Unternehmenschef Nagel betont, macht sich der Geschäftsführer Sorgen wegen der Corona-Krise. Vor allem fürchtet er eine mögliche zweite Welle. Dennoch rechnet Nagel mit einem guten Geschäftsjahr 2020. Er warnt aber: "Wir müssen genauso aktiv und hellhörig bleiben, die Augen stets offenhalten und schauen was der Markt macht."
Der einzige Weg ist online
Bislang ist Deutschland ein Nachzügler, wenn es um digitale Investitionen geht. Vor allem das Möbelgeschäft gilt als nicht besonders innovativ. "Wer manuelle Prozesse in seiner Firma hat, wird langfristig nicht überleben können, da ihn die Onliner auf der Kostenseite überrollen werden", so Nagel.
Am 5. Juli meldete der Verband der E-Commerce- und Versandhändler BEHV, dass der Online-Umsatz in Deutschland im ersten Halbjahr insgesamt um 9,2 Prozent auf 36,7 Milliarden Euro gestiegen ist. Davon entfielen 5,6 Milliarden Euro auf Waren wie Möbel, Dekoration und Haushaltsgeräte.
Für Holzconnection-Geschäftsführer Nagel zeigt das deutlich: Die Branche braucht digitale Strategien. Sein Online-Geschäft macht bereits rund 25 Prozent des gesamten Umsatzes aus und liegt damit weit über dem Branchendurchschnitt. Auch nachdem die Kunden wieder persönlich ins Geschäft kommen hat die Online-Nachfrage nicht nachgelassen. Das Unternehmen investiert nun in weitere Technologien wie 3D-Tools und automatische Preiskalkulatoren.
"Digitalisierung heißt aber nicht, einen Onlineshop mit fünf Produkten aufzusetzen, sondern das gesamte Unternehmen neu zu denken", erläutert Nagel. Trotzdem sind für ihn die Geschäfte an den Standorten auch in Zukunft wichtig. "Natürlich werden Showrooms weiterhin wichtig sein, aber vielmehr als Begegnungsstellen, um Vertrauen aufzubauen, für Events, und um sich das Produkt einmal live anzuschauen".
Qualitätssiegel "Möbel Made in Germany"
Nach den am 24. August veröffentlichten Zahlen des VDM exportierte Deutschland in der ersten Hälfte des laufenden Jahres Möbel im Wert von 3,3 Milliarden Euro. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ist ein Rückgang von fast zwölf Prozent. Die Schweiz ist der größte Absatzmarkt, gefolgt von Frankreich, Österreich und den Niederlanden. Jetzt werden 70 Prozent der deutschen Möbelproduktion von Deutschen gekauft.
Gleichzeitig beliefen sich die Möbelimporte auf 3,9 Milliarden Euro, das sind 8,4 Prozent weniger als in der ersten Hälfte des Jahres 2019. Derzeit stammen über 55 Prozent der Importe aus Polen, China und der Tschechischen Republik - fast 30 Prozent davon allein aus Polen.
Die Branche will die Kunden unter anderem mit ihrer Initiative "Möbel Made in Germany" auf sich und auf Qualität aus Deutschland aufmerksam machen. Das Label wurde am 1. August ins Leben gerufen und dient als Herkunfts- und Qualitätsnachweis. Bislang sind 31 von 78 interessierten Herstellern für die Verwendung des Siegels zugelassen worden.
Eine andere Möglichkeit, den Verkauf anzukurbeln, wäre es, die Geschäfte in Deutschland am Sonntag öffnen zu lassen. Dafür kämpfen derzeit die Einzelhändler. Seit Jahren streiten sie mit der Politik um entsprechende Regelungen, weil immer mehr Geschäft ins Netz abwandert, das bekanntermaßen keine Öffnungsbeschränkungen hat.
Aber egal, wie gut die Online-Erfahrung eines Möbelhändlers ist: Ein Kunde kann eine Matratze nicht virtuell testen, und Möbel sind nicht etwas, das die Menschen jeden Tag kaufen. Deutsche ziehen auch nicht so oft um wie zum Beispiel Amerikaner und haben weniger Anlass, neue Möbel zu kaufen. Es ist noch nicht klar, ob das gute Nach-Corona-Geschäft dieses Sommers eine einmalige Sache war oder ob die Deutschen dauerhaft Lust aufs Einrichten bekommen haben.