Keine Einigung im NATO-Russland-Rat
12. Januar 2022"Die Diskussionen war nicht einfach", fasste NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Begegnung der 30 NATO-Mitglieder mit den Vertretern der russischen Regierung zusammen. Über die Sicherheitslage in Europa mit besonderem Blick auf die Ukraine wurde vier Stunden gesprochen, aber eine Einigung oder eine Veränderung der Positionen gab es nicht.
"Wir haben eine Serie von neuen Gesprächen vorgeschlagen, auch zur beiderseitigen Raketenstationierung in Europa. Die russische Seite war aber heute nicht in der Lage zu entscheiden", sagte NATO-Generalsekretär Stoltenberg. Russland habe neue Treffen aber auch nicht abgelehnt, fügte Stoltenberg hinzu.
Der russische Unterhändler, Aleksandr Grushko, warf der NATO vor, sie sei auf Angebote zur Deeskalation nicht eingegangen. "Die NATO hält an der Taktik der Eindämmung Russlands aus dem Kalten Krieg fest. Eine weitere Verschlechterung der Situation kann zu unvorhersehbaren und ernsten Konsequenzen für die europäische Sicherheit führen", sagte der stellvertretende russische Außenminister Grushko nach den Gesprächen in der russischen Botschaft in Brüssel.
"Russland hat kein Veto"
Die Allianz forderte zum wiederholten Male Russland auf, seine geschätzt 100.000 Soldaten von der ukrainischen Grenze zurückzuziehen. Die russischen Diplomaten trugen erneut die Forderung des Kremls vor, die NATO dürfe keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen und solle Truppen aus neuen östlichen Mitgliedsstaaten abziehen. Die Allianz wies die russischen Forderungen zurück, sagte Jens Stoltenberg. Die NATO und beitrittswillige Länder würde alleine entscheiden, welchen Weg sie gehen wollten. "Niemand hat da reinzureden. Natürlich hat Russland kein Veto darüber, ob die Ukraine ein NATO-Mitglied werden kann."
Die amerikanische stellvertretende Außenministerin Wendy Sherman bestand erneut darauf, dass die Tür der NATO offen bleibe. Das genaue Gegenteil forderte die russische Seite. "Wir müssen ein Ende der Politik der Offenen Tür erreichen. (...) Wenn die NATO kooperieren will, muss sie Russlands Rolle als Friedensmacht anerkennen", forderte Aleksandr Grushko, der stellvertretende russische Außenminister.
Bereits 2008 hatte die NATO der Ukraine und Georgien einen Beitritt angeboten. Nur wann, ist eine offene Frage. Nach dieser Zusage hatte Russland dann Teile Georgiens besetzt und 2014 die ukrainische Krim annektiert. NATO-Generalsekretär Stoltenberg verlangt von Russland dieses Verhaltensmuster, Konflikte zu entzünden, aufzugeben. "Russland hat Truppen in Georgien, Moldau und auf der Krim in der Ukraine. Diese Truppen sind ohne die Zustimmung der Regierungen dort. Sie wurden nicht eingeladen und sind nicht willkommen. Die NATO fordert Russland auf, diese Truppen abzuziehen und die Souveränität und Integrität von Georgien, Moldau und der Ukraine zu achten", sagte Stoltenberg in Brüssel.
US-Vertreterin droht mit Konsequenzen
Die Leiterin der amerikanischen Delegation, Wendy Sherman, wiederholte vor der Presse die Drohung, die sie im Sitzungssaal im NATO-Hauptquartier auch an ihr russisches Gegenüber, den stellvertretenden Außenminister Aleksandr Grushko gerichtet hatte. "Wir haben es ganz klar gemacht und den Russen hier direkt gesagt, wenn Russland seine Invasion in der Ukraine ausweitet, wird dies signifikante Kosten und Konsequenzen für Russland haben", sagte Sherman. Mit der EU und anderen Partnern seien schwere Wirtschaftssanktionen vorbereitet, die weit über frühere Strafmaßnahmen hinausgingen.
Aleksandr Grushko nannte die Gespräche trotz der gegensätzlichen Standpunkte "nützlich". Es sei das erste offene Gespräch gewesen, dass Licht auf einige wichtige Themen gelenkt habe, meinte Grushko vor Reportern. Ob sie weitergehen sollten, sagte er nicht.
OSZE als Vermittler
Am Donnerstag sollen die Gespräche zur europäischen Sicherheit im Rahmen der OSZE in Wien fortgesetzt werden. In der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit sind sowohl die USA, Russland, die Ukraine und 53 weitere Staaten auf der nördlichen Halbkugel Mitglied. Seit 1995, als die OSZE aus der" Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit" hervorging, dient die Organisation in Wien als Plattform für Gespräche über Abrüstung und militärische Entspannung. Die OSZE unterhält in vielen Konfliktregionen in Osteuropa, im Kaukasus und in Zentralasien Beobachtermissionen.
Die Mission in der Ukraine arbeitet seit 2014, nachdem Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektierte. Täglich veröffentlicht die Beobachtermission ihren Bericht über die Verletzungen des Waffenstillstands zwischen pro-russischen Rebellen und ukrainischen Regierungstruppen in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk. Allein im Bericht vom 10. Januar werden 138 Vorfälle aufgelistet, davon sieben schwere Explosionen. Monat für Monat sind es Abertausende.
Den Vorsitz der OSZE führt zurzeit der polnische Außenminister Zbigniew Rau. Er will die Missionen und ihre Möglichkeiten vor Ort stärken. Die OSZE bleibt aber neutral. Sie arbeitet nach dem Konsensprinzip. "Polen wird sich darauf konzentrieren, die Konfliktlösung mit den Mitteln der OSZE zu unterstützen. Spezielle Aufmerksamkeit werden wir darauf richten, umfassende Hilfe zu den Menschen zu bringen, die von Konflikten betroffen sind", erklärte Rau bei Übernahme der OSZE-Präsidentschaft.
Unterschiedliche Konzepte
Für Kadri Liik von der Denkfabrik "European Council on Foreign Relations" in Brüssel ist es keine Überraschung, dass die zahlreichen Gespräche mit Russland in unterschiedlichen Formaten keine Einigung bringen. Sie hält es aber für wichtig, dass die Europäer im Rahmen der NATO in die Auseinandersetzung über Sicherheit in Europa eingebunden werden. "Öffentlich bekennen sich die USA und die europäischen Verbündeten zu den gleichen Positionen, aber ich nehme an, dass die USA hinter verschlossenen Türen durchaus Optionen abwägt, die nicht an die große Glocke gehängt werden.
Die Auffassungen der Europäer sind gleichzeitig sehr unterschiedlich. Die tatsächliche Einschätzung der Lage weicht von den öffentlichen Bekundungen doch teilweise stark ab. Wenn der NATO-Russland-Rat dazu beigetragen hat, allen das gleiche Lagebild zu vermitteln, war das schon ein Wert an sich", sagte Politik-Expertin Liik gegenüber der DW.