Das neue Gesicht
1. September 2008Tägliche Diskriminierung motivierte sie erst recht, für Opfer einzutreten, sagte Pillay einmal. Und diskriminiert wurde sie gleich doppelt: Als "Colored" im Apartheids-Südafrika und als Frau in der männerdominierten Welt der Justiz. Trotzdem hat sie sich immer durchgesetzt. Ab dem 1. September 2008 wartet auf Pillay nun in Genf einer der brisantesten Jobs der Vereinten Nationen: Als UN-Hochkommissarin für Menschenrechte hat sie formal wenig Macht, soll aber durch mutiges Eintreten gegen Folter, Unterdrückung und Krieg kämpfen.
Tochter eines Busfahrers
"Navi" Pillay wurde 1941 in einfache Verhältnisse geboren: Ihr Vater war ein aus Indien eingewanderter Busfahrer. Die Familie lebte mit ihren vier Töchtern in dem ärmlichen Viertel der Hafenstadt Durban, das damals der indischstämmigen Minderheit zugewiesen war. Ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn fiel früh auf: In einem Schulaufsatz vertrat sie die Meinung, dass es die Aufgabe der Frauen sei, Kindern die Menschenrechten zu vermitteln. Die indische Gemeinde von Durban sammelte schließlich Geld, um ihr ein Studium zu ermöglichen.
Richter und Sekretärinnen
Pillay schrieb sich für Jura an der Universität von Natal ein. Zunächst sollte sie gar nicht zugelassen werden - in Südafrika sei es schließlich unmöglich, dass eine nichtweiße Anwältin Anweisungen irgendwann an weiße Angestellte geben würde. Der erfolgreiche Abschluss des Jura-Studium bedeutete keineswegs das Ende der Diskriminierungen: Die Justiz wurde von weißen Männern dominiert. "Als ich zum ersten Mal in Südafrika in das Gerichtsgebäude kam, stand dort auf den Toiletten nicht 'Frauen' und 'Männer', sondern 'Richter' und 'Sekretärinnen", erzählte Pillay. Das angestrebte Richteramt blieb ihr verwehrt. Sie konnte als Frau nach damaliger Rechtslage nicht einmal einen Kaufvertrag ohne die Zustimmung ihres Ehemannes abschließen.
1967 eröffnete Pillay ihre eigene Kanzlei - als erste farbige Frau. Sie verteidigte Opfer der Rassentrennung und Aktivisten der Anti-Apartheid-Bewegung, Gewerkschafter und Frauenrechtlerinnen. In einer Reihe von Präzedenzprozessen kämpfte sie gegen Isolationshaft und für faire Prozesse. 1973 erreichte sie einen spektakulären Erfolg: Sie erstritt den politischen Gefangenen von Robben Island den Zugang zu Anwälten. Unter ihnen war ein gewisser Nelson Mandela.
Auf der Geheimdienst-Liste
Später sagte sie einmal, sie habe gar nicht daran geglaubt, dass die Apartheid jemals zu Ende gehen würde. Wie Erzbischof Desmond Tutu und andere Menschenrechtsaktivisten stand Pillay als staatsgefährdend auf einer Liste der Staatssicherheit. Über Jahre war ihr Pass eingezogen. Schließlich durfte sie doch ausreisen und machte in den 1980er-Jahren an der US-Elitehochschule Harvard ihren Doktor.
Als die Apartheid dann zu Ende ging, berief Staatspräsident Nelson Mandela Pillay 1994 in den Obersten Gerichtshof Südafrikas - wiederum als erste schwarze Frau. Im gleichen Jahr folgte sie - als erste Frau - dem Ruf an das UN-Kriegsverbrechertribunal für Ruanda im tansanischen Arusha. Hier schrieb Pillay Rechtsgeschichte: Sie definierte systematische Vergewaltigungen als Kriegswaffe und sprach einen ruandischen Bürgermeister des Genozids für schuldig, weil der Vergewaltigungen als "Mittel zur Zerstörung des Geistes, des Lebenswillens und des Lebens selbst" angewandt habe. Pillay profilierte sich damit als Vorkämpferin gegen sexuelle Gewalt und geschlechterspezifische Menschenrechtsverletzungen. Mehrfach wurde sie für ihre bahnbrechende Rechtsauffassung ausgezeichnet.
2003 wurde Pillay zu einer von 18 Richterinnen und Richtern am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gewählt und sorgte dafür, dass Diktatoren und Folterer zur Rechenschaft gezogen werden. Zuletzt war sie Vorsitzende der Kammer.
Nicht nur dort schwärmten Mitarbeiter über Pillays anscheinend nie endende Energie. Sie war oder ist in leitenden Funktionen bei einer Vielzahl von Menschenrechtsorganisationen und Vizepräsidentin der University von Durban Westville. Pillay gehört zu den Gründerinnen der Frauenrechtsorganisation "Equality Now" und sitzt im Aufsichtsrat der südafrikanischen Investitionsgesellschaft "Nozala Investments", die Unternehmen fördert, die von Frauen geleitet werden oder Frauen gezielt fördern. Man dürfe nicht vergessen, woher man kommt, sagte sie einmal, als sie nach einem Lebensmotto gefragt wurde.
Skepsis von mehreren Seiten
Im Juli 2008 schlug UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Pillay als Hohe Kommissarin vor - was von unterschiedlichen Kreisen mit Skepsis aufgenommen wurde. Die USA und die katholische Kirche sorgten sich, weil die Mutter zweier erwachsener Töchter für das Recht auf Abtreibung eintritt. Eine Südafrikanerin könne zudem möglicherweise zu nachgiebig gegenüber dem Regime in Simbabwe sein. Nichtregierungsorganisationen wie UN Watch äußerten Bedenken, ob Pillay als Richterin denn ebenso viel Härte und Konsequenz aufbringen könne, wie ihre Vorgängerin. Louise Arbour hatte oft die Grenzen höflicher Diplomatie überschritten und sich nicht gescheut, auch Menschenrechtsverletzungen der USA und Israels anzuprangern.
Pillay sagte, sie sei es gewohnt Skepsis zu widerlegen. Am 28. Juli 2008 hatte sie es einmal mehr geschafft. Navanethem Pillay wurde von der UN-Generalversammlung bestätigt - einstimmig.