Müllabfuhr in der Erdumlaufbahn
25. April 2013Die Raumfahrt hat seit ihrem Bestehen allerhand Rückstände in den Erdumlaufbahnen hinterlassen: Alte Satelliten, deren Kontakt zur Erde abgebrochen ist oder Raketenstufen, die einst dazu dienten, diese überhaupt ins All zu befördern. Die erdnahen Umlaufbahnen sind voll vom sogenannten Weltraumschrott. Würde er mit anderen - noch aktiven - Satelliten kollidieren, wären diese verloren. Bei einer Kollision mit der Internationalen Raumstation ISS käme es gar zur Katastrophe. Wie das zu verhindern ist, diskutieren vom 22. bis 25. April 2013 Raumfahrtexperten bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA in Darmstadt.
Das Hauptproblem: Bei Zusammenstößen entstehen immer kleinere Teile - von denen aber auch große Gefahren ausgehen. Das US-Beobachtungsprogramm SSN, das Satellitenbetreiber und Astronauten vor möglichen Kollisionen warnt, führt eine Liste mit über 16.000 Teilen. Systematisch erfasst werden davon jedoch nur Fragmente, die größer als zehn Zentimeter sind. Aber auch viel kleinere Teile haben es in sich - das liegt an den hohen Geschwindigkeiten, mit denen sie unterwegs sind.
Sandstrahlgebläse im Weltraum
"Ein ein Zentimeter großes Objekt entfaltet zum Beispiel bei einer typischen Geschwindigkeit von mehr als 50.000 Stundenkilometern die Energie einer Handgranate, wenn sie auf einen Satelliten trifft," veranschaulicht Heiner Klinkrad, Leiter der Abteilung Weltraumrückstände bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA in Darmstadt, das Problem. Genug, um einen Satelliten zu zerstören. Von solchen Fragmenten fliegen bis zu 750.000 Stück um die Erde. Dabei reichen selbst viel kleinere Stücke - nur einen Millimeter groß - bereits aus, um den Raumanzug eines Astronauten zu zerlöchern oder sensible Geräte unbrauchbar zu machen. Von solchen sandkorngroßen Stücken gibt es rund 160 Millionen.
Beobachten lassen sich diese kleinsten Teile allerdings nur mit hochauflösenden Radaranlagen und Teleskopen und zwar vor allem deshalb, weil sich die Fragmente in bestimmten Umlaufbahnen konzentrieren. Aber das hat auch einen großen Nachteil: "Die Bahnen, die schon durch Missionen stark bevölkert sind, sind auch die Bahnen, in denen es viele Fragmente gibt", gibt der Raumfahrtingenieur Klinkrad zu bedenken.
Der deutsche Astronaut Reinhold Ewald war 1997 für zwanzig Tage im Weltall. Auf der Raumstation MIR konnte er erleben, wie stark selbst kleinste Partikel aus dem Weltall auf die Oberflächen von Raumschiffen in einer Höhe von etwa 400 Kilometern wirken. "Es ist eine sehr aggressive Umgebung", so Ewald. "Selbst Sauerstoff, den wir als Partikel gar nicht wahrnehmen können, wirkt dort oben auf Oberflächen wie ein Sandstrahlgebläse".
Der Astronaut verdeutlicht dies an einem Stück der Einstiegsluke, das während des Andockmanövers dem freien Weltall - und damit dem Beschuss von Teilchen - ausgesetzt war: "Dieses Metallteil hatte, nachdem es wieder in der Raumkapsel war, einen extrem metallischen Geruch, der wirklich durchdringend ist - nur durch diesen Beschuss von kleinsten Teilchen, die dort die Oberflächen erodieren."
Schusssichere Westen für Raumschiffe
Deshalb werden bemannte Raumstationen durch spezielle Meteoriten-Schilde abgeschirmt. Sie sollen zum Beispiel die internationale Raumstation ISS vor Fragmenten bis zu einer Größe von über einem Zentimeter schützen. Diese Schutzschilde bestehen aber nicht etwa aus Metall, sondern aus Textilien. "Man muss Materialien auswählen, die nicht steif sind, sondern flexibel", sagt der Physiker Roberto Destefanis. Er entwickelt solche Schutzschilde bei der Firma Thales Alenia Space im italienischen Turin.
Sehr viel hänge davon ab, wie verschiedene Materialien in Lagen geschichtet werden, so der Material-Spezialist: "Ein Geheimnis ist der Abstand zwischen den Lagen. Wir nutzen häufig Keramik-Fasern oder aber auch Aramid-Fasern aus organischen Materialien, die beispielsweise bei militärischen kugelsicheren Westen zum Einsatz kommen." In Tests können diese Schutzschilde dann immerhin Partikel mit einer Größe von 15 Millimetern einfangen. Immer noch viel zu wenig für die vielen größeren Fragmente. Denen müssen Satelliten und Raumstationen eben ausweichen. Dafür haben sie meist eine Vorwarnzeit von etwa einer Woche.
Müllabfuhr mit Harpune
Damit die Anzahl dieser größeren Brocken nicht noch weiter zunimmt, gibt es nur einen Weg: "Es geht darum, den Schrott herunterzuholen, aber auch, nicht noch mehr Schrott nach oben zu bringen", sagt die Leiterin der ESA Clean Space Initiative, Louisa Innocenti. Die Weltraumagentur hat sich dem Umweltschutz im Weltall verschrieben, um die Wahrscheinlichkeit von Kollisionen zu verringern. Denn die größte Sorge ist, dass außer Kontrolle geratene große Teile, die auch schon mal über neun Tonnen wiegen können, irgendwann zusammenstoßen und wieder hunderttausende kleiner Fragmente erzeugen.
Deshalb sei es wichtig, dass alle zukünftigen Satelliten und Raketenstufen sich selbst zum Absturz bringen können, nachdem sie ausgedient haben, sagt die Physikerin. Aber was tun mit dem alten Schrott? Die größten Teile müsse man einfangen, abbremsen und abstürzen lassen. Dass das geht, will die ESA mit einem Projekt zeigen, auch wenn es nicht einfach ist. "Weltraumschrott wurde ja nicht so gestaltet, dass man hinfliegen kann, und ihn einfach mitnehmen. Er bewegt sich unkontrolliert - das einfangen ist schwierig", meint Innocenti. "Wir müssen uns dem Schrott nähern, ohne ihn zu berühren. Und wenn wir ihn herunterbringen, müssen wir sicherstellen, dass er dort herunterkommt, wo wir wollen - üblicherweise im Ozean."
Vorschläge dazu gibt es einige: Von Greifarmen über Harpunen bis hin zu riesig dimensionierten Fangnetzen gehen die Entwürfe. Was am Ende den Zuschlag bekommen wird, ist - ebenso wie die Finanzierung - noch unklar. Zunächst geht es um einen Prototyp. Wenn alles gut geht und sich die raumfahrenden Staaten tatsächlich darauf einigen, keinen neuen Müll zu produzieren, könnte das Problem Weltraummüll langfristig sogar unter Kontrolle zu bringen sein. Auch dann gäbe es für eine Weltraummüllabfuhr noch genug zu tun: Fünf bis zehn große Fragmente pro Jahr würde die ESA gerne in Zukunft abholen, aber das über viele Jahrzehnte.