Nationalmannschaft: Deutschland künftig ohne Thomas Müller
15. Juli 2024Jetzt also doch: Thomas Müller beendet seine Karriere in der Fußball-Nationalmannschaft. Das teilte der Weltmeister von 2014 am Tag nach dem Finalsieg der Spanier bei der Fußball-Europameisterschaft in einem Video in den sozialen Netzwerken mit. "Nach 131 Länderspielen und 45 Toren sage ich dem Bundesadler heute Servus", sagte Müller.
Bereits nach dem Viertelfinal-Aus bei der Heim-EM gegen Spanien hatte Müller ein Gespräch mit Fußball-Bundestrainer Julian Nagelsmann angekündigt. Zunächst hatte die Zeitung "Bild" über Müllers Entscheidung berichtet, allerdings ohne offizielle Bestätigung durch Spieler oder Verband.
"Als ich vor über 14 Jahren mein erstes Länderspiel in der deutschen Nationalmannschaft absolvieren durfte, hätte ich mir all das nicht erträumen lassen, großartige Siege und bittere Niederlagen", sagt Müller in seinem Video: "Manchmal am Boden zerstört, um dann wieder aufzustehen. Im Wettkampf gegen die besten Spieler der Welt, an der Seite von fantastischen Mitspielern, mit denen ich unendlich viele unvergessliche Momente erlebt habe."
Maradonas "Balljunge" holt "Goldenen Schuh"
Tatsächlich war die Karriere Müllers im DFB-Team alles andere als unturbulent. Es fing schon damit an, dass es vor seinem ersten Länderspiel gegen Argentinien zu einem Streit mit dem damaligen argentinischen Coach Diego Maradona kam. Maradona kam zur Pressekonferenz und schimpfte, was denn der "Balljunge" da auf dem Podium zu suchen habe? Er hatte den damals 20-jährigen Müller nicht für einen Spieler gehalten.
Einige Monate später revanchierte sich der "Balljunge" und schoss im Viertelfinale der WM 2010 gegen Argentinien nach nur drei Minuten das 1:0. Nach 90 Minuten hieß es sogar 4:0. Deutschland wurde am Ende WM-Dritter, und Müller gewann mit fünf Toren und drei Vorlagen den "Goldenen Schuh" als bester Torjäger des Turniers.
Zwischen Raumdeuter und "Radio Müller"
Thomas Müller war immer ein Spieler, dessen Spielstil schwer einzuordnen war. Ohne besondere physische Voraussetzungen oder eine herausragende Technik hatte er dennoch die Fähigkeit, stets dort aufzutauchen oder den Ball dorthin zu spielen, wo es für den Gegner gefährlich wurde.
"Raumdeuter" war bald ein Label für Müller, der seine fehlende Fußballfertigkeit mit schnellen Beinen und noch schnellerer Auffassungsgabe wettmachte. Zudem kommunizierte und redete er in einem fort, was ihm schnell den Spitznamen "Radio Müller" einbrachte. Sendepause gab es bei ihm nicht.
"Keiner ist wie Thomas Müller", sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler zu Müllers Abschied. "Seinen Wert für den deutschen Fußball kann man gar nicht hoch genug einschätzen." Er habe an Thomas Müller immer seine fußballerische Qualität bewundert, meinte DFB-Präsident Bernd Neuendorf. "Aber auch seinen bodenständigen Charakter, seinen Humor und seine Klugheit. Der Spieler Thomas Müller wird unserer Mannschaft fehlen, der Mensch Thomas Müller mindestens genauso sehr."
Auch von Bundestrainer Julian Nagelsmann gab es Lob: "Ich bin dankbar dafür, dass ich Thomas einen Teil seiner Karriere begleiten durfte, bei der Nationalmannschaft und beim FC Bayern", sagte Nagelsmann. "Es war mir eine Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten. Thomas ist ein leidenschaftlicher Profi, der für den Fußball noch immer genauso brennt wie am ersten Tag."
Vier Weltmeisterschaften, vier EM-Turniere
Insgesamt war Müller bei vier EM-Turnieren (2012, 2016, 2021, 2024) und vier Weltmeisterschaften (2010, 2014, 2018, 2022) dabei. Sein größter Erfolg war der Sieg im WM-Finale 2014 in Rio de Janeiro - erneut gegen Argentinien. Müller ist mit 131 Länderspielen der Spieler mit den drittmeisten Auftritten im Nationalteam. Nur Rekordhalter Lothar Matthäus (150) und Miroslav Klose (137) kamen häufiger zum Einsatz.
Müllers 45 Tore bedeuten den siebten Rang in der ewigen deutschen Torjägerliste hinter Klose (71), Gerd Müller (68), DDR-Stürmer Joachim Streich (55), Lukas Podolski (49) sowie Rudi Völler und Jürgen Klinsmann (jeweils 47). Kurios: Müller schoss zwar zehn WM-Tore, traf aber nie bei einer Europameisterschaft.
Öfter weg und doch immer wieder dabei
"Es hat mich immer sehr stolz gemacht, für mein Land aufzulaufen. Wir haben gemeinsam gefeiert und manchmal auch gemeinsam eine Träne verdrückt", heißt es in Müllers Videobotschaft weiter. Bittere Momente gab es tatsächlich: das frühe Aus bei der WM 2018 in Russland und der WM 2022 in Katar, aber auch die Tatsache, dass ihn der damalige Bundestrainer Joachim Löw im März 2019 gemeinsam mit Mats Hummels und Jerome Boateng aus der Nationalmannschaft aussortierte.
"Wenn kurz nachdem wir von der Entscheidung des Bundestrainers erfahren haben, vorgefertigte Statements seitens des DFB und des DFB-Präsidenten an die Presse rausgegeben werden, ist das aus meiner Sicht kein guter Stil und hat mit Wertschätzung nichts zu tun", beklagte sich Müller damals. Zwei Jahre später nahm Löw seine Entscheidung zurück und holte Müller zur EM 2021 wieder in den Kader zurück.
Nachdem Hansi Flick das Amt als Bundestrainer übernommen hatte, war Müller zunächst auch raus, stand dann aber doch im WM-Kader für Katar. Schon damals, nach dem bitteren Aus in der Vorrunde, hatte man den Eindruck, Müllers Tage im Nationalteam seien gezählt. "Es war ein enormer Genuss, liebe Leute. Vielen Dank. Wir haben unglaubliche Momente miteinander gehabt. Ich hab' in jedem Spiel versucht, mein Herz auf dem Platz zu lassen", sagte er damals in einem Interview direkt nach Schlusspfiff. Er habe alles "mit Liebe getan", versicherte Müller.
Noch ein Jahr beim FC Bayern - oder mehr?
Doch er ging noch nicht, sondern war auch bei der Heim-EM mit von der Partie. Müller stand in zwei von fünf Spielen auf dem Platz: im Eröffnungsspiel gegen Schottland und beim Viertelfinal-Aus gegen den späteren Europameister Spanien. Wichtiger waren er und seine Kommunikationsfähigkeit eher neben dem Platz: Bundestrainer Nagelsmann hatte Müller als "Connector" und "Schmiermittel" für die gute Stimmung zwischen jüngeren und älteren Spielern bezeichnet.
Nun endet Müllers Karriere im DFB-Team, seine Karriere als Fußballer aber noch nicht. Müller ist 34 Jahre alt und möchte seinen Vertrag beim FC Bayern, der noch bis 2025 läuft, erfüllen.