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Atom-Bürgschaft?

Christina Ruta13. August 2012

Die deutsche Bundesregierung erwägt weiterhin, den Bau von Atomreaktoren im Ausland durch Bürgschaften finanziell abzusichern. Einen Widerspruch zum deutschen Atomausstieg sieht sie nicht.

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Das Atomkraftwerk von Temelin in Tschechien (Foto: Sean Gallup/Getty Images)
Bild: Getty Images

Havarierte Atomreaktoren und eine mögliche Kernschmelze - der Nuklearunfall in Fukushima in Japan hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr veranlasst, bis 2022 aus der Atomenergie auszusteigen. Es war eine 180-Grad-Wende der schwarz-gelben Koalition. Nun, über ein Jahr später, erwägt die Bundesregierung den Bau neuer Atomkraftwerke (AKW) im Ausland zu unterstützen - mit sogenannten Hermes-Bürgschaften. Dies geht aus einer Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Ute Koczy hervor.

Exportförderung mit Steuergeldern

Demnach prüft die Bundesregierung, ob sie Exportkreditgarantien für deutsche Firmen vergibt, die mit Zulieferungen oder Dienstleistungen am Bau neuer Reaktoren in Osteuropa und einigen Schwellenländern beteiligt sind. Bei den Hermesdeckungen handelt es sich um "'Versicherungen' für Exportgeschäfte, mit denen ein Zahlungsausfall aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen abgesichert wird", wie das Bundeswirtschaftsministerium auf DW-Anfrage mitteilte. Im Notfall springen also die deutschen Steuerzahler ein. Grundsätzlich fördert die Bundesregierung mit den Bürgschaften nach eigenen Angaben die "Erschließung neuer Märkte".

Aus dem Schreiben der Bundesregierung an die Grünen geht hervor, dass aktuell ein Bürgschaftsantrag für Lieferungen beim Kernkraftwerk-Neubau auf der chinesischen Halbinsel Hainan vorliegt sowie eine Anfrage zu einer sogenannten "Interessenbekundung" (Letter of Interest) für mögliche deutsche Lieferungen und Dienstleistungen bei einem Projekt in Cernavoda, Rumänien. Für Kraftwerksbauten in Jaitapur (Indien), Temelin (Tschechien), Wylfa (Großbritannien) sowie Olkiluoto und Pyhäjoki (Finnland) seien bereits Interessenbekundungen ausgestellt.

Tsunami rollt über Küste in Japan Foto: Mainichi Zeitung (dpa)
Ein Erdbeben und ein Tsunami führten in Japan zur AtomkatastropheBild: picture-alliance/dpa

Schon Anfang 2010 hatte die Bundesregierung eine grundsätzliche Zusage für Lieferungen beim Bau des Atomkraftwerkes Angra III in Brasilien gegeben. Seit dem Atomunfall in Fukushima prüft sie aber die Sicherheit der Anlage, die sich offenbar in einem hochwassergefährdeten Gebiet befindet.

Naturgewalten und Sicherheitslücken

Auch anderswo scheint ein sicherer Betrieb nicht gewährleistet zu sein: Sowohl in Rumänien als auch in Indien lägen die geplanten Reaktoren mitten im Erdbebengebiet, so Heffa Schücking, Geschäftsführerin der Umweltorganisation "Urgewald" im Gespräch mit der DW. "In Indien kommt hinzu, dass die Qualität der indischen Atomaufsicht absolut indiskutabel ist", sagt die Umweltschützerin. Das indische Atomkraftwerk soll mit sechs Reaktoren mit jeweils 1650 Megawatt Kapazität das größte der Welt werden. Zum Vergleich: Das bislang größte indische AKW hat nach Angaben von "Urgewald" eine Kapazität von 550 Megawatt, ein Großteil der bestehenden AKW nur um die 220 Megawatt. "Es besteht also überhaupt gar keine Erfahrung im Umgang mit einer Anlage in dieser Größenordnung", kritisiert Heffa Schmücking das Projekt. Wie auch in China gebe es keinen Plan für die Entsorgung des Atommülls. In China werde der strahlende Abfall häufig einfach in Tibet oder in Gebieten, in denen ethnische Minderheiten leben, verscharrt. Grundsätzlich sei es dort schwierig, überhaupt an Informationen in Bezug auf die Projekte zu kommen, und auf Sicherheitsfragen würde sehr wenig Wert gelegt.

Heffa Schücking, die Geschäftsführerin der Umweltorganisation "Urgewald" Foto: A. Griestop (Urgewald)
Heffa Schücking von der Umweltorganisation "Urgewald"Bild: A.Griestop

Laut Bundeswirtschaftsministerium werden bei der Prüfung möglicher  Exportkreditgarantien "besonders strenge Prüfungsanforderungen" angelegt. Zentrale Bedeutung dabei habe "die Sicherheit für die Menschen im Umfeld des betreffenden Kernkraftwerks."

Die Öffentlichkeit erfährt jedoch nicht, welche Unternehmen mit den Bürgschaften gefördert werden. "Um welche Firmen es hier geht, wissen wir meist nicht, weil die Bundesregierung diesbezüglich sehr intransparent ist und die Anträge der Firmen nicht grundsätzlich öffentlich macht", kritisiert Heffa Schücking von "Urgewald". In Bezug auf die AKW in Brasilien und Indien wüsste man aber, dass der Antragsteller Areva ist. Bei Areva handelt es sich um einen französischen Konzern, der auch in Deutschland produziert und somit hierzulande Anträge auf Hermes-Bürgschaften stellen kann.

AKW-Förderung trotz Atomausstieg

Bezüglich der Frage, inwieweit die Prüfung der Hermes-Bürgschaften im Widerspruch zum deutschen Atomausstieg steht, unterscheidet die Bundesregierung strikt zwischen In- und Ausland: "Der Entschluss der Bundesregierung, die zivile Nutzung der Kernenergie mit kurzen Restlaufzeiten zeitnah zu beenden, betrifft die Energieversorgung im Inland. Für die souveräne Entscheidung anderer Staaten, Nukleartechnologie zu nutzen, hat diese Entscheidung keinen Einfluss", so ein Sprecher.

Proteste gegen das AKW Angra III in Brasilien (Foto: Kai Loeffelbein / Campact)
Proteste gegen das AKW Angra III in BrasilienBild: Kai Loeffelbein / Campact

Umweltschützerin Heffa Schücking kritisiert dies: "Es geht nicht, dass wir eine Technik für so risikoreich erklären, dass wir im Inland diesen Risiken nicht mehr augesetzt werden wollen und dann Exportbürgschaften ausgerechnet für die Länder vergeben, in denen nukleare Sicherheit kaum ein Thema ist und zum Teil auch sehr gefährliche Standorte ausgesucht wurden."

Insbesondere für das Reaktorprojekt am Standort Temelin in Tschechien scheint eine Unterscheidung zwischen In- und Ausland wenig sinnvoll zu sein. Das AKW liegt nur 60 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Bei einem Atomunfall dort wäre also das Bundesland Bayern direkt betroffen.