Cameron für Netz-Sperrpläne kritisiert
13. August 2011"Wenn Menschen die sozialen Netzwerke nutzen, um Gewalt zu provozieren, müssen wir sie stoppen" - die Ansage des britischen Premiers David Cameron war klar und deutlich. Mit den Betreibern sozialer Netzwerke wolle er darüber diskutieren, wie man gewaltbereite User blocken könne. Auch Polizei und Sicherheitsdienste wolle er in die Verfolgung von potentiellen Randalierern im Internet mit einbinden.
Schon einen Tag später, am Freitag, wurde ein 27-jähriger Mann in Hastings (Südengland) vor Gericht geladen mit dem Vorwurf "auf Facebook zu Straftaten aufgerufen zu haben, vor allem zu Einbruch und Sachbeschädigung". Auch in anderen Landesteilen ermittelte die Polizei bereits gegen User von Facebook. Eine erst 11-Jährige aus Plymouth bekam Besuch von Beamten, die ihr eine "eingehende Beratung über die Verwendung von Sozialen Netzwerken " gaben. Angeblich hatte das Mädchen über ihren Facebook-Account dazu aufgerufen, an den Protesten auf den Straßen teilzunehmen.
Eine 18-Jährige wurde angeklagt, weil sie angeblich über ihr "Blackberry" - Smartphone Bekannte aufgewiegelt habe. Das "Blackberry" war zuletzt besonders deshalb ins Visier der Ermittler geraten, da sein Direktnachrichtendienst im Gegensatz zu dem anderer Anbieter Nachrichten verschlüsselt verschickt und selbst Behörden diese nicht ohne Weiteres einsehen können.
Furcht vor Beschränkung der Meinungsfreiheit
Kritiker sehen in den Plänen der Regierung sowie dem Vorgehen der Polizei in Großbritannien eine Gefahr für die Demokratie. Der auf Medienrecht spezialisierte Anwalt Steve Kuncewicz merkt an, eine Beschneidung der User-Rechte wäre der "fundamentalste Eingriff in die Netzwelt von Seiten der Regierung in den letzten15 Jahren". Er befürchtet, es könne zu einer "Erosion des Rechts auf Freiheit und Meinungsäußerung" führen. Rik Ferguson von der einflussreichen Softwaregruppe Trend Micro sagte am Freitag (12.08.2011), es sei technisch praktisch unmöglich, den Zugang zu blocken. "Wir haben doch gesehen, wie selbst in Ägypten, in Libyen oder im Iran - brutale Dikataturen im Gegensatz zum demokratischen Großbritannien - vergeblich versucht wurde, den Internetzugang zu kappen. Die Leute finden immer ein Schlupfloch", so Ferguson.
Im Internet selbst sind die User empört. Noch vor einem halben Jahr war es schließlich David Cameron selbst gewesen, der vor dem Hintergrund der Revolutionsbewegung in der arabischen Welt Meinungsfreiheit im Netz gefordert und die sozialen Plattformen als "mächtiges Werkzeug in der Hand der Bürger" gelobt hatte. Der ägyptische Blogger Mahmoud Salem findet deshalb, dass sich Großbritannien und mit ihm "die Regierungen der Ersten Welt" durch eine Einschränkung sozialer Netzwerke "spektakulär selbst entlarven" würde. Der Journalist Jeff Jarvis wendet sich im Blog www.buzzmachine.com direkt an Cameron und warnt ihn: "Passen Sie auf, Sir. Wenn Sie solche Schritte planen, was unterscheidet Sie dann noch von der Regierung Saudi-Arabiens?"
"Wer Social Networks sperren will, muss auch Bücher verbrennen"
Auch auf deutschen Internetseiten sind die Reaktionen scharf. Blogger Thomas Knüwer bezeichnet David Camerons Vorschlag auf www.indiskretionehrensache.de als "pure Idiotie. Wer Social Networks sperren oder filtern will, der müsste konsequenterweise Bücher verbrennen, das Briefgeheimnis aufheben und jedes Telefonat abhören."
User "Gerry10" schreibt als Leser-Kommentar auf www.zeit.de über das Vorhaben des britischen Premiers: "Wenn er damit durchkommt, darf sich kein EU-Politiker jemals wieder über die Menschenrechtssituation in China beschweren". User "christoph." fragt: "Mit welchem Recht, außer einem gebeugten, will die britische Regierung wahllos die Freiheitsrechte (…) von tausenden Menschen einschränken?"
Der Berliner Netzaktivist und Blogger Markus Beckedahl, Gründer von www.netzpolitik.org, sagte der Nachrichtenagentur Deutsche Presse Agentur (dpa), Großbritannien sei schon jetzt der größte Überwachungsstaat in der EU. Bei einer umfassenden Sperrung einzelner Internet-Adressen, wie es in China und anderen Ländern üblich ist, würden auch viele unbescholtene Bürger in Mitleidenschaft gezogen. Beckedahl sieht in der herausgehobenen Rolle kommerzieller Anbieter von Internet-Plattformen "das grundsätzliche Problem, dass wir uns als Gesellschaft zu sehr abhängig machen von privatisierten öffentlichen Räumen". Die kommerziellen Anbieter hätten in der Regel eher ein Interesse daran, sich mit Regierungen gut zu stellen, um nicht zu sehr mit Regularien belästigt zu werden. "Dazu zählt auch die Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden.", so Beckedahl.
Facebook freut sich auf Treffen mit britischer Regierung
Mit seiner Einschätzung könnte der Berliner Blogger Recht behalten. Ein Facebook-Sprecher erklärte am Freitag, das Unternehmen freue sich auf ein Treffen mit der britischen Regierung, «um die Maßnahmen zu erläutern, die wir unternommen haben, damit Facebook in dieser Zeit der Herausforderungen eine sichere und positive Plattform ist». So sei sichergestellt, «dass alle glaubwürdigen Androhungen von Gewalt aus Facebook entfernt werden».
In den vergangenen drei Nächten ist es auf Großbritanniens Straßen ruhig geblieben. Stellt sich die Frage, wer den buchstäblichen Scherbenhaufen nach der Randale zusammenfegen soll. Auch hier kommt die Lösung aus dem Internet: Ein neu ins Leben gerufenes britisches Internetprojekt macht deutlich, dass soziale Netzwerke nicht nur dazu taugen, sich für Randale zu verabreden. Auf www.riotcleanup.co.uk nämlich verabreden sich Briten zum gemeinsamen Aufräumen in den Städten nach der Randale.
Autor: Friedel Taube
Redaktion: Sabine Faber