Nachhaltigkeit in Indien
9. Februar 2014Pappkartons und Kabel stapeln sich in den engen Räumen des Büros von Rustam Sengupta im Süden Neu Delhis. Sie enthalten Solarmodule aller Art. "Made in India", erzählt Rustam stolz, während er die Kisten für eine weite Reise aufs Land sortiert. Die Solarlampen und Kollektoren sollen den Unterschied machen. Angeboten werden sie von seiner Firma Boond. "Boond heißt auf Hindi Tropfen", erklärt der 33-jährige: "und jeder Tropfen macht einen Unterschied".
Boond bildet sogenannte Mikrounternehmer in ländlichen Gebieten Indiens aus. Menschen wie den 28-jährigen Balchand. In einem Bezirk im Süden des Bundesstaates Rajasthan ist er einer von elf Landwirten, die das Training bei Boond erfolgreich absolviert haben. Strombedarf berechnen, Bankformulare ausfüllen und technisches Know-How hat er dabei gelernt. Mittlerweile verkauft Balchand jeden Monat bis zu 20 solarbetriebene Produkte in seiner Umgebung. Er sorgt dafür, dass sie technisch gewartet werden und hilft seinen Kunden, bei der Bank vor Ort einen Kredit zu bekommen. Boond wiederum hat zuvor mit den Banken gesprochen und für Vertrauen in die Kreditnehmer geworben. Je nachdem wie viel Balchand verkauft, verdient er durch Boond umgerechnet zwischen 50 und 80 Euro im Monat.
Kundschaft gibt es genug, immerhin haben in Indien nach wie vor mehr als 400 Millionen Menschen keinen Zugang zu Elektrizität. Kein Licht zum Lesen oder für die Hausarbeit, sobald es dunkel wird. Viele Versuche, das etwa mit Solaranlagen zu ändern, scheiterten bisher, so Boond-Gründer Sengupta. "Es fehlte an Geld, um die Produkte zu kaufen und an technischem Know-How, um die Anlagen instand zu halten." Den Menschen wurden Solaranlagen ins Dorf gestellt, doch keiner habe sich dafür verantwortlich gefühlt, erzählt er. Genau das wolle er mit seinem Geschäftsmodell ändern.
Mission Solarenergie
Boond versucht im Kleinen, etwas für Nachhaltigkeit in Indien zu tun. Nachhaltigkeit spielt in dem Land mit seinen 1,2 Milliarden Einwohnern aber bisher so gut wie keine Rolle. Zwar hat die Politik im Jahr 2006 ein Ministerium für Erneuerbare Energien gegründet. Die Behörde aber ist weitgehend unbekannt. Immerhin will Indien ähnlich wie der Unternehmer Rustam Sengupta mehr Geld in Solarenergie investieren und im Rahmen der "Nationalen Solar Mission" die Kapazität bis 2022 auf 20 Gigawatt ausbauen. Einzelne Projekte, wie das kürzlich im Bundesstaat Maharastra eröffnete, weltweit größte Solarkraftwerk, stimmen optimistisch. Deutschland unterstützt Indien dabei, mehr auf erneuerbare Energie zu setzen.
Täglich 1000 neue Autos
Doch bisher hatte das schnelle Wachstum Vorrang. Den Preis dafür zahlt Indien schon heute. In mehreren Städten gibt es zwar eine moderne Metro, Autorikschas und Busse werden mancherorts mit Gas betrieben. Dennoch: Glaubt man den Zahlen der Regierung, kommen jeden Tag allein auf Delhis Straßen etwa 1000 neue Autos hinzu. Ein Auto ist Statussymbol des Wachstums und zugleich Ursache Nummer eins für stinkende Metropolen, so fasst es das Center for Science and Economic (CSE) zusammen. Berichte darüber, dass die Luft in der indischen Hauptstadt höher belastet ist, als die der chinesischen Hauptstadt Peking, sorgten erst kürzlich für Diskussionen. Eine richtige politische Debatte jedoch wurde durch die Schlagzeilen nicht ausgelöst.
Die Menschen fragen nicht danach und die Regierung bietet es nicht an
Kaum eine der politischen Parteien führt Umweltschutz oder erneuerbare Energien bislang auf ihrer Agenda. Nicht mal die neue Aam Admi Partei, die kürzlich in Delhi die Wahlen gewonnen hat und die gegen Korruption und für eine bürgernahe Politik kämpfen will, räumt dem Thema Umweltschutz einen vorderen Platz ein. "Die Menschen fragen nicht danach und die Regierung bietet es nicht an", fasst der Umweltschützer Vimlendu Jha diesen Zustand zusammen. Er kämpft seit Jahren für eine bessere Wasserqualität des Yamuna Flusses in Delhi. Der Yamuna ist eine Kloake. 18 Kanäle leiten ungeklärte Abwässer ein. Am Ufer stehen Krematorien, einige Bereiche gleichen einer Müllhalde. Und immer wieder steigen Methanblasen hoch. Der Gestank des Flusses ist manchmal in hunderten Metern Entfernung kaum erträglich.
"In Schwellenländern wie Indien schaffen immer mehr Menschen den Sprung in die Mittelklasse. Jeder einzelne hinterlässt dabei einen größeren ökologischen Fußabdruck, der die Kosten für die Umwelt erhöht." Die 22 Kilometer, die der Yamuna-Fluss durch die Hauptstadt fließt, seien für 80 Prozent der Verschmutzung des gesamten Flusses verantwortlich, sagt Vimlendu Jha. Auf der Prioritätenliste der neuen Mittelklasse, die größtenteils in den Großstädten lebt, stünde die Ökologie an allerletzter Stelle. In den Workshops, die Vimlendu Jha mit seiner Nichtregierungsorganisation an Schulen gibt, müsse er oft erklären, dass das Leitungswasser nicht aus dem Tank auf dem Dach kommt, sondern seinen Ursprung in einem Fluss hat, der schwer vergiftet ist.
Nachhaltigkeit gewinnt an Bedeutung
Rustam Sengupta steht mittlerweile vor den zugeklebten Pappkartons ins seinem Büro. In ein paar Tagen fährt er wieder in die Dörfer und versucht, junge Leute zu finden, die er mit Boond ausbilden kann. Das sei zwar nach wie vor nur ein kleiner Tropfen sagt er, aber genau der mache auf lange Sicht gesehen den Unterschied. Noch vor zehn Jahren hätte sich keiner für Sozialunternehmen, wie Boond eines ist, interessiert. "Heute" sagt er, "werden wir langsam gehört und die Politiker müssen auch unbequeme Fragen beantworten und Rechenschaft ablegen". Das motiviere ihn, weiter zu machen.