Namibia erhält 20 historische Schädel
30. September 2011Es ist ein schauerlicher Anblick, der sich Besuchern und Gästen des großen Hörsaals im Berliner Universitätsklinikum Charité bietet. Auf dem Podium liegen 20 Totenschädel. Zwar sind nur zwei davon sichtbar in Plexiglasvitrinen, die anderen sind in 18 grauen Pappkartons verpackt. Umrahmt ist die Sammlung menschlicher Schädel von ehrenvollem Blumenschmuck. Denn es sind die sterblichen und konservierten Reste von Menschen, die unter schrecklichen Bedingungen ums Leben kamen. Auch dass Schädel für einen medizinischen Hörsaal eigentlich nichts Ungewöhnliches sind, ändert am beklemmenden Eindruck wenig.
Erste Rückgabe dieser Art
Für den Wissenschaftsbetrieb in Deutschland haben diese Schädel eine hohe symbolische Bedeutung: "Zum ersten Mal kommt es dazu, dass ein größerer Bestand an Schädeln aus einer universitären Einrichtung zurückgegeben wird", sagt der Leiter des Medizinhistorischen Museums der Charité, Thomas Schnalke. Diesen Schritt habe die Charité bewusst gemacht.
"Denn diese Schädel sind in einem zumindest hochfragwürdigen moralischen-ethischen Kontext seinerzeit zwischen 1904 und 1908 in Namibia gesammelt, präpariert und zur weiteren Forschung nach Berlin geschickt worden."
Die Schädel stammen von getöteten Herero und Nama, zwei Völkern in der einstigen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Die deutsche Kolonialregierung reagierte damals auf einen Aufstand der Ureinwohner mit einem umfassenden Tötungsbefehl - auch auf Druck und mit Billigung aus Berlin.
Entschuldigung von wissenschaftlicher Seite
Berlin war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein wichtiges Zentrum der anthropologischen Forschung. Hierhin wurden die Schädel geschickt, um mimische Muskulatur und Rassenunterschiede zu untersuchen, wie Recherchen der Charité ergaben. Mit diesem schrecklichen Kapitel der eigenen Vergangenheit setzt sich die Charité nun öffentlich auseinander. "Hier hat sich die Forschung an den politischen Umständen bedient und Schuld auf sich geladen", sagt Thomas Schnalke. "Die Charité möchte sich entschuldigen, beziehungsweise um Entschuldigung bitten bei den Völkern in Namibia und möchte zugleich die Schädel, die von unserer Seite identifiziert werden konnten, zurückgeben."
Zu dieser Übergabe reiste eine relativ große Delegation von 73 namibischen Vertretern nach Berlin, darunter ranghohe Repräsentanten der Opferverbände der Herero und der Nama. Denn mit dem Ereignis verbunden ist auch politischer Zündstoff.
Forderung nach Anerkennung als Völkermord
Die damalige deutsche Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sprach im Jahr 2004 in Namibia aus, was dort lange Zeit vermisst wurde: Sie entschuldigte sich für die Verbrechen der deutschen Kolonialherren bei der Niederschlagung des Herero-Aufstands.
Aktuell heißt es aus dem Auswärtige Amt, dass sich die Bundesregierung auch durch verstärkte bilaterale Kooperation wiederholt zur moralischen und historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia bekannt habe. Diese Aussage geht manchem nicht weit genug.
Neben der feierlichen Übergabe fanden in Berlin eine Podiumsdiskussion, Pressekonferenzen und ein Gottesdienst statt. Vertreter von verschiedenen NGOs und die Linkspartei nutzten diese Gelegenheiten und forderten, Deutschland solle die Ermordung von zehntausenden Herero und Nama als Völkermord anerkennen.
"Wir möchten mit am Tisch sitzen"
Utjiua Muinjangue, Vorsitzende des Herero-Opferverbandes, forderte zudem ein anderes Verhalten der Regierungen Namibias und Deutschlands: "Wir möchten mit am Tisch sitzen. Es darf keine Diskussionen über uns ohne uns geben. Die deutsche Regierung hat niemals mit den betroffenen Gruppen zusammengesessen, um zu hören, was wir fühlen, um eine Plattform zu geben, uns auszudrücken."
Zudem würde das Geld aus Deutschland nicht den richtigen Zweck erfüllen, sagte Utjiua Muinjangue, unterstützt von der anwesenden Vertreterin der Nama: "Was immer die deutsche Regierung der namibischen Regierung an Geld gibt, betrachten wir als zwischenstaatliche Leistung. Das ist nicht die Reparation, die wir uns vorstellen."
Mit Bewegung in diesem Konflikt ist derzeit nicht zu rechnen. Das Thema bleibt aber auch deshalb aktuell, weil es nach Schätzungen der Charité insgesamt 7000 Schädel in deutschen Sammlungen gibt. Der Umgang mit den Human Remains aus Namibia solle deshalb beispielgebend sein, sagt Thomas Schnalke von der Charité: "Wir wollen versuchen, eine Empfehlung zu entwickeln, wie man mit solchen Rückgabefragen umgehen sollte oder könnte." Denn es sei damit zu rechnen, dass es weitere Rückgabeforderungen dieser Art gibt.
Aus dem Auswärtigen Amt war bestätigend zu hören, dass die Charité in diesen Fragen koordinierend tätig werden soll. Und bei der jetzigen Schädelübergabe hätten alle Seiten, also Deutschland, Namibia und die Charité eng zusammengearbeitet.
Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Hartmut Lüning