Angst vor Ausweitung des Syrien-Konflikts
7. Mai 2013Benjamin Netanjahu gibt sich gelassen. Am Tag nach den jüngsten israelischen Luftangriffen auf Syrien flog Israels Ministerpräsident demonstrativ nach China. Die Reise war schon lange geplant. Und offenbar sah Netanjahu keinen Grund für eine Absage. Die Botschaft ist klar: Business as usual - Israel glaubt nicht an einen syrischen Gegenschlag oder eine weitere Eskalation der Lage.
Dabei wirkten die Bilder vom Wochenende alles andere als harmlos. Massive Explosionen, ein riesiges Flammenmeer, Gebäude, die dem Erdboden gleich gemacht wurden. Innerhalb von 48 Stunden hatte die israelische Luftwaffe gleich mehrmals Ziele in Syrien angegriffen.
Offiziell bestätigte die israelische Regierung die Angriffe nicht. Ein hochrangiger israelischer Verantwortlicher erklärte der Nachrichtenagentur AFP, bei den Angriffen seien Waffenarsenale bombardiert worden, die für die israel-feindliche libanesische Hisbollah-Miliz bestimmt waren. Die Rede ist von Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Damit hätte die Hisbollah auch Tel Aviv erreichen können. Nach Informationen eines Informanten der New York Times soll unter den Zielen auch die wichtigste syrische Fabrik für Chemiewaffen gewesen sein.
Die oppositionsnahe syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte spricht von mehr als 40 getöteten syrischen Soldaten. Dutzende würden noch vermisst. Die Getöteten sollen der Republikanischen Garde angehören, die für die Sicherheit von Präsident Baschar al-Assad zuständig ist.
Drohungen aus Syrien
Die syrische Regierung warnte Israel, durch die Bombardements die Tür "zu allen Möglichkeiten weit geöffnet" zu haben. Das syrische Kabinett erklärte, Syrien habe das Recht und die Pflicht, sein Land und sein Volk "mit allen Mitteln" vor Angriffen zu schützen.
International lösten die Bombardements erhebliche Besorgnis aus. Generalsekretär Ban Ki Moon rief alle Seiten "zu höchstmöglicher Ruhe und Zurückhaltung" auf, um eine Eskalation zu vermeiden. China mahnte alle Konfliktparteien, den Frieden und die Stabilität in der Region zu wahren und jegliche Handlung zu vermeiden, die die Lage weiter eskalieren lassen könnte. Ein Sprecher des russischen Außenministerium erklärte: "Das weitere Schüren von militärischen Konflikten erhöht das Risiko der Entstehung neuer Spannungsherde dramatisch, nicht nur in Syrien, sondern auch im Libanon." Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton warnte vor einer Ausweitung des Konflikts.
Sicherheitsmaßnahmen in Israel
Das israelische Militär (siehe auch Bild oben) verlegte Luftabwehrraketen in den Norden des Landes. 2006 hatte die mit Syriens Machthaber Assad verbündete libanesische Hisbollah-Miliz die Region mit Raketen eingedeckt. Die Großstadt Haifa ist nur wenige Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt. Im Hafen gibt es Ölraffinerien und Chemiefabriken. Ein Treffer könnte massive Schäden zur Folge haben.
Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, rechnet allerdings nicht mit einer weiteren Eskalation der Lage: "Daran hat niemand Interesse. Das syrische Regime hat genug zu tun mit den Rebellen. Assad kann sich einen weiteren Krieg nicht leisten." Auch die Hisbollah wolle keine Eskalation, weil sie israelische Vergeltungsmaßnahmen fürchte. "Und Israel will es auch nicht."
Volker Perthes, Nahostexperte der Stiftung Wissenschaft Politik sieht das ähnlich: "Die Israelis haben gute Gründe anzunehmen, dass es keine direkte Reaktion aus Syrien geben wird." Auch die Hisbollah könne es sich im Moment nicht leisten, einen neuen Krieg mit Israel zu provozieren. "Sie muss ihre Legitimität im eigenen Land aufrecht erhalten. Das würde sie mit einem Krieg nicht schaffen." Eine begrenzte Reaktion der Hisbollah sei allerdings nicht auszuschließen.
Rückendeckung für den Militärschlag
Avi Primor unterstützt den Angriff der israelischen Armee: "Das war unentbehrlich." Es müsse unbedingt verhindert werden, dass Raketen oder sogar chemische Waffen in die Hände von terroristischen Gruppen fallen. Natürlich könne Assad den Militärschlag für seine Propaganda nutzten. Für Israel spiele das aber keine Rolle.
Tatsächlich warf das Assad-Regime in einer ersten Reaktion der syrischen Opposition vor, mit dem Erzfeind Israel zusammenzuarbeiten. Deswegen müsse das syrische Volk die Reihen schließen und gemeinsam gegen die Opposition und Israel vorgehen. Doch Volker Perthes glaubt nicht, dass diese Propagandastrategie funktioniert. Im Gegenteil: Schließlich könne auch die Opposition den Angriff nutzen. Zeige er doch, dass Assad das Land nicht schützen könne.
Keine Einmischung in den Bürgerkrieg?
Am Montag bemühte sich die israelische Regierung, den Angriff herunterzuspielen. Tzachi Hanegbi, ein Vertrauter von Ministerpräsident Netanjahu, erklärte im israelischen Radio, dass sich die Luftschläge "nur gegen die Hisbollah, nicht gegen das syrische Regime richteten".
Tatsächlich hat Israel eine ambivalente Position gegenüber dem Bürgerkrieg im Nachbarland. "Israel", sagt Volker Perthes, "hat eigentlich mit den Assads relativ gute Erfahrungen gemacht". Seit 1974 herrscht Waffenstillstand zwischen den beiden Staaten. Die gemeinsame Grenze war lange ruhig. "Assad war ein verlässlicher, ein kalkulierbarer Feind." Allerdings unterstützt Assad seit langem die libanesische Hisbollah. Außerdem ist Syrien der wichtigste Verbündete des Iran in der Region. Ein Sturz Assads würde den iranischen Einfluss in Israels Nachbarschaft eindämmen. "Andererseits", sagt Avi Primor, "wissen wir nicht, ob wir nicht dann eine Al-Kaida-Regierung in Syrien bekommen."
Beide Varianten, ein Syrien mit oder ohne Assad, hätten für Israel Vor- und Nachteile. Insofern liegt es dem Land im Moment wohl tatsächlich fern, sich in den Bürgerkrieg einzumischen. Schließlich, so Avi Primor, wisse man gar nicht, welcher Ausgang für Israel besser sei. Eines aber haben die Bombardements wieder einmal deutlich gemacht: Die eigenen Interessen wird Israel immer schützen. Zur Not auch mit Militärschlägen.