Neuer Tory-Chef auf Abruf
27. September 2005Je näher die Wahl des neuen Parteichefs rückt, desto rauer wird der Ton unter den britischen Konservativen. Die Pläne von David Davis würden eine "tödliche Injektion" für die konservative Partei bedeuten, verkündete dieser Tage ein prominenter Freund von Kenneth Clarke. Die Tories unter der Führung von Clarkes - das wäre nichts weniger als "nationaler Selbstmord", erklärte unterdessen David Cameron, Favorit Nummer Drei.
Führungswechsel ohne Folgen
Egal ob Davis, Cameron, Clarke oder einer der anderen fünf Bewerber das Rennen macht - mit einer langen Amtszeit kann keiner von ihnen rechnen. Seit dem Rücktritt von John Major im Jahr 1997 haben die Konservativen ihre Parteiführer alle zwei Jahre ausgetauscht. Messbare Erfolge hat das nie gebracht: Seit 1992 stagniert der konservative Stimmenanteil bei rund 33 Prozent.
Wie der künftige Parteichef im Oktober gewählt wird, entscheidet sich am Dienstag (27.9.2005). Dann wird das Ergebnis einer Abstimmung von 1333 hochrangigen Parteimitgliedern über das Prozedere bekannt. Geht es nach der Parteiführung, wird die bisherige Regelung kassiert, nach der die Parteimitglieder zwischen zwei Kandidaten wählen können, über die zunächst die Abgeordneten befinden. Nach den vom scheidenden Parteichef Michael Howard empfohlenen Regeln soll künftig wieder die Fraktion in Westminster das letzte Wort haben.
Kenneth Clarke ist Favorit
"Beim gegenwärtigen Wahlsystem wäre David Davis sicher der Spitzenreiter", sagt Stephen Barber, Parteienforscher an der London Metropolitan University. "Er gehört zum rechten Parteiflügel und ist ein Liebling der Basis." Im Schattenkabinett des derzeitigen Parteichefs ist der 56-Jährige für die Innenpolitik zuständig. Als Euroskeptiker, der eine niedrige Einheitssteuer und eine Begrenzung der Einwanderung fordert, steht er für den klassischen Konservatismus. Das andere Ende des Spektrums repräsentiert der 38-jährige "Modernisierer" David Cameron, der die Konservativen weiter in die politische Mitte rücken will und ansonsten mit Parolen wie "Lebensqualität" eher unverbindlich bleibt.
Als Favorit gilt allgemein Kenneth Clarke. Der ehemalige Finanzminister ist der mit Abstand bekannteste der Kandidaten und lässt sich keinem der beiden Parteiflügel eindeutig zuordnen. Allerdings sehen viele in dem 65-Jährigen einen Mann der Vergangenheit; zudem hat er den bei den Tories höchst abträglichen Ruf, europafreundlich zu sein. Wohl auch deswegen unterlag er bereits 1997 und 2001 bei der Wahl des Parteivorsitzenden. Daraus hat er allerdings gelernt: Die EU-Verfassung sei tot, erklärte er unlängst; die Einführung des Euro schloss er für mindestens zehn Jahre aus.
Chancenlos gegen Blair
"Unter den Kandidaten ist nicht wirklich jemand, von dem man sagen würde, er könnte die Partei zurück an die Macht führen", sagt Barber. Zudem habe noch keiner der Kandidaten erklärt, wie er die Wahlen - die nächsten stehen erst in vier Jahren an - gewinnen wolle.
In Meinungsumfragen schneidet Clarke, der die britische Beteiligung am Irak-Krieg von Anfang an kritisierte, mit Abstand besser ab als seine Konkurrenten. Doch das habe nichts zu bedeuten, sagt Philip Cowley, Politologe an der Universität Nottingham. Denn zum einen liege dies daran, dass er in der Bevölkerung schlicht bekannter ist als seine Konkurrenten. Und zum anderen zeigten die Umfragen, dass er gegen Premierminister Tony Blair chancenlos wäre.
Kein Rezept für die Partei
Alle drei Kandidaten hätten Vor- und Nachteile, sagt Cowley, doch dass einer von ihnen die Partei aus der Krise führen könne, bezweifelt er. Denn das Problem sei nicht nur, dass New Labour erfolgreich die politische Mitte besetzt habe, sondern die Partei gelte auch als wirtschaftspolitisch kompetenter. "Die Konservativen werden warten müssen, bis es mit der Wirtschaft bergab geht", glaubt Cowley.
Die Situation der Konservativen sei ungleich schwieriger als die von Labour während der 1980er-Jahre, sagt Andrew Taylor, Politologe an der Universität Sheffield. Damals sei klar gewesen, dass die Labour-Partei in die Mitte würde rücken müssen, um neue Wähler zu gewinnen und wieder an die Regierung zu kommen. Doch für die Tories gebe es heute kein vergleichbares Rezept: "Die politische Mitte ist schrecklich überfüllt." Zugleich könne die Partei nicht weiter nach rechts gehen, da sich die Wählerbasis so nicht erweitern lasse. Auch Taylor glaubt, dass sich für einen Erfolg der Konservativen zunächst die wirtschaftliche Situation verschlechtern müssen: "Eine Regel lautet: Die Opposition gewinnt keine Wahlen, sondern die Regierung verliert sie."