Deutschland nimmt krebskranke Kinder aus der Ukraine auf
7. August 2024Der zweijährige Dmytro aus der Stadt Ulman war Patient im Kinderkrankenhaus Ochmatdyt in Kiew, als die russischen Raketen am 8. Juli einschlugen. Seine Behandlung gegen eine Krebserkrankung konnte dort nicht mehr fortgesetzt werden.
Nun setzt seine Familie große Hoffnungen auf eine Krebsbehandlung in München. Die DW hat den Jungen, der sich zusammen mit seiner Mutter in der Kinderklinik in München-Schwabing befindet, besucht.
Tote und Verletzte durch Raketenangriff
Im Juni diesen Jahres wurde bei dem kleinen Dmytro akute Leukämie diagnostiziert, und er begann sofort mit einer Behandlung im Kiewer Kinderkrankenhaus. "Es gab die Möglichkeit für eine Behandlung im Ausland, aber wir haben uns bewusst für Ochmatdyt entschieden, weil wir meinen, dass diese Klinik eine Behandlung auf europäischem Niveau bietet", sagt die Mutter des Jungen, Oksana Halak, im Gespräch mit der DW.
Als die russische Rakete das Kinderkrankenhaus in Kiew traf, befand sie sich mit ihrem Sohn gerade in der Küche des Gebäudes im zweiten Stock. Die Frau sagt, sie habe sich dorthin begeben, nachdem sie eine Explosion ganz in der Nähe der Klinik gehört hatte.
An jenem Tag wurden zwei Erwachsene, darunter ein Arzt, durch den Einschlag einer russischen Rakete in die Klinik getötet. Über 30 Menschen, darunter acht Kinder, wurden verletzt.
Der Gebäudeteil mit der toxikologischen Abteilung wurde völlig zerstört. Dort befand sich die Abteilung für Hämodialyse, wo Patienten vor und nach Transplantationen behandelt wurden. Vier weitere Teile des Krankenhauses wurden erheblich beschädigt, darunter die Kardiologie.
Evakuierung ins Ausland
Neun Tage nach dem Angriff verließ Oksana Halak mit ihrem Sohn Dmytro im Rahmen einer internationalen Evakuierungsmission die Ukraine. Ihr Mann und zwei ältere Söhne blieben daheim.
Insgesamt wurden zehn schwerkranke Kinder in deutsche Kliniken gebracht. Die kleinen Patienten wurden mit speziell ausgestatteten Bussen transportiert - zuerst nach Polen, von wo sie mit einem norwegischen Evakuierungsflugzeug nach Deutschland geflogen und dann auf verschiedene Städte im Süden und Westen der Bundesrepublik verteilt wurden.
Die Kinder und ihre Eltern wurden unterwegs von Medizinern begleitet. Während der Reise mussten äußerst strenge Regeln eingehalten werden, da es sich um Patienten mit geschwächtem Immunsystem handelt.
Behandlung in Deutschland
Dmytro ist nun seit knapp zwei Wochen Patient der onkologischen Abteilung der Kinderklinik in München-Schwabing. Mutter und Sohn leben zusammen mit einer anderen Familie aus der Ukraine in einer Wohnung nahe dem Krankenhaus. Es ist eine vorübergehende Unterkunft, bis man für sie eine Wohnung für einen dauerhaften Aufenthalt findet.
Oksana Halak lobt die Hilfsbereitschaft der Ärzte. "Wir wurden sehr gut aufgenommen, die Mitarbeiter sind sehr freundlich und um unsere Situation sehr besorgt. Ihnen ist klar, dass wir schwierige Momente durchgemacht haben", sagt die Frau.
Sie glaubt, dass die Behandlung in Deutschland ihrem Sohn helfen wird, zu genesen. "Die Ärzte machen alle notwendigen Untersuchungen, und sie überprüfen wirklich alles, parallel zur Behandlung", berichtet Dmytros Mutter: Doch sie fügt hinzu, dass die Krankheit sich nicht so leicht besiegen lasse.
Die Chancen des kleinen Patienten stehen aber gut, sagen Ärzte vor Ort. "Generell hat er eine positive Prognose, was seine Erkrankung angeht, wenn man die Therapie jetzt gut durchführt", sagt Irene Teichert von Lüttichau, Oberärztin und Leiterin des Schwerpunktes Onkologie am Klinikum München Schwabing. Sie betont, dass die schnelle Evakuierung des Jungen definitiv die "richtige Entscheidung" gewesen sei.
Dmytro ist nicht der erste Kriegs-Patient aus der Ukraine, der seit Februar 2022 in diese Klinik eingeliefert wurde. Laut Teichert von Lüttichau ist die onkologische Abteilung der Kinderklinik bereit, bei Bedarf weitere Kinder aufzunehmen, die von dem russischen Angriff auf das Kiewer Kinderkrankenhaus betroffen sind.
"Mama, Luftalarm!"
Trotz der guten Bedingungen müssen sich Mutter und Sohn noch an den neuen Ort gewöhnen. "Ich kann mich immer noch nicht entspannen, was Luftalarme angeht. Ich bin es gewohnt, alles so zu organisieren, dass alle wichtigen Dinge schnell griffbereit sind, wie Dokumente und etwas Wasser", erzählt Halak.
Das Leben in der Ukraine, wo es immer wieder Luftalarm gibt, hat bei Dmytro seine Spuren hinterlassen. "Wenn wir für eine Weile nach draußen gehen können und dann irgendwo ein Geräusch ähnlich einem Luftalarm zu hören ist, dann sagt er sofort: 'Mama, Luftalarm!'", so Halak.
Sie fügt hinzu, dass ihr Sohn auch Angst vor Zivilflugzeugen über München habe. Zudem vermisse der Junge sein Zuhause. ''Heute, als er aufwachte, hat er zum ersten Mal gesagt: 'Mama, ich will dorthin, wo die Rakete alles kaputt gemacht hat''', so die Mutter von Dmytro.
Behandlung in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Deutschland hat zugesagt, über zehn Millionen Euro für den Wiederaufbau des Kiewer Krankenhauses bereitzustellen und sich bereit erklärt, mehrere der vom Raketenangriff betroffenen Kinder im Rahmen des Katastrophenschutzverfahrens der Europäischen Union (EU) aufzunehmen.
Laut Arman Katscharjan, Koordinator des Medevac-Programms des ukrainischen Gesundheitsministeriums, haben 21 Familien eine medizinische Evakuierung ins Ausland beantragt.
"Glücklicherweise mussten wir nicht alle Kinder aus der Ochmatdyt-Klinik wegbringen, wir können ihnen auch in der Ukraine die notwendige medizinische Versorgung bieten", betont er.
Anfang August wurden 17 Kinder, die in der Ochmatdyt-Klinik behandelt wurden, aus der Ukraine evakuiert - zehn nach Deutschland, fünf nach Österreich und zwei in die Schweiz. Die meisten von ihnen sind an Krebs erkrankt, mehrere haben Geburtsfehler und seltene Krankheiten.
Insgesamt hat Deutschland im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens bereits fast 1150 Patienten aus der Ukraine aufgenommen, davon 790 Militärangehörige und etwa 320 Zivilisten.
Seinen dritten Geburtstag wird der Junge in der Klinik feiern. Schließlich wird er sechs Monate bis mehrere Jahre in Deutschland behandelt werden müssen.
Die genaue Dauer hängt vom Verlauf der Therapie, Dmytros Gesundheitszustand und den Plänen der Familie ab. ''Ich träume von dem Tag, an dem man mir sagt, dass er vollkommen gesund ist und unsere Familie uns in der Ukraine begrüßt'', hofft die Mutter.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk