NATO will keinen Konflikt mit Russland
2. Juni 2016Die Würfel scheinen gefallen. Die NATO wird im Osten deutlich aufrüsten, daran lässt ihr Generalsekretär Jens Stoltenberg keinen Zweifel. "Wir werden unsere Präsenz durch eine Reihe verstärkter Bataillone erhöhen, die wir in den östlichen Teilen der Allianz entsenden werden", sagte Stoltenberg nach einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin.
Zahlen nannte der Generalsekretär nicht, aber im Gespräch ist, einige rotierende Bataillone mit mehreren tausend Soldaten ins Baltikum und nach Polen zu verlegen. Auch Bundeswehr-Soldaten sollen dabei sein. Damit würde die NATO erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges mit größeren Verbänden an der Grenze zu Russland stehen und damit auf dem Boden des früheren Warschauer Paktes.
(K)ein neuer kalter Krieg?
Vor allem für Deutschland ist das eine heikle Situation. "Wir haben darüber gesprochen, wie wir unser Engagement im Osten verstehen", beeilte sich die Kanzlerin nach dem Treffen mit Stoltenberg zu sagen. Deutschland sei immer ein Land gewesen und bleibe es auch, das die NATO-Russland-Grundakte für ein wichtiges Dokument halte.
"Wir verletzen diese Grundakte nicht, wir sind innerhalb dieser NATO-Russland-Grundakte, die wir auch immer wieder mit Leben erfüllen sollten." In der Nato-Russland-Grundakte hatte die westliche Allianz Moskau das Versprechen gegeben, in Osteuropa keine zusätzlichen, substantiellen und permanenten Kampftruppen zu stationieren.
Deutschland will mit Russland unbedingt im Gespräch bleiben und die politischen und diplomatischen Kanäle offen halten. Andererseits geht es aber auch darum, die eigenen Bündnispflichten zu erfüllen. Der NATO-Gipfel in Warschau werde "wichtige Weichenstellungen" vornehmen, sagt Merkel. Vor diesem Hintergrund sei es "eigentlich wünschenswert, wenn es nochmal einen NATO-Russland-Rat vor dem Gipfel in Warschau geben könnte", drängt Merkel.
Es geht um Abschreckung
Stoltenberg hat für die Gratwanderung Deutschlands durchaus Verständnis. Auch er betont, dass das transatlantische Verteidigungsbündnis keineswegs einen Konflikt mit Russland wolle. "Was die NATO tut, ist von defensiver Natur und angemessen und es bedeutet, dass wir einen Beitrag für unsere gemeinsame Verteidigung leisten." Damit wolle man nicht etwa eine Auseinandersetzung provozieren, sondern verhindern. "Wir wollen keinen Konflikt mit Russland, wir versuchen ganz im Gegenteil eine konstruktivere Beziehung zu Russland zu erreichen."
Die Zielrichtung der NATO ist auf "glaubwürdige Abschreckung" gerichtet, wie Stoltenberg formuliert. Das Bündnis will weiteren Expansionsgelüsten der Russen unbedingt einen Riegel vorschieben.
Mit Blick auf die Ukraine und die Annexion der Krim fürchten insbesondere die baltischen Staaten, ihnen könnte ähnliches drohen. "Wir sehen ein Russland, das auch bereit ist, militärische Kraft einzusetzen, um Grenzen in Europa zu verändern, die seit dem zweiten Weltkrieg gezogen sind", so Stoltenberg. "Darauf muss die NATO reagieren und wir tun das, indem wir unsere kollektive Sicherheit so nachdrücklich verstärken, wie wir das noch nie seit dem zweiten Weltkrieg getan haben."
Einsatz auch vor Nordafrika?
Neben dem Verhältnis zu Russland war aber auch die Sicherheitslage im Süden ein Thema bei dem Gespräch von Merkel und Stoltenberg. Die NATO will mehr für die Ausbildung von irakischen Soldaten und Offizieren tun und auch die Sicherheitskräfte in Afghanistan weiter trainieren. "Wir sind der Ansicht, dass die NATO mehr tun kann und mehr tun sollte, um gerade diesen Herausforderungen aus dem Süden zu begegnen", so Stoltenberg. Dabei gehe es auch darum, "unsere maritime Sicherheit im Mittelmeer zu verbessern und zu verstärken".
Den Einsatz der NATO gegen Schlepper in der Ägäis wurde von den beiden Politikern gelobt. Merkel sprach von einer "gut laufenden Mission Sophia", die sie offenbar für ausbaufähig hält. "Wir können auch noch darüber sprechen, ob über die ägäische See hinaus noch Einsatzmöglichkeiten und Notwendigkeiten der NATO sind im Blick auf die Bekämpfung von Schleppern und Schmugglern." Darüber müsse in den nächsten Tagen gesprochen werden.