Sri Lankas Staatsführung will abtreten
10. Juli 2022In Sri Lanka haben angesichts einer schweren Wirtschaftskrise wütende Demonstrierende offenbar einen Machtwechsel erzwungen. Präsident Gotabaya Rajapaksa werde am kommenden Mittwoch zurücktreten, "um einen friedlichen Übergang zu gewährleisten", erklärte Parlamentssprecher Mahinda Abeywardana. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Präsident an einem geheimen Ort, weil seine Residenz von Hunderten Sri Lankern gestürmt worden war. Hunderte Demonstranten hielten am Sonntag weiterhin die Präsidentengebäude besetzt.
Das Privathaus von Premierminister Ranil Wickremesinghe wurde in Brand gesteckt - trotz seiner vorherigen Ankündigung, sein Amt niederzulegen. Er werde zurücktreten, wenn alle Parteien sich auf eine neue Regierung verständigt hätten, ließ Wickremesinghe über seinen Sprecher verlauten. Im Parlament wurde die Bildung einer Einheitsregierung ausgehandelt. Nach Angaben des Oppositionspolitikers Rauff Hakeem einigten sich die Parteien darauf, dass Parlamentssprecher Abeywardana als Übergangspräsident eingesetzt werden und eine Übergangsregierung bilden sollte.
Nach den angekündigten Rücktritten des Präsidenten und des Premiers haben weitere Minister ihre Ämter aufgegeben. Mindestens vier Ressortchefs hätten ihren Rücktritt eingereicht, weitere würden folgen, sagte ein Regierungssprecher.
Ernster Appell aus Washington
Die USA riefen die politische Führung in Sri Lanka auf, schnellstmöglich eine Rückkehr zur wirtschaftlichen Stabilität herbeizuführen. "Wir fordern diese Regierung oder jede neue, verfassungsmäßig gewählte Regierung auf, schnell Lösungen zu finden und umzusetzen, um eine langfristige wirtschaftliche Stabilität zu erreichen", sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums. Die Führung in Colombo müsse auf die "Unzufriedenheit" der Bürger angesichts der Wirtschaftskrise und der Strom-, Lebensmittel- und Treibstoffknappheit reagieren. Das Parlament Sri Lankas rief der Ministeriumssprecher in Washington auf, sich "dem Wohl der Nation zu widmen - und nicht einer bestimmten politischen Partei".
Sturm auf die Residenz des Präsidenten
Am Samstag hatten wütende Demonstrierende die Residenz von Präsident Gotabaya Rajapaksa in der Hauptstadt Colombo gestürmt. Hunderte zogen durch die Flure und Räume. Auf den Grünanlagen des Gebäudes aus der Kolonialzeit versammelten sich ebenfalls Hunderte, einige badeten im Pool des Anwesens. Kurz zuvor hatte die Armee den Präsidenten zu dessen Schutz aus dem Gebäude evakuiert.
Die Regierung hatte angesichts der seit Wochen anhaltenden Proteste erst am Freitag eine unbefristete Ausgangssperre verhängt. Auf Druck von Bürgerrechtsgruppen, Anwälten und buddhistischen Mönchen, die die Protestierenden unterstützen, nahm sie die Maßnahme aber zurück. Dies löste die jüngste Eskalation aus.
Hintergrund ist die massive Wirtschaftskrise, in der das Land steckt. Die Regierung ist nicht mehr in der Lage, die wichtigsten Importe wie Lebensmittel, Treibstoff und Medikamente zu finanzieren. Die Regierung in Colombo hat unter anderem den Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie mehrere Länder wie Russland um Hilfe gebeten.
Massenproteste bereits im Mai
Im Mai waren Massenproteste gegen die Regierung erstmals eskaliert. Es gab Tote und hunderte Verletzte. Die Regierung von Mahnda Rajapaksa war daraufhin zurückgetreten. Der Bruder des zurückgetretenen Regierungschefs, Präsident Gotabaya Rajapaksa, blieb hingegen im Amt.
Ein wesentlicher Auslöser der schwersten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit des südasiatischen Landes im Jahr 1948 war der Einbruch des internationalen Tourismus infolge der Corona-Pandemie. Der Regierung wurde außerdem Misswirtschaft vorgeworfen.
ehl/qu/sti (afp, ap, dpa, rtr)